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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

272–273

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Baumer, Christoph

Titel/Untertitel:

Frühes Christentum zwischen Euphrat und Jangtse. Eine Zeitreise entlang der Seidenstraße zur Kirche des Ostens.

Verlag:

Stuttgart: Urachhaus 2005. 336 S. m. Abb. u. Ktn. 4°. Geb. EUR 59,00. ISBN 3-8251-7450-6.

Rezensent:

Klaus Koschorke

Anzuzeigen ist ein Buch, das sowohl unter Fachgelehrten als auch bei einem breiteren Publikum auf beachtliches Interesse stoßen könnte. Die Erforschung der ostsyrisch-»nestorianischen« »Kirche des Ostens« zeigt ein merkwürdig gespaltenes Bild. Als Repräsentantin eines eigenständigen – nicht-westlichen – Christentumstypus, der sich im 5. Jh. in Organisation und Lehre von der Reichskirche trennte und auf dem Höhepunkt ihrer Ausbreitung im 13. Jh. von Syrien bis Südchina und Sibirien bis Südindien erstreckte, erfreut sie sich auch in einer breiteren Öffentlichkeit wachsenden Interesses. Zahlreiche Funde der jüngeren Zeit haben dies Interesse weiter angefacht. Dementsprechend hat sie in jüngeren Darstellungen zur Christentumsgeschichte Asiens breite Beachtung ge­funden. Verwiesen sei nur auf die inzwischen klassischen Darstellungen von Gilman/Klimkeit und Moffett, das von J. England u. a. herausgegebene dreibändige Kompendium zur Theologie- und Literaturgeschichte des christlichen Asiens oder regionalgeschichtliche Studien wie die Untersuchungen von W. Klein zu den Nestorianern in Kirgisistan (I. Gillman/H.-J. Klimkeit, Christians in Asia before 1500, Ann Arbour 1999; S. H. Moffett, A History of Christianity in Asia. Vol. 1, San Francisco 1992; J. C. England/J. Kuttianimattathil u. a. [Hrsg.], Asian Christian Theologies. A Research Guide to Authors, Movements, Sources. 3 Bde., Dehli-Quezon City: Maryknoll 2002–2004; W. Klein, Das nestorianische Christentum an den Handelswegen durch Kyrgyzstan bis zum 14. Jh., Turnhout 2000). Andererseits sind zahlreiche wichtige ältere Funde bis heute nicht ediert sowie neuere Entdeckungen und Ausgrabungen nicht publiziert (so vor allem in den ehemals sowjetischen Republiken Zentralasiens) oder allenfalls in hochspezialisierten Forschungsorganen zugänglich (Golfregion, China, Ladakh, Südindien). In anderen Regionen wird der Zugang zu neueren Funden aus bürokratischen oder kulturpolitischen Gründen enorm erschwert.
Angesichts dieser unübersichtlichen Lage ist die zu besprechende Publikation nachdrücklich zu begrüßen. Sie informiert über aktuelle Forschungsergebnisse und bietet einen anschaulichen Überblick über die Geschichte der »Kirche des Ostens« und ihrer Ausbreitung in die verschiedenen Regionen Asiens. Sie ist reichlich illustriert – mit Karten, Bildreproduktionen und eindrücklichen Fotos historischer Stätten der Nestorianer und gegenwärtiger Zentren kirchlichen Lebens – und mit einer umfangreichen Bibliographie ausgestattet. Anders als es der Titel vermuten lässt, behandelt der inzwischen auch ins Englische übersetzte Band nicht nur die Frühgeschichte des ostsyrischen Christentums. Er zieht die Linien jeweils bis in die Gegenwart aus.
Die Arbeit ist chronologisch angelegt. Die ersten drei Kapitel behandeln die Entwicklung bis zum Konzil zu Chalkedon, ein viertes den schrittweisen Prozess der Verselbstständigung der persischen Kirche im 5. Jh. und ein fünftes Kapitel »Aspekte ostsyrischer Theologie und Spiritualität«. Weitere Kapitel erörtern (6.) den Einbruch des Islam, (7.) die »Missionierung nach Osten«, also die Ausbreitung entlang der Seidenstraßen Zentralasiens und die Anfänge der chinesischen Kirche, (8.) das »Zeitalter der Mongolen«– wobei sowohl die Verbreitung unter den Turk- und Mongolenvölkern wie die erneute Blüte in China und die Verwüstungen Timur Lenks behandelt werden – sowie (9.) die Thomaschristen Südindiens. Zwei Kapitel über (10.) das »Zeitalter der Prüfungen und Abspaltungen« seit dem späten Mittelalter und (11.) den »Wiederaufbau der Assyrischen Kirche des Ostens« im 20. Jh. beschließen das Werk.
Die Darstellung ist dort am innovativsten, wo sich der Vf. – Fellow der Royal Asiatic Society und der Royal Geographical Society, London – auf eigene Forschungen beziehen kann. Dies gilt vor allem im Blick auf das chinesische Tarimbecken und die Zeugnisse nestorianischer Präsenz entlang den Seidenstraßen Zentralasiens, wohin der Vf. wiederholt Expeditionen unternommen und wo er an Ausgrabungen teilgenommen bzw. diese teilweise auch angeregt hat. In anderen Bereichen ist die Darstellung weniger ergiebig. Dies gilt vor allem im Blick auf die frühen Zeugnisse christlicher Präsenz in Südasien, wo freilich der Überlieferungstand besonders kompliziert und jüngste Funde vielfach schon auf Grund bürokratischer Hemmnisse (etwa in Ladakh, Sri Lanka und Myanmar) am schwersten zugänglich sind. So macht auch diese verdienstvolle Studie auf die Notwendigkeit intensivierter internationaler Kooperation bei der Erforschung des frühen asiatischen Christentums aufmerksam.
Kritische Anmerkungen können bei einem Werk mit einer so weit gespannten Thematik nicht ausbleiben. Eine davon betrifft die unterschiedslose Verwendung des Titels »Kirche des Ostens«. Als Selbstbezeichnung ist sie, wie Wolfgang Hage gezeigt hat, erst seit dem späten 5. Jh. nachweisbar. Ihre Anwendung auf die früheren Etappen christlicher Präsenz in Asien – die uns sowohl durch neuere Funde wie durch die genauere Auswertung patristischer Quellen immer deutlicher werden – dürfte darum eher problematisch sein. Ähnliches gilt auch für einzelne Daten insbesondere zur Frühgeschichte des asiatischen Christentums. Andererseits betrifft dies bloße Details. Die enorme Bedeutung des vorliegenden Bandes ist davon nicht betroffen. Er vermag einen wichtigen Beitrag zu einer neuen Landkarte der globalen Christentumsgeschichte zu leisten, die nicht nur in der postkolonialen und postmissionarischen Moderne durch polyzentrische Strukturen gekennzeichnet ist. Dies gilt bereits im sog. Mittelalter bzw. in Zeiten der europä­ischen Vormoderne.
Der Band sollte in keiner kirchengeschichtlichen Bibliothek fehlen, dürfte aber ebenso auch für Religionswissenschaftler und Ökumeniker von großem Interesse sein. Er eignet sich zur Verwendung im akademischen Unterricht und gibt zugleich vielfältige Impulse für eine eigenständige Auseinandersetzung mit der Ge­schichte des orientalischen Christentums.