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Ausgabe:

Februar/2008

Spalte:

215–216

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Anuth, Bernhard Sven

Titel/Untertitel:

Der Neokatechumenale Weg. Geschichte – Erscheinungsbild – Rechtscharakter.

Verlag:

Würzburg: Echter 2006. 528 S. gr.8° = Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft, 36. Kart. EUR 40,00. ISBN 978-3-429-02807-7.

Rezensent:

Karl-Friedrich Wiggermann

Der Neokatechumenale Weg ist eine römisch-katholische Bewegung, die in Deutschland noch wenig bekannt ist. Die vorliegende kirchenrechtswissenschaftliche Bonner Dissertation darf Interesse beanspruchen, denn diese Bewegung hat inzwischen weltweit über eine Million Mitglieder.
Sie ist in der 2. Hälfte des 20. Jh.s im Madrider Armenviertel Palomeras Altas entstanden. Als Gründer bzw. »Initiatoren« gelten der Maler Francisco »Kiko« Argüello und die Naturwissenschaftlerin und Theologin Carmen Hernández, also keine Priester. Der Erzbischof von Madrid sowie bald zahlreiche weitere spanische (Erz-) Bischöfe unterstützten den Neokatechumenalen Weg, dessen Zentrale im Jahr 1968 nach Rom verlegt und der von Papst Paul VI. gewürdigt wurde. Eingeführt wurde bald der Name »Neokate­chumenat« bzw. »neokatechumenale Gemeinschaften«.
Fernstehende und bereits Getaufte sollen den Glauben neu entdecken. Der sog. »Dreifuß« von Wort, Liturgie und Gemeinschaft bildet in einer Pfarrei eine Gemeinschaft aus 20–40 Mitgliedern, die den Glauben (wieder-)entdecken wollen. Dabei hilft ein fester Rhythmus von wöchentlichen Wortgottesdiensten und Eucharistiefeiern sowie monatlichen Einkehrtagen (»Konvivenzen«). Der Weg zielt auf die Erneuerung des Taufversprechens. Der »kindliche« Glaube soll »erwachsen« werden. Auf Grund einer marianischen Vision von Argüello im Jahr 1959 wird die Heilige Familie von Nazareth zum Vorbild der neokatechumenalen Gemeinschaften. Eine kleine Gemeinschaft im Gehorsam gegenüber den Katechis­ten soll reifen. Sie soll die Pfarrei missionarisch erneuern. So entsteht eine neue »kirchliche Wirklichkeit« (vgl. 156–159). Die Darstellung des Neokatechumenalen Weges ist nicht einfach, denn die Entwicklung lebt bis zur Approbation des Statutes von unterschiedlichen, zum Teil mündlichen Vorgaben und geht über die Pfarrei hinaus.
Das Statut vom 29. Juni 2002 zielt auf eine »Gesamtheit von geistlichen Gütern« und auf die »ständige Glaubensbildung«. Es kommt nun zum Fortbestand der Gemeinschaften. So entsteht ein geistliches Eigenleben. A. zeichnet minutiös das Verhältnis zur päpstlichen Kirchenleitung. Nun entstehen 60 Priesterseminare »Redemptoris Mater«, deren Absolventen missionarisch im Klerus des jeweiligen Bistums tätig sein sollen (vgl. 187–214). Seit 1992 gibt es in unregelmäßigen Abständen sog. »Konvivenzen« bzw. »Gemeinschaftstage« mit interessierten Bischöfen. In Israel ist das internationale Zentrum »Domus Gali­laeae« 1999 gegründet worden; es dient der »biblischen, patristischen und liturgischen Aus- und Weiterbildung« (224).
An der Spitze des Neokatechumenalen Weges steht mit den beiden Initiatoren des »Weges« der Priester Mario Puzzi. Der »Weg« besitzt nationale und regionale bzw. diözesane Leitungsebenen. »Den Vorwurf, mit dieser internen Hierarchie eine Art ›Parallelkirche‹ zu bilden, hat der Neokatechumenale Weg stets zurückgewiesen« (415). Ebenfalls zurückgewiesen werden Vorwürfe der »Ge­hirnwäsche« und des Sektierertums (238–247), der Häresie (247–250) oder der Elitebildung bzw. Spaltung von Gemeinden (251–256). Viele Bischöfe stehen dem »Weg« positiv gegenüber, pochen aber auf ihre diözesanen Rechte. Allein in der englischen Diözese Clifton ist der »Weg« im Jahr 1997 verboten worden (vgl. 259–265). In Köln und Berlin gibt es »Redemptoris Mater«-Priesterseminare. In Köln z. B. absolvieren die Seminaristen ein sechsmonatiges Diakonatspraktikum in einem Seelsorgebereich des Erzbistums, »der von Priestern geleitet wird, die nicht dem Neokatechumenat angehören, damit die Diakone auch die normale Pfarrseelsorge mit ihren verschiedenen Diensten kennen lernen« (zit. 210). Beim Weltjugendtag 2005 in Köln wurden Jugendliche aufgefordert, sich zum Priestertum zu verpflichten. Es kamen 200 Jugendliche. Zum geweihten Leben meldeten sich 700 Mädchen (vgl. 193, Anm. 799).
Während in den beiden ersten Teilen vor allem die Entstehung und rechtliche Profilierung dargestellt werden, wendet sich der dritte Teil der Studie explizit dem neuen Rechtscharakter des Neokatechumenalen Wegs zu. »Erst mit dem Statut des ›Weges‹ vom 29. Juni 2002 liegen offiziell erkennbare Kriterien für eine Mitgliedschaft sowie ein definierter kirchlicher Zweck vor und existieren mit den Verantwortlichen der Gemeinschaften anerkannte Sprecher, so dass die neokatechumenalen Gemeinschaften als freie Zusammenschlüsse i. S. des kanonischen Rechts gelten können« (415 f.). Die kirchenrechtlichen Aspekte des »Weges« werden detailliert und ausführlich aufgezeigt. Zu unterscheiden sind »kerygmatische Anfangskatechesen« (303–306), »Vorkatechumenat nach der Taufe« (306–310), »Katechumenat nach der Taufe« (310–314) und »Wiederentdeckung der Erwählung« (314 f.). Besonders Papst Jo­hannes Paul II. hat den »Weg« unterstützt.
A. bezeichnet den »Weg« als »eine das Erscheinungsbild der Kirche im dritten Jahrtausend prägende Größe« (416). In den knapp 45 Jahren des Bestehens des »Weges« hat sich praktisch-theologisch und kirchenrechtlich eine einzigartige Entwicklung vollzogen. Es geht um den Widerstand gegen die zunehmende Säkularisierung und um eine wirksame Neuevangelisierung. Erst in der Zukunft wird sich zeigen, wie das Neue in Gemeinde und Kirche wirkt. Wird die Dynamik wieder statisch werden? Wie ist der Erfolg praktisch-theologisch zu beurteilen?
Im Neokatechumenalen Weg etabliert sich eine römisch-katholische Erweckungsbewegung. Evangelische Theologie und Spiritualität sollten den »Weg« als geistliche Gemeinschaft beachten. Kann es in Zukunft ökumenische Ansätze geben?
A. legt eine gehaltvolle Studie vor, die sowohl praktisch-theologische als auch kanonistische Beachtung verdient. Hilfreich sind das Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Pläne der Phasen, Etappen und Übergangsriten des »Neokatechumenates«, dazu eine Synopse der Statuten der »Redemptoris Mater«-Seminare in Rom, Berlin, Wien und Köln. Am Schluss stehen kanonistische und konziliare Stellenregister sowie ein Personen- und Sachregister.