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Ausgabe:

Januar/2008

Spalte:

56–58

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Brent, Allen

Titel/Untertitel:

Ignatius of Antioch and the Second Sophistic. A Study of an Early Christian Transformation of Pagan Culture.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XVI, 377 S. m. Abb. gr.8° = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 36. Kart. EUR 84,00. ISBN 978-3-16-148794-1.

Rezensent:

Horacio E. Lona

Allen Brent, der lange Zeit in der Universität von North Queensland (Australia) dozierte und zurzeit in der Faculty of Divinity der Universität von Cambridge (England) tätig ist, hat in den zwei letzten Jahrzehnten mehrere Beiträge zur Ignatiusforschung geliefert, die ihn als Kenner der Materie ausweisen. Das hier zu besprechende Werk ist also das reife Ergebnis langjähriger Forschung. Der Aufsatz »Ignatius’ Pagan Background in Second Century Asia Minor«, der in ZAC 10 (2006), 207–232, erschienen ist, bietet eine Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte. – Erst auf dem Hintergrund der Entwicklung der Forschung seit dem Vorstoß von R. Joly (Le dossier d’Ignace d’Antioche, Bruxelles 1979) kommen Originalität und Bedeutung der Arbeit B.s richtig zur Geltung. Die herkömmliche Datierung der Briefe zwischen 110 und 117 wurde in Frage gestellt; Beobachtungen zur Gestaltung des kirchlichen Amtes und zur Christologie der Ignatianen führten sodann zur Einsicht, dass die Briefe eine Fälschung sind, die mit dem Zweck, den Monepiskopat in der Großkirche zu untermauern und die Valentinianer zu be­kämpfen, in der Zeit zwischen 165 und 175 geschrieben wurden. Die Arbeiten von R. M. Hübner (vor allem die »Thesen zur Echtheit und Datierung der sieben Briefe des Ignatius von Antiochien«: ZAC 1 [1997], 44–72) und T. Lechner (Ignatius adversus Valentinus? Chronologische und theologiegeschichtliche Studien zu den Briefen des Ignatius von Antiochien [Suppl.VigChr. 47], Leiden 1999) können als repräsentativ für diese Forschungsrichtung gelten.
B. setzt sich auch mit den Befürwortern der Spätdatierung und deren Argumenten auseinander, aber sein Ansatz ist nicht theologiegeschichtlich, sondern kulturgeschichtlich. Das überaus bunte Phänomen der zweiten Sophistik bestimmt den Rahmen, in dem er die Ignatiusbriefe liest und versteht. – Drei Kapitel seiner Untersuchung tragen das Hauptgewicht seiner Argumentation. In ihnen deutet B. wichtige Begriffe und theologische Motive der Briefe im Zusammenhang mit dem religiösen und politischen Anliegen der Zweiten Sophistik und bestimmt zugleich drei Hauptthemen. 1. Igna­tius’s Typology of Church Order (41–120): προκαθημένος (Ign Mg 6,1.2; IgnRom insc.), τύπος (Ign Mg 6,1.2; IgnTr 3,1), ἕνωσις (IgnMg 1,2; 13,2; IgnTr 11,2 u. ö.); 2. Sacred Images and My­stery Processions (121–230): τύπος und ἕνωσις; θεοφόρος~(Ign Eph insc.; IgnRom insc. u. ö.) und σύνοδος (IgnEph 9,2); 3. Ignatius’s Response to Roman Imperialism (231–308): ὁμόνοια (IgnEph 4,1.2; 13,1; IgnMg 6,1; 15,1 u. ö.). – Anhand von zahlreichen literarischen, epigraphischen und ikonographischen Zeugnissen weist B. auf einen theologisch-heidnischen Diskurs hin, wonach die von den Priestern ge­tragenen Bilder (τύποι) der Gottheiten den Vorrang (προκαθημέ­νοι) in den Prozessionen hatten. In jedem τύπος vollzog sich die Einheit (ἕνωσις) von Himmel und Erde, von Unvergänglichkeit und Vergänglichkeit. Ignatius habe dieses Denkmodell auf das kirchliche Amt übertragen, in dem sich die Wirklichkeit des Göttlichen widerspiegelt (IgnMg 6,1 f.). Er selber verstehe sich als θεοφόρος, d. h. als Träger eines göttlichen Abbildes in einer martyrialen Prozession, deren Ziel die Hauptstadt des Imperiums ist. Die Einheit des Vaters mit dem Sohn und dem Heiligen Geist, deren irdisches Abbild die Einheit der Gemeinde mit dem Bischof, dem Presbyterium und den Diakonen ist, wird ferner in den Ge­meinden sichtbar, die sich solidarisch mit dem Bischof von Antiochien zeigen und ihn auf seinem Weg in den Tod begleiten. Einheit ist nur unter der Voraussetzung der Eintracht (ὁμόνοια) möglich. Das hellenistische Ideal der Eintracht innerhalb des Staates und als Bedingung für den Frieden mit den anderen Staaten bekam eine neue Gestalt als politisches Ziel der römischen Macht. Auf diesem Hin­tergrund denke Ignatius die Einheit und die Eintracht unter den christlichen Gemeinden, aber es gehe dabei nicht um die Nachahmung eines Kulturideals, sondern um seine Verwandlung: Nicht bei den Herrschern dieser Weltzeit liegt die Macht (IgnRöm 6,1).
Die wenigen hier angedeuteten Einzelheiten vermögen gewiss nicht, den ungewöhnlichen inhaltlichen Reichtum der Untersuchung B.s wiederzugeben. Bei den vielen Belegen aus der kulturellen Umwelt geht es freilich nicht um Parallelen im strengen Sinne, sondern um Texte, die auf ein breites Umfeld aufmerksam machen, das die eigenwillige Sprache des Ignatius verständlicher macht. Da­mit ist schon gesagt, dass er an der Echtheit der Briefe festhält, wenngleich nicht in der Zeitspanne der Frühdatierung, sondern sie gegen Ende der Regierungszeit Hadrians, etwa 135 (318) ansetzt. – Der von B. gewählte Ansatz hat einen wichtigen wissenschaftstheo­retischen Vorteil: Er beruht auf einer einzigen, gut verifizierbaren Hypothese, nämlich auf dem Einfluss der Zweiten Sophistik in der Sprache und im Denken des Ignatius. Mit guten Gründen verteidigt B. die Einheit und Integrität des Polykarp-Briefes. Von den belastenden Fragen, die sich aus einer Spätdatierung ergeben – etwa das merkwürdige Verhältnis des angeblichen Ps. Ignatius zur schon kanonisierten Gestalt des Polykarp; die auffällig »diskrete« Polemik des Ps. Ignatius gegen die Valentinianer, die ohne eine scharfsinnige Deutung nicht vernehmbar ist –, wird B. nicht berührt.
Einige kritische Bemerkungen und Anfragen: 1. Das Inhaltsverzeichnis entspricht nicht der detaillierten Untergliederung, die im Verlauf der Untersuchung geboten wird. Die Angaben unter »Contents« übergehen wichtige Inhalte, die bei den »Subjects« (375–377) manchmal nicht erwähnt werden. Das Ziel eines Inhaltsverzeichnisses, einen Überblick über das Werk zu gewähren, ist damit verfehlt; 2. manche störende – und doch bedeutungslose – Tippfehler: 175: ἐπίκοποι, θεοφορός, ἁγιοφορός; 179: ἀσπ´ζεται u. a.; 3. der Ge­danke, dass Ignatius am gleichen »language game« seiner Kultur teilnimmt, weil sein »agreement in a form of life« ein »agreement« oder ein »disagreement in opinion« möglich macht, wird unnötigerweise oft wiederholt (51.60.69.88.94.114.118 u. ö); 4. ist der Doketismus schon im Neuen Testament »testified to in various ways by both Matthew, Luke and John, not simply in a post-resurrection context but also in connection with Christ’s walking on the water« (98)? Eine solche sprachliche Nivellierung – von den exegetischen Einwänden zu schweigen – mutet anachronistisch an. Der Aufsatz von N. Brox, »Doketismus« – eine Problemanzeige (ZKG 95 [1984], 301–314), weist m. E. auf die richtige Perspektive hin, um die Frage zu behandeln; 5. darf man die Rolle des ἐπίσκοπος und der anderen Amtsträger bei den Ignatianen nur anhand von nicht christlicher Literatur bestimmen? Ist eine Beschränkung auf die Zweite Sophis­tik nicht genauso einseitig und unzureichend wie die herkömmliche innentheologische Sichtweise? Es wäre die Aufgabe einer um­fassenden Kommentierung der Ignatiusbriefe, beide Ansätze in Einklang zu bringen.
Mit der Untersuchung B.s ist sicherlich nicht das letzte Wort in der Ignatiusfrage gesprochen. Aber jede künftige Arbeit an den Briefen wird nicht daran vorbeigehen dürfen.