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Ausgabe:

Dezember/1997

Spalte:

1133–1136

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Löhr, Winrich A.

Titel/Untertitel:

Basilides und seine Schule. Eine Studie zur Theologie- und Kirchengeschichte des zweiten Jahrhunderts.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1996. 414 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 83. Geb. DM 168,­. ISBN 3-16-146300-5.

Rezensent:

Holger Strutwolf

Diese Studie über den frühchristlichen Theologen Basilides, eine nicht unerheblich überarbeitete Fassung einer 1993 von der Bonner Evangelisch-Theologischen Fakultät angenommenen Habilitationsschrift, entspricht einem "Trend" in der patristischen Literatur der letzten Jahre, jene Theologen des zweiten Jahrhunderts, die von den Kirchenvätern als Begründer gnostischer Schulen und Häresien angesehen wurden, zu rehabilitieren. Nachdem Christoph Markschies in seiner beeindruckenden Dissertation(1) zu erweisen versucht hat, daß Valentin, so wie er uns in seinen authentischen Fragmenten entgegentritt, keineswegs als ein Vertreter einer mythologischen Gnosis, die uns in den Systemen seiner Schüler begegnet, zu gelten habe, sondern vielmehr ein Exponent eines "biblischen Platonismus" gewesen sei, will L. einen analogen Nachweis für den als Urheber der "basilidianischen Gnosis" geltenden Basilides führen. Hier gibt es bekanntlich neben einigen Fragmenten bei Clemens von Alexandrien, Origenes und Hegemonius hauptsächlich die zwei nicht nur stark voneinander abweichenden, sondern vielmehr einander sogar widersprechenden doxographischen Berichte des Irenäus und des Hippolyt. Bisher war es dabei fast einhellige communis opinio, daß sich die Lehre des Basilides aus einer Kombination der Fragmente mit dem Hippolyt-Bericht rekonstruieren lasse, ein Konsens, den diese neue Studie in Frage stellen möchte.

Ausgangspunkt der Untersuchung bildet wie schon bei Markschies der durchaus berechtigte Grundsatz, bei der Rekonstruktion der ursprünglichen Lehre des jeweiligen vermeintlichen Schulhauptes primär von den erhaltenen Fragmenten des jeweiligen Theologen auszugehen und diese nicht vorschnell vor dem Hintergrund der doxographischen Berichte der Häresiologen zu interpretieren. Daher muß deutlich zwischen den eigentlichen "Fragmenten" und den doxographischen Berichten der Kirchenschriftsteller unterschieden werden.

Aber schon diese Unterscheidung läßt sich, wie die Arbeit von L. zeigt, im Falle des Basilides weit weniger eindeutig durchhalten als etwa bei Valentin: Bei Clemens Alexandrinus gehen in "oratio obliqua formulierte, referierende Zusammenfassungen basilidianischer Lehrmeinungen und Exegesen" unvermittelt in die "oratio recta" über, "wobei zu vermuten" sei, "daß die ’oratio recta’ ein mehr oder weniger wörtliches Zitat aus der Vorlage repräsentiert" (2-3). Während nun Markschies seine Argumentation stringent auf der Unterscheidung von Zitat und Referat bei Clemens und Hippolyt aufbaut, verwischt L. diese Unterscheidung, indem er sowohl in den Zitaten als auch in den Referaten auf die "häresiologische Perspektive" des Clemens abhebt. In beiden Fällen will L. zunächst die häresiologische Tendenz des Clemens und dann in einem zweiten Schritt (sozusagen nach tendenzkritischer Bereinigung) die ursprüngliche Lehre des Basilides und seines ursprünglichen Schülerkreises rekonstruieren. Daß diese Methode oft nur zu recht hypothetischen Ergebnissen führen kann, ist dem Vf. dabei durchaus bewußt.

L. bespricht zunächst 15 Testimonien. Hierbei ist das positive Ergebnis der tendenzkritischen Untersuchung erwartungsgemäß sehr mager: Basilides hat unter Hadrian (117-138 n. Chr.) und Antoninus Pius (138-161 n. Chr) in Ägypten, wahrscheinlich Alexandrien gewirkt, hat sich für seine Lehre auf den Petrusdolmetscher Glaukias berufen und einen Evangelienkommentar in 24 Büchern verfaßt, wobei er wahrscheinlich eine eigene Evangelienrezension zugrunde gelegt hat. Zumindest die Basilidianer haben aber wohl auch apokryphe Prophetenschriften verwendet (14). Dagegen werden die Nachrichten über die vermeintliche Martyriumsscheu und moralische Indifferenz des Basilides als häresiologische Konstrukte des Irenäus und der von ihm abhängigen Schriftsteller verworfen.

Bei Testimonium Nr. 11 ist auf S. 35 ein Teil des griechischen Textes des Zitats von (Pseudo?-)Origenes, Enarr. in Job 21,12 (PG 17, 80 A) durch einen drucktechnischen Fehler nicht abgedruckt worden.

Den Hauptteil der Arbeit bildet dann die Darbietung, Übersetzung und Kommentierung von 19 Fragmenten des Basilides und seiner direkten Schüler, die L. bewußt und konsequent ohne Seitenblick auf die Basilides-Referate bei Irenäus und Hippolyt interpretiert. Auf welch unsicherem Boden man sich allerdings dabei bewegt, macht die Lektüre dieser Kommentare auf Schritt und Tritt deutlich: Immer wieder verweist L. auf den hypothetischen Charakter seiner Auslegungen und hermeneutischen Konjekturen. Nun macht zwar gerade diese Behutsamkeit eine der Stärken dieser Arbeit aus, provoziert aber zugleich die Frage nach der Tragfähigkeit ihrer Resultate.

Darauf folgt eine, leider ziemlich knappe Darstellung der "Basilidesdoxographie bei Irenäus von Lyon und Hippolyt von Rom", die im wesentlichen dem Nachweis dient, daß diese beiden Quellen "für eine Rekonstruktion der authentischen Lehren des Basilides und seines unmittelbaren Schülerkreises nicht herangezogen werden sollten" (255). Im Falle des Irenäus wird dabei die Unvereinbarkeit des "theologischen Profils" seines Referats "mit dem aus de(n) Originalfragmenten Erschließbaren" festgestellt. Die Verwendbarkeit des Hippolytberichts zur Rekonstruktion der Lehre des Basilides wird von L. in dreifacher Hinsicht als problematisch angesehen: Einmal zeigt die bekannte Tatsache, daß die Ketzerreferate des hippolytischen Sonderguts, zu dem auch der Basilidesbericht gehört, untereinander verwandt sind, daß mit der Möglichkeit redaktioneller Bearbeitung der Quelle zu rechnen ist (295-298).

Zweitens wird die innere Kohärenz des Basilidesreferats in Frage gestellt: Der Bericht weise innere Spannungen auf, die auf eine literarische Schichtung des Textes hinweisen könnten. Dabei hält L. es aber auch für möglich, daß die "Vorlage noch unfertig war und im Schulbetrieb ihren Sitz im Leben hatte", so daß die "inneren Widersprüche ... auch auf ungelöste Probleme der Schuldebatten verweisen" könnten (306). Auf alle Fälle macht die vermeintliche Inkohärenz der Quelle des Hippolyt ihre Benutzung für die Rekonstruktion der Lehre des Basilides problematisch. Schließlich versucht L. zu erweisen, daß nicht nur die in der Literatur angegebenen "Parallel- und Anknüpfungspunkte zwischen den Originalfragmenten und dem Referat des Hippolyt" nicht überzeugend sind, sondern darüber hinaus "signifikante Differenzen" zwischen beiden bestehen.

Hierbei ist allerdings zu fragen, ob nicht doch einige der Übereinstimmungen zwischen dem Hippolyt-Referat und den Fragmenten größeres Gewicht haben, als L. zugesteht, und ob nicht andererseits innere Brüche in den Referaten und vermeintliche Widersprüche zwischen den Referaten und den Fragmenten überbetont werden. So erblickt L. z. B. im Referat einen Widerspruch zwischen "einer Ascensus- und einer Descensus-Soteriologie": Während in haer. VII,22,16 "in betonter und grundsätzlicher Weise festgestellt" werde, "daß sich alles von unten nach oben, vom Schlechteren zum Besseren bewege", weil nichts von des besseren Wesen so unvernünftig sei, nach unten abzusteigen, steige nach haer. VII,22,15 der im Heiligen Geist enthaltene Wohlgeruch von oben nach unten. Dieser Widerspruch zeige sich auch in haer. VII,25,6-7, wo die Lehre von der "Fernwirkung" des Göttlichen am Beispiel des "indischen Naphtha" ­ ein leicht entzündbares Öl, das vom Feuer auch über große räumliche Distanz hinweg entflammt wird (vgl. den einschlägigen Aufsatz von A. und N. Vasojevic, Naphtha ­ In: Philologus 128, 208-229, den L. allerdings nicht nennt) ­ verdeutlicht wird. Die von L. konstatierte Spannung, daß einmal das Naphtha als Bild für die transzendente selige Sohnschaft, das andere Mal für den innerkosmischen Sohn des Archonten stehe, so daß dasselbe Bild einmal im Sinne des Ascensus, einmal im Sinne des Descensus verwendet würde (298-299), besteht dabei m. E. nicht: In beiden Fällen steht das Naphtha für die untere, eine Veränderung erleidende Entität, die der Fernwirkung einer besseren, keine Veränderung erleidenden Realität unterworfen ist. Auch die anderen von L. herauspräparierten Spannungen im Bericht sind m. E. nicht durchschlagend, bedürfen aber einer eingehenderen Diskussion, als sie im Rahmen einer Rezension möglich ist. Sie zeigen aber, daß eine eingehende Interpretation des Hippolytschen Basilidesreferats sowohl im Rahmen der Häresiologie des Hippolyt als auch im Kontext des von ihm überlieferten Sonderguts, dringendes Desiderat der Forschung bleibt. Überhaupt scheint mir die Theologie der von Hippolyt verarbeiteten Quelle philosophisch und theologisch weitaus interessanter und origineller als der von L. rekonstruierte Basilides und verdiente daher auch in dem Falle, daß L. mit seiner Distanzierung dieser Quelle von Basilides und seiner Schule im Recht sein sollte, größte Beachtung.

Das Kapitel "Basilides und seine Schule ­ Versuch eines historischen Profils", das nicht zufällig sehr kurz geraten ist, schließt die Studie ab. Nach einer umfangreichen Bibliographie schließen nach einer Konkordanz zur Zählung der Fragmente bei Völker und L. sorgfältig gearbeitete Register (Bibelstellen, antike Quellen, moderne Autoren und Stichworte ­ ein Register der griechischen Termini fehlt leider) das Buch ab.

Die Stärke dieser Arbeit liegt in der Problematisierung des bisherigen Forschungskonsenses, denn sie zwingt dazu, bisherige Positionen neu zu überdenken. Diese hochgelehrte und anregende Studie könnte ein weiterer Beleg dafür sein, wie wenig Sicheres wir wirklich über die Frühgeschichte der christlichen Theologie zu sagen wissen. Sie wird, so steht zu hoffen, die Diskussion um Basilides und seine Stellung in der Theologie- und Geistesgeschichte enorm beleben: Über Basilides und seine Schule und über ihre Stellung im Rahmen der Geistes- und Kirchengeschichte des zweiten Jahrhunderts ist sicherlich noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Fussnoten:

(1) "Valentinus gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins", (WUNT 65), Tübingen 1992.