Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

772–774

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Klutz, Todd E.

Titel/Untertitel:

Rewriting the Testament of Solomon. Tradition, Conflict and Identity in a Late Antique Pseudepigraphon.

Verlag:

London-New York: T & T Clark International (Continuum) 2005. XII, 164 S. gr.8° = Library of Second Temple Studies, 53. Lw. £ 65,00. ISBN 0-5670-4392-4.

Rezensent:

Peter Busch

Das »Testament Salomos« (TSal) ist eine spätantike griechische pseudepigraphische Schrift, deren 26 Kapitel von Salomos Tempelbau mit Hilfe der Dämonen handeln. Im Mittelteil der Erzählung (Kapitel 2–18) wird von Salomos Befragung und Unterwerfung einzelner Dämonen mit Hilfe eines wirkmächtigen, vom Erzengel Michael verliehenen Ringes berichtet. Das Ende (Kapitel 19–26) erzählt von Salomos Fall und der Abfassung seines Testaments.
Diese Schrift, obwohl durch D. Dulings Übersetzung im ersten Band von Charlesworths »The Old Testament Pseudepigrapha« seit längerem einem breiten Publikum zugänglich gemacht, ist bislang als Stiefkind der Pseudepigraphenforschung anzusprechen. Die einschlägige Textedition von C. C. McCown stammt aus dem Jahre 1922, eine deutschsprachige Übersetzung der gesamten Schrift etwa – sieht man von den wenigen übersetzten Kapiteln in Paul Rießlers Klassiker »Altjüdisches Schrifttum« und einer schwer zugänglichen und problematischen Übersetzung einer einzigen Handschrift (Ms P) von Bornemann aus dem Jahre 1844 einmal ab – gab es vor 2006 nicht, und auch die Sekundärliteratur ließ, abgesehen von McCowns und Dulings Einleitungen, keinen Versuch einer Gesamtinterpretation der Schrift erkennen.
Umso erfreulicher ist es, dass sich eine scheinbare Wiederentdeckung dieses Pseudepigraphons abzeichnet. Angekündigt sind beispielsweise eine neue Textedition durch D. Aune in der Reihe »Commentaries on Early Jewish Literature« (bei W. de Gruyter) und die Aufnahme des Titels in die »Neue Folge« der »Jüdischen Schriften aus Hellenistisch-Römischer Zeit« (Gütersloher Verlagshaus). In diese Tendenz passt, dass um die Jahreswende 2005/2006 unabhängig voneinander in kurzer Folge zwei größere Studien zum Thema erschienen sind, im Januar 2006 meine deutsche Erstübersetzung mit Kommentar von McCowns Edition und davor im November 2005 T. Klutz’ Werk, das im Folgenden besprochen werden soll.
K. möchte, wie er im Vorwort ankündigt, eine Einführung in das TSal bereitstellen, die den historisch-kritischen Methodenkanon um poststrukturalistische Ansätze ergänzt. Sein Schwerpunkt liegt allerdings auf den eher traditionellen Fragestellungen zur Text-, Überlieferungs- und Quellenkritik, lediglich Kapitel 5 seiner Studie bietet eine dekonstruktivistische Sichtweise des Werkes. Diese Schwerpunktsetzung erscheint angesichts der noch vielfach offenen und ungeklärten Einleitungs- und Einzelfragen des TSal sinnvoll. Grundlegend ist für das Verständnis des TSal die Frage nach der Textüberlieferung. Die Forschung ist geprägt vom Textmodell des Herausgebers McCown, der die von ihm eingesehenen Textzeugen drei Rezensionen (einer älteren Rec A, einer Rec B und einer sekundären, späten Rec C) einer antiken, nicht mehr erhaltenen Grundschrift zuordnet. Dieses Textmodell hielt auch weiteren Handschriftenfunden durchaus stand, war jedoch nie unhinterfragt geblieben. Gerade in den letzten Jahren ist eine Fokussierung auf Rec B als eher grundlegend erkennbar, zumal diese auch durch die Handschriften P und N am besten dokumentiert ist. K. folgt dieser Tendenz, indem er die von McCown der Rec B zugeordnete Handschrift P als grundlegend ansieht, geht aber durchaus eigene Wege. Vor allem vermeidet er es, wie McCown von Rezensionen zu sprechen (warum eigentlich, da er die Handschriften doch nach McCowns Muster gruppiert?).
Mit der Fokussierung auf eine Handschrift ist ein erheblicher Perspektivwechsel für die Interpretation des TSal vorgeschlagen. Nicht mehr eine (angenommene) »Grundschrift«, sondern eine bestimmte Handschrift kann in K.s Sicht für die inhaltliche Interpretation als grundlegend angenommen werden, nämlich Ms P. Freilich bleiben hier Fragen offen: Wie ist beispielsweise das Verhältnis zu den von McCown der Rec A zugeordneten Handschriften? Wie das Verhältnis zu Ms N, das von McCown erst während der Drucklegung seiner Edition entdeckt wurde und darum nur stiefmütterlich berücksichtigt werden konnte? D. Aune hatte angekündigt, dass in seiner geplanten Neuedition gerade Ms N besondere Würdigung erfahren wird – es wird also eine spannende Diskussion um den Textbestand des TSal zu erwarten sein.
Diese textkritischen Entscheidungen gehen einher mit literarkritischen, auf deren Basis dem Leser folgende Entstehungsgeschichte des TSal entfaltet wird: In hellenistischer Zeit sei in Ägypten ein Dialog des Königs Salomo mit den 36 Dekanen kursiert, der heute TSal 18 bildet. Dieser sei mit einer prosalomonischen und von astrologischem Interesse geleiteten Erzählung von Salomos Tempelbau mit Hilfe der Dämonen (in etwa TSal 1–15) verbunden worden, so dass TSal 1–18 etwa zwischen 75–175 n. Chr. vorgelegen habe. Dies sei dann später zwischen 175–225 n. Chr. mit den salomokri­tischen Endkapiteln versehen worden, so dass das TSal in seiner späten, durch die Handschriften P und N repräsentierten Schicht im 3 .Jh. n. Chr. als christliches Pseudepigraphon anzusetzen sei.
Dieses Entstehungsmodell ist auf Grund der textkritischen Vorentscheidungen vor allem auf der Lektüregrundlage von Ms P gewonnen und auf der Basis der üblichen literarkritischen Beobachtungen wie semantischer Brüche (z. B. pro- und antisalomonisch, astrologischer vs. erotischer Themenschwerpunkt) oder Le­serimpulse (»vorgezogenes Ende« in TSal 15,8 als Hinweis für eine verarbeitete Quelle) begründet. Man kann K.s Rekonstruktion der inhaltlichen Linien durchaus folgen, wenn auch die Frage nach alternativen Szenarien bestehen bleibt.
Nur ein Beispiel: Ist der von K. beobachtete Unterschied in der Dämonologie zwischen Kapitel 1–15 und Kapitel 18 (wenn er wirklich so gegeben ist) ein deutliches Anzeichen für unterschiedliche Quellen – oder nicht als literarischer Spannungsbogen nach dem Motto »Salomo konnte Dämonen jeder Art überwinden« deutbar? Das vorliegende Buch – und dies sei in sehr würdigendem Sinne bemerkt – bietet nicht nur eine kohärente und begründete Interpretation des TSal, sondern regt auch zu Alternativdeutungen und zur Auseinandersetzung an. Dies gilt m. E. ganz besonders für das Salomobild, das K. entfaltet: Die letzte, christliche Interpretationsschicht setze eine antisalomonische (und affin dazu antijüdische) Perspektive an und bemühte dazu unter anderem das Repertoire der antiken Magiepolemik. Die Ausführungen über die literarische Spannung zwischen dem salomonischen Ich-Erzähler und dem antisalomonischen implizierten Autor, die besonders in Kapitel 5 entfaltet werden, sind mit Genuss zu lesen, regen allerdings auch hier den Leser zu alternativen Deutungen an: Ist nicht die Geschichte von Salomos Fall vor allem als Tribut an die biblische Vorlage zu verstehen? Kann eine »antisalomonische Perspektive« angesichts des Reuebekenntnisses Salomos in den letzten Versen des TSal so unbedingt angenommen werden?
K. bietet eine runde, materialreiche und begründete Lesart für das TSal, der in Folge eine angeregte Diskussion zu wünschen ist. Es ist etwas schade, dass K. die Zitate des TSal selbst auf ein Minimum reduziert hat – der Leser muss, will er K.s Argumentation beurteilen, den »Thesaurus Linguae Graecae« bemühen (will er nicht eines der raren Exemplare von McCowns Edition entleihen) oder zumindest zu einer modernen Übersetzung greifen. Aber vielleicht regt ja gerade dies zu einer intensiven Beschäftigung mit diesem Pseudepigraphon neu an, für das K. eine kohärente Studie vorgelegt hat.