Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

86 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Runggaldier, Edmund

Titel/Untertitel:

Was sind Handlungen? Eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Naturalismus.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1996. 212 S. gr.8° = Münchener philosophische Studien, 12. Kart. DM 49,80. ISBN 3-17-014013-2.

Rezensent:

Andreas Arndt

In seiner aus Vorlesungen hervorgegangenen Abhandlung stellt R. die im Blick auf ethische sowie rechts- und sozialphilosophische Probleme fundamentale Frage nach dem ontologischen Status von Handlungen. Er schließt sich damit der über die reine Sprachanalyse hinausgehenden Richtung der analytischen Philosophie an, die ontologische Fragestellungen rehabilitiert, möchte aber ­ anders als diese es zumeist tut ­ die Realität nicht durchgängig im Sinne eines vorwiegend an den physikalischen Wissenschaften orientierten Naturalismus begreifen. Hieraus ergibt sich eine doppelte Abgrenzung sowohl gegenüber der "traditionellen" Sprachanalyse als auch gegenüber naturalistischen Handlungserklärungen, die in einer ebenso kompetenten wie detaillierten Auseinandersetzung vor allem mit neueren Theorien durchgeführt wird. Dies macht das Buch insgesamt zu einem informativen Kompendium des gegenwärtigen Diskussionsstandes zum Handlungsbegriff in der analytischen Philosophie, wodurch es auch unabhängig von den eigenen Positionen R.s Aufmerksamkeit verdient.

Der Vf. möchte, wie er mehrfach betont, die ontologische Eigenart von Handlungen so bestimmen, daß alltägliche Handlungsvollzüge sowie Handlungserklärungen integriert werden können und das theoretische Modell anschlußfähig für praktisch-ethische Einstellungen des Alltagsbewußtseins bleibt. Das erste Kapitel ("Handlungen und Ontologie") kommt zu dem Ergebnis, daß "Handlungen auch konkrete Einzelereignisse sind" (40). Sie sind aber, wie aus der Auseinandersetzung mit Handlungsbeschreibungen im zweiten Kapitel hervorgeht, "Einzelentitäten besonderer Art" (55), die sich dadurch auszeichnen, daß ihnen eine irreduzible, nicht auf andere Faktoren zurückzuführende und insofern ursprüngliche bzw. "primitive" Intentionalität zugrundeliegt. Diese sei weder zu naturalisieren noch auf Willensakte oder kognitive Zustände des Handelnden zurückzurechnen. Der Rekurs auf Bedingungen, die der Handlung selbst vorausgehen, führe nur in einen unendlichen Regreß; unbefriedigend sei es aber auch, diesen Regreß willkürlich durch die Annahme von Elementarhandlungen ("basic actions") zu unterbrechen (52-55).

Demgegenüber schlägt R. vor, auf die Absichtlichkeit als Handlungskriterium zurückzugehen, denn dieser seien wir uns "unmittelbar, ohne vorherige Untersuchung" (90) gewiß. Entsprechend wird, im Ergebnis einer kritischen Diskussion kausaler Handlungserklärungen im dritten Kapitel, der "Begriff des spontan Handelnden" als "grundlegend" für die Handlungsontologie herausgestellt (152 f.). Der Handelnde selbst sei sich nicht nur seines absichtlichen Handelns unmittelbar gewiß, sondern er lasse sich unmittelbar auch "als Ursprung der Handlung angeben", wodurch man dem Problem des regressus in infinitum "ausweichen" könne und das ethische Sollen von kausalen Determinationen befreit werde (152). Demnach hängen Handlungen davon ab, wie der jeweils Handelnde "in seiner Wahrnehmungs- und Erlebniswelt und durch seine indexikalische Perspektive handelnd in die Welt eingreift" (185). Diesem Verhältnis von Handlung und Handelndem ist das abschließende vierte Kapitel gewidmet, das Handelnde als "ontologische Kontinuanten" bestimmt, d. h. ­ im Unterschied zu Ereignissen ­ als in der Zeit kontinuierliche Entitäten. Das "Ausweichen" in die unmittelbare Selbstgewißheit und Spontaneität des Handelnden erfolgt freilich um den Preis einer weitgehenden Ausblendung der Inhalte und objektiven Bedingungen des Handelns.

Handlungsrelevant seien nicht die Gegenstände der Handlung als solche, sondern allein die subjektiven (wenngleich nicht schlechthin privaten) Einstellungen des Handelnden zu diesen Gegenständen (vgl. 184). Ausgewichen wird damit auch dem Problem der Vermittlung dieser Einstellungen und der Handlungsabsichten; entsprechend ist auch von der Relation Mittel-Zwecke nur beiläufig die Rede (dem entspricht, nebenbei bemerkt, das Ausblenden der Vermittlung von Objektivität auf Seiten des szientifischen Naturalismus). Ob damit ein ja immer auch gegenständlich "eingreifendes" Handeln (185) auf den Begriff gebracht werden kann, ist ebenso zu bezweifeln wie die Übereinstimmung dieser Auffassung mit einem Alltagsbewußtsein von Handelnden, die nach den Bedingungen und dem Erfolg ihres Handelns fragen. Damit ist freilich ein Problem berührt, das über die Auseinandersetzung mit dem Naturalismus und damit über die Argumentationsabsicht R.s hinausgeht; es geht, traditionell gesprochen, um das Verhältnis von "Moralität" und "Sittlichkeit", d. h., um den Status einzelner Handlungsvollzüge in einer gesellschaftlichen Ontologie. An diesem Punkt wäre m. E. vor allem in ein weiterführendes, kritisches Gespräch mit den Thesen R.s einzutreten.