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Ausgabe: | Januar/1998 |
Spalte: | 80–82 |
Kategorie: | Dogmen- und Theologiegeschichte |
Autor/Hrsg.: | Pufendorf, Samuel |
Titel/Untertitel: | Gesammelte Werke. Hrsg. von W. Schmidt-Biggemann. 1: Briefwechsel, hrsg. von D. Döring.; 2: De officio, hrsg. von G. Hartung. |
Verlag: | Berlin: Akademie Verlag 1996/97. gr.8°. Lw. DM 298, u. 248,. ISBN 3-05-001920-4 u. 3-05-002880-7. 1: XXIX, 453 S.; 2: XV, 268 S. m. Abb. |
Rezensent: | Simone Zurbuchen |
Mit den ersten beiden Bänden der vorliegenden Gesamtausgabe werden gegensätzliche Aspekte von Pufendorfs Werk vorgestellt. Döring bringt zum ersten Mal eine vollständige Sammlung aller bisher aufgefundenen Briefe von und an Pufendorf zum Abdruck, die wertvolle Aufschlüsse hinsichtlich Biographie und Zeitgeschichte bieten. Mit der Neuausgabe von De officio hominis et civis juxta legem naturalem libri duo ist dagegen endlich die Schrift wieder greifbar, mit der Samuel Pufendorf seinen Einfluß auf die Entwicklung des Naturrechtsdenkens im 18. Jh. dauerhaft begründete. Ueber die Bedeutung der vorbildlich betreuten Briefedition informiert der Herausgeber in der Einleitung und im Anhang finden sich Informationen über Pufendorfs Korrespondenten, Handschriftenverzeichnis, Werk-, Orts- und Sachregister sowie Namensverzeichnis. Da sich vorhandene Spuren des Pufendorf-Nachlasses bereits im frühen 18. Jh. verlieren, war die Forschung bisher auf die 1875 publizierte, "bis heute in ihrer Ausführlichkeit unübertroffen gebliebene Lebensdarstellung Pufendorfs" von Heinrich v. Treitschke (XIV) sowie die Edition ausgewählter Briefe, die K. Varrentrapp und E. Gigas am Ende des 19. Jh.s besorgten, angewiesen. Die größte Zahl der von Döring erstmals publizierten Briefe (Korrespondenz mit Adam Rechenberg und Christian Thomasius) stammt aus Pufendorfs letztem Lebensjahrzehnt; diese zeigen u. a., daß Pufendorf stärker als bisher angenommen am politischen Geschehen seiner Zeit teilgenommen hat (XIX). Vor diesem Hintergrund erklärt sich z. B. sein verstärktes Interesse für das Verhältnis zwischen den christlichen Konfessionen, zu dem er schließlich im posthum publizierten Traktat Jus feciale divinum sive de consensu et dissensu protestantium Stellung bezogen hat.
Bei dem in Bd. 2 abgedruckten Werk handelt es sich um eine Kurzfassung von Pufendorfs Hauptwerk De jure naturae et gentium libri octo, die dieser speziell zum Nutzen der Jugend im bürgerlichen Leben (vgl. Vorrede, 5/101) anfertigte. Dem lateinischen Originaltext (1673) hat der Herausgeber die deutsche Erstübersetzung von Immanuel Weber (1691) zur Seite gestellt. Wie Hartung einleitend zu recht feststellt, rechtfertigt sich der Abdruck dieser heute umständlich wirkenden Übersetzung dadurch, daß sich an ihr die Entstehung einer differenzierten politischen, moralphilosophischen und juridischen Fachsprache studieren läßt (IX, XIV). Dem vorliegenden Band steht als sozusagen ideale Ergänzung eine moderne, gut lesbare Übersetzung von Klaus Luig gegenüber, die 1994 in der Reihe Bibliothek des Deutschen Staatsdenkens im Insel-Verlag erschienen war.
Der Sachkommentar, der sich auf die wesentlichen Quellenverweise beschränkt, sowie Personen- und Sachregister erlauben es dem Leser, sich im sorgfältig edierten Text rasch und gut zurechtzufinden. Auch die Einleitung des Herausgebers bietet in vorbildlicher Kürze einen Überblick über das historische und systematische Interesse, das Pufendorfs Schrift in der Gegenwart gefunden hat. Hartung geht zunächst auf deren Rolle bei der Institutionalisierung des Naturrechts an den deutschen Universitäten ein und führt anschließend in zentrale Interpretationsprobleme ein, die sich daraus erklären, daß Pufendorfs Naturrechtslehre gleichzeitig als eine politische Philosophie nova methodo und als Kommentar zur abendländischen Rechtstradition zu lesen ist (XI). So sehr dem Herausgeber darin zuzustimmen ist, daß er De officio als selbständiges Werk behandelt, das neben De jure ein rezeptionsgeschichtliches Eigenleben entfaltet hat, so wäre es doch nützlich gewesen, an einigen Stellen Unterschiede zum Hauptwerk etwas stärker zu akzentuieren. Ich denke hier insbesondere an einen einschlägigen Hinweis darauf, daß die Vorrede zu De officio eine Schlüsselstelle zur systematischen Trennung zwischen Naturrecht und Moraltheologie enthält ein Problem, das die Pufendorf-Forschung bis heute nachhaltig beschäftigt. Ebenso verdiente die Tatsache der besonderen Erwähnung, daß Pufendorf nicht schon im Hauptwerk, sondern erst in De officio ausführlicher von den Pflichten des Menschen gegenüber Gott resp. der natürlichen Religion handelt. Daraus erklärt sich erst, warum die Kurzfassung zum Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung von Pufendorfs Naturrechtslehre in der Schottischen Aufklärung wurde. Gershom Carmichael, der Lehrer Francis Hutchesons, gründete das Naturrecht nicht auf die menschliche Natur, sondern auf die natürliche Theologie.
Mit dem Stichwort Schottische Aufklärung verbindet sich eine Frage, die m. E. im Blick auf eine Gesamtausgabe der Werke Pufendorfs zentral ist, und deren Lösung nach Erscheinen des 2. Bandes noch nicht absehbar ist. Obwohl Hartung ankündigt, in der Einleitung auf "die Verbreitung der Naturrechtslehre in Europa" (so der Titel) einzugehen, steht die Rezeptionsgeschichte in Deutschland ganz eindeutig im Vordergrund. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Die Pufendorf-Forschung kommt allerdings ohne gewisse Schlüsseltexte, die von französischen oder englischen Kommentatoren stammen, nicht aus. Mit Bezug auf De officio wären hier noch vor Carmichaels Kommentar Jean Barbeyracs Anmerkungen zu erwähnen, die im 18. Jh. oft genauer gelesen wurden als Pufendorfs Text und z. T. auch in spätere lateinische und englische Ausgaben übernommen wurden. Dann ist aber auch an die für die Entwicklung der Moralphilosophie im 18. Jh. höchst bedeutsame Kontroverse zwischen Leibniz und Barbeyrac über den Begriff der Verpflichtung zu denken. Da Barbeyrac Leibniz Kritik an Pufendorf und seine eigene Replik im Anhang zu seiner Übersetzung von De officio publizierte, ist die Kontroverse ganz unmittelbar mit der Rezeption des Werks verbunden. Es wäre sehr zu wünschen, daß auch solche Texte der Forschung wieder leicht zugänglich gemacht würden.