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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

593–595

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kropač, Ulrich

Titel/Untertitel:

Religionspädagogik und Offenbarung. An­fänge einer wissenschaftlichen Religionspädagogik im Spannungsfeld von pädagogischer Innovation und offenbarungstheologischer Position.

Verlag:

Münster-Berlin: LIT 2006. XVI, 382 S. gr.8° = Forum Theologie und Pädagogik, 13. Geb. EUR 49,90. ISBN 3-8258-9091-0.

Rezensent:

Matthias Gronover

Das Buch von Ulrich Kropač ist aus zwei Gründen eine wichtige theo­logische Standortbestimmung: Erstens verdeckt der derzeitige Sog der (ansonsten begrüßenswerten) empirischen Forschung innerhalb der Religionspädagogik ihre theologischen Prämissen zunehmend. Eine dezidiert theologisch geführte Reflexion religionspädagogischer Argumentationsmuster wirkt dem entgegen. Und zweitens muss um der wissenschaftstheoretischen Selbstvergewisserung in der Gegenwart willen die Entstehungsgeschichte der Religionspädagogik in den ersten drei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts besonderes Augenmerk be­kommen, da hier die gesellschaftliche wie theologische Problemlage zu entdecken ist, die Religionspädagogik erst ermöglicht.
K., derzeit Professor für Religionspädagogik und Katechetik an der Theologischen Hochschule Chur, widmet sich in seiner Habilitationsschrift der Beziehung zwischen Offenbarungstheologie und Religionspädagogik. Diese Beziehung umschreibt ein Problem, das die Religionspädagogik bis heute prägt: Jede Offenbarungstheologie, so K. mit Bezug auf Peter Eicher, trage eine bestimmte religionspädagogische Konsequenz in sich. Deswegen sei folgerichtig, innerhalb des religionspädagogischen Diskurses des ersten Drittels des 20. Jh.s nach dem ihm innewohnenden Offenbarungsverständnis zu fragen. Dazu geht K. davon aus, dass die Religionspädagogik in ihren Anfängen den reformpädagogischen Impuls der Hinwendung zum Kinde positiv aufnimmt. Die Reformpädagogik wird damit zu einem wichtigen Datum religionspädagogischen Selbstverständnisses, denn sie setzte eine Dynamik in Gang, die das Er­ziehungssystem zwang, über sich hinaus zu denken und die Anliegen der Adressaten der Erziehung, der Kinder und Jugendlichen, ernst zu nehmen. Schon hier zeichnet sich ab, dass diese Art, Erziehung zu denken, die Grenzen des Erziehungssystems überschreiten musste. Reformpädagogik galt als kritische Reaktion auf ge­samtgesellschaftliche Entwicklungen.
Zeitgleich mit der pädagogischen Bewegung »entwickelte sich innerhalb der katholischen Katechetik eine Reformbewegung, die den erstarrten und in pädagogischer Hinsicht rückständigen Re­ligionsunterricht« (4) erneuern wollte. K. unterscheidet zwei Pe­rioden der religionspädagogischen Reform. Innerhalb der ersten macht er das »Anschauungsprinzip« und innerhalb der zweiten das »Selbsttätigkeitsprinzip« als systematische Mitte aus. Beide Prin­zipien können, so die These von K., als »implizite Anfrage an die neuscholastische Offenbarungstheologie interpretiert werden« (5). Während das Anschauungsprinzip seine didaktische Gestalt in der Münchner Methode fand, begegnet das Selbsttätigkeitsprinzip im Gedanken der Arbeitsschule. Da die historische Beschäftigung mit religionspädagogischen Quellen »erste Spuren einer anthropologisch gewendeten Theologie« (12) aufdecken soll, umfasst der Zeit­raum der Untersuchung die Jahre von 1900 bis 1970. Damit kommt über das erste Drittel des 20. Jh.s hinaus auch das zweite Drittel in den Blick, das durch eben diese anthropologische Wende in der Theologie geprägt war. In der Religionspädagogik schlug sie sich in Gestalt der materialkerygmatischen Wende nieder. In ihr sieht K. die Verlängerung von Anschauungs- und Selbsttätigkeitsprinzip in die Religionspädagogik. So fügen sich die historischen Gegenstandsbereiche in dieser Untersuchung in eine Entwicklungslinie, deren Konturen freilich von K. durch seine theologischen Prämissen vorgezeichnet sind. Dementsprechend gliedert sich das Buch in drei Teile. Teil 1 umfasst die Darstellung und Diskussion des An­schauungsprinzips der Münchner Methode; Teil 2 stellt das Selbsttätigkeitsprinzip der Arbeitsschulbewegung dar und diskutiert dieses vor dem Hintergrund einer »impliziten Kritik« der religionspädagogischen Reformbewegung am instruktionstheoretischen Offenbarungsverständnis des kirchlichen Lehramts. Teil 3 untersucht, wie die Materialkerygmatik die in den Teilen 1 und 2 diskutierten Reformanstrengungen aufgenommen und weitergeführt hat. Ein Abschlusskapitel bündelt die bis hierhin gebotene Darstellung und bietet eine Zusammenfassung.
Neben der Rekonstruktion der katechetischen Diskussion und der beginnenden katholischen – nur auf diese bezieht sich K. – religionspädagogischen Diskussion der Münchner Methode und des Arbeitsschulgedankens ist der (fundamental-)theologische Argumentationsstrang K.s eine wichtige Stütze, um seine These – das Offenbarungsverständnis der beginnenden Religionspädagogik nehme die anthropologische Wende im Offenbarungsverständnis des Lehramtes vorweg beziehungsweise bereite diese Wende vor – zu untermauern. Die reformpädagogische Kritik an Institutionen des Bildungssystems wird von K. aufgegriffen, um katechetische Erneuerungsbestrebungen plausibel machen und diese Erneuerung als Kritik am instruktionstheoretischen Offenbarungsmodell der Kirche nach dem Ersten Vatikanum verstehen zu können. Da­bei nennt K. diese Kritik »implizit«, weil die Forderungen der Methodenbewegungen zwar als kritische Anfrage an das Offenbarungsmodell verstanden werden konnten, die Forderung nach Reform dieses Offenbarungsmodells selbst aber »nicht offen gestellt wurde« (69), um, so K., die Konfrontation mit der Amtskirche zu vermeiden. Dabei kommt in K.s Darstellung allerdings zu kurz, dass eine implizite Kritik am lehramtlichen Offenbarungsmodell nicht zugleich eine Kritik an der Kirche sein musste und dass die Träger der katechetischen Erneuerungsbewegung, aus der die moderne Religionspädagogik seit ihrer Bezugnahme auf die Pädagogik nach K. hervorging, auf katholischer Seite meist (geistliche) Religionslehrer als Inhaber eines katechetischen Amts waren. Als solche nämlich waren sie in das kirchliche Lehramt einbezogen, und selbst »implizite« Kritik am Offenbarungsmodell hätte außergewöhnliche und schon damals offensichtliche Beweggründe haben müssen. Eine implizite Kritik am neuscholastischen Offenbarungsmodell spielt sich demnach auf der Ebene der Methode ab, weniger inhaltlich.
Die Entwicklung von der Katechetik zur Religionspädagogik ist als Emanzipationsbewegung gerade dadurch ausgezeichnet, dass Laien als Religionslehrer zunehmend gleichberechtigt neben Geistliche treten. Dieser Punkt wird von K. u. a. im Teil 2 des Buches genauer untersucht. Denn vor allem aus der Sicht des Selbsttätigkeitsprinzips der Arbeitsschule folgt, dass sich die Rolle des Religionslehrers und der Religionslehrerin von einer den Unterricht dominierenden Figur in die Richtung einer Begleitung und Unterstützung von Lernprozessen wandeln muss. Dabei kommt ein Lehrerbild in den Blick, »in dem eine dialogische Begegnung zwischen Lehrer und Schüler an die Stelle einer monologischen Belehrung des Schülers durch den Lehrer tritt« (249).
In offiziellen kirchlichen Dokumenten findet diese Konzeption erst im Synodenbeschluss zum Religionsunterricht von 1974 seinen Niederschlag. K.s Verdienst ist es, die Entstehung bzw. Ent­wick­lung einer theologischen Grundvoraussetzung katholischer religiöser Bildungsprozesse in die Anfänge der Religionspädagogik zu­rückzu­verfol­gen. Dabei weist er von der Geschichte ausgehend auch auf heu­tige Desiderate hin, die er abschließend benennt: Religionspädagogik solle neben der empirischen Forschung auf der Höhe forschungsmethodologischer Standards den Dialog mit der Fundamentaltheologie pflegen und »theologisch-anthropologische Ansätze der Fragmentarität und des Fremden« (350) rezipieren. Dem ist zuzustimmen.
Die auf die Absicht zurückgehende Arbeit, die Reformimpulse der Religionspädagogik des frühen 20. Jh.s als Kritik am neuscholastischen Offenbarungsmodell zu deuten, zeigt, dass die Religionspädagogik ein Reflex auf sozialstrukturelle Entwicklungen war und ist. Seitdem begründet sich diese Wissenschaft theologisch wie sozialwissenschaftlich. K. gelingt mit dieser Arbeit eine theologische Durchdringung des religionspädagogischen Entstehungszusammenhangs. Auf dieses Erkenntnisinteresse ist die Arbeit zu­geschnitten. Regionale Differenzierungen des deutschsprachigen katholischen religionspädagogischen Diskurses vor und nach den Kriegen und die mit der zunehmenden Mobilität und Industrialisierung um die Jahrhundertwende 19./20. Jh. einhergehenden sozialstrukturellen Bedingungen von Kirchlichkeit sowie schließlich ein theoretischer Rahmen, der das religionspädagogische Offenbarungsverständnis weniger eng an das lehramtliche koppelt, bleiben Forschungsaufgaben katholischer Religionspädagogik. K. hat in diesem Forschungsfeld einen wichtigen Beitrag geleistet, weil er ein Prinzip katholischer Religionspädagogik extrahiert hat: Sie muss über ihre sozialen wie theologischen Bedingungen hinausdenken, um sich wissenschaftstheoretisch zu verantworten.