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Ausgabe:

Mai/2007

Spalte:

585–587

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Mädler, Inken

Titel/Untertitel:

Transfigurationen. Materielle Kultur in praktisch-theologischer Perspektive.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2006. 402 S. m. Abb. 8° = Praktische Theologie und Kultur, 17. Kart. EUR 34,95. ISBN 978-3-579-03496-0.

Rezensent:

Harald Schroeter-Wittke

Die in Frankfurt 2004 angenommene praktisch-theologische Habilitationsschrift behandelt auf beeindruckende Weise ein wichtiges Alltagsthema, um das die Theologie bislang einen großen Bogen gemacht hat, teils, weil es zu unscheinbar schien, teils, weil es für eine immer noch von der Hochkultur geprägte praktisch-theologische Wissenschaft in solchen sanften Auen rangiert, dass es zumeist gar nicht zur Kenntnis genommen wird, teils aber auch, weil es immer sehr schnell unter den theologischen Verdacht des Götzen dienstes bzw. des Fetischismus gerät. Es geht schlicht um die durchschnittlich 10000 Dinge, die jeder deutsche Bundesbürger sein Eigen nennt. Während ihres Erziehungsurlaubs kam M. verstärkt in Kontakt mit dieser von der Wissenschaft kaum beachteten Welt, die voll ist von Investitionen an Zeit, Geld und emotionaler Energie und für die Lebenswelt der meisten Menschen von entscheidender Bedeutung ist. Dabei stellte sich die Frage, welche religiöse Signifikanz diese Dinge oder ein Teil von ihnen aufzuweisen in der Lage sind und wie sie zur religiösen Lebensqualität beizutragen vermögen.
M., zunächst Assistentin bei Rainer Volp, seit dessen frühem Tod in der Frankfurter Praktischen Theologie mit ihrem phäno­menologischen Ansatz beheimatet, fährt für die Analyse dieses äußerst komplexen Themas eine Vielzahl von Methoden und Zu­gangsweisen auf. Ihre Arbeit ist in zwei große Teile gegliedert, die durch ein Scharnierkapitel zusammen gehalten werden. Weil es in der Theologie so gut wie keine Forschungen zur materiellen Kultur gibt, stellt M. in ihren ersten drei Kapiteln die Gründe für die­se Fehlanzeige ebenso dar wie ihre praktisch-theologischen Zugangsweisen, die phänomenologische Fragen ebenso berück­sichtigen wie empirische.
Ausgehend von der EKD-Kultur-Denkschrift »Räu­me der Be­gegnung«, in der materielle Kultur allenfalls unter der Überschrift des Trivialen Platz findet, über die Sichtung der theologischen Arbeiten im Gefolge des cultural turn bis hin zum Spannungsfeld von Lebenswelt und Alltagskultur bei Henning Luther und einer Praktischen Theologie als Kunst der Wahrnehmung bei Albrecht Grözinger erörtert sie ihre Zugangsweisen zur materiellen Kultur, die bei den genannten Ansätzen aber so gut wie nicht in Erscheinung tritt. Einen wesentlichen Grund dafür sieht sie in einer notorischen theologischen Kulturkritik an Hab-Seligkeit und Hab-Sucht, die die Dinge erst gar nicht wahrnehmen zu müssen glaubt, weil sie immer schon im theologischen Abseits stehen. Stattdessen favorisiert M. die theologische Kompetenz be­sonders der US-amerikanischen Konsumforschung, die in ihrer empirisch gestützten symbolischen Konsumforschung das Thema Religion längst auf ihrer Tagesordnung hat. Diese theologische Kompetenz grundiert sie schließlich mit den transdisziplinären kulturwissenschaftlichen Forschungen zur materiellen Kultur der letzten 50 Jahre. Da­bei spielen u. a. die Konzepte von Vilém Flusser, Susanne K. Langer, Mihalyi Csikszentmihalyi, Eugene Rochberg-Halton und Da­vid W. Winnicott eine wichtige Rolle. Es geht u. a. um das Nachvollziehen des Weges vom Werkzeug zur Atmosphäre, von der Sach­kultur zur Sinnkultur, vom Fetisch zum Übergangsobjekt, vom Zu­handenen zur Ekstasis der Dinge, in deren Gefolge die Widerständigkeit der Gegenstände zur Geltung kommt, die allererst zu Transfigurationen führen können. M. versteht dabei mit Arthur Danto Transfiguration als »die wechselseitige ›Verklärung des Ge­wöhnlichen‹, und zwar sowohl die Verklärung des Gegenstands durch die Person als auch umgekehrt die Verklärung der Person durch die Vergegenständlichung« (16).
Das 4. Kapitel bildet ein Scharnier zwischen ihrem grundsätzlichen Theorieteil und ihrer empirischen Analyse. Dabei begründet sie ihre Frage nach den Gegenständen, an denen das Herz hängt, in Auseinandersetzung mit Luthers Diktum einerseits, aber auch mit den Erfordernissen eines empirischen Forschungsdesigns andererseits. Sie begründet des Weiteren ihre Entscheidung, bei der Analyse ihres empirischen Materials mit Clifford Geertz’ Methode der dichten Beschreibung zu operieren. Sie begründet schließlich einleuchtend ihre Beschränkung auf Frauen als befragte Personen, weil diese durch ihre Geschichte besonders im 19. Jh. zu Expertinnen des Alltags wurden, sowie den Mix der elf befragten Frauen, in dem es um eine möglichst große Kontrastierung geht. Denn nur so wird deutlich, dass die materielle Kultur weitgehend unabhängig von Faktoren wie Urbanität, Familienstand, Alter, Bildung etc. religiöse Dimensionen aufweist.
Die Kapitel 5 und 6 beschreiben zum einen die elf Frauen und deren heilige Dinge. Zum anderen wird in einer faszinierenden dichten Beschreibung, in der M. eine große Menge an kulturwissenschaftlichem Kontextwissen erhellend integriert, der Prozess der Transfiguration als einer wechselseitigen Verklärung beschrieben. Alle diese Gegenstände bewirken Erinnerung, indem sie als Heterotopien und Heterochronien wirken. Ein letztes Kapitel re­flektiert den Prozess dieser Studie und ihre Ergebnisse noch einmal übergreifend praktisch-theologisch auf die sakramentstheologische, die bildungstheoretische und die kasualtheoretische Relevanz der Gegenstände hin.
M. legt nicht nur eine mutige Qualifikationsarbeit vor, sondern sie brilliert auch in praktisch-theologischer Hinsicht, z. B. in der Verbindung von phänomenologischen und empirischen Fragestellungen, ebenso wie in kulturwissenschaftlicher Hinsicht. Dennoch bleiben für mich einige Fragen offen: Zum einen hätte ich mir eine noch schärfere Klärung des Transfigurationsbegriffs gegenüber dem Transformationsbegriff gewünscht, wie er zurzeit in den Kulturwissenschaften breit erörtert und entwickelt wird. Zum anderen will M. »aus einer bisherigen ›Leerstelle‹ praktisch-theologischer Reflexion eine ›Lehrstelle‹ sui generis machen« (17). Ich hege hier phänomenologische Zweifel, denn die von ihr zitierten Phänomenologen wie Bernhard Waldenfels oder Maurice Merleau-Ponty würden doch wohl eher aus einer Lehrstelle eine Leerstelle machen wollen, damit nicht nur die Erinnerung, sondern auch das Vergessen seinen Raum hat. M. übersieht leider das Konzept einer profanen Religionspädagogik, welches sich in genau ihrem Themenkreis profiliert hat, und kommt so zu der Fehleinschätzung, dass die Theologie sich bislang gar nicht mit der materiellen Kultur beschäftigt habe. Bernd Beuscher, Dietrich Zilleßen, Andreas Mertin, Benita Joswig, aber auch der Kreis um Henning Schröer mit z .B. seinen alltagsliturgischen Mitbringseln bei Liturgischen Wo­chen haben hier schon einiges ge- und erarbeitet, theoretisch wie praktisch. In ihrem Schlusskapitel benennt M. schließlich die Aufgabe, »die Chancen und die Gefahren der menschlichen Bindungsfähigkeit an die Dinge zu thematisieren, um lebensdienliche Ob­jektbezüge von destruktiven zu unterscheiden und erstere zu kultivieren« (357). Ihr Buch berichtet allerdings nur von vorgeblich lebensdienlichen Objektbezügen und gibt keine Hilfestellungen für das Unterscheiden von lebensdienlichen und destruktiven Ob­jektbezügen. Ich vermute hier Zusammenhänge mit ihrem Re­li­gionsbegriff, der zwar in faszinierender Weise Religion entde­cken und konstatieren kann, aber kaum in der Lage ist, diese kritisch zu beurteilen. Es bleibt daher letztlich eine Leerstelle nicht nur zwischen Phänomenologie und Empirie, sondern auch zwischen dem Beschreibbaren und dem Unbeschreibbaren und damit zwischen Religion und Religion.