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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

28–31

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fornberg, Tord

Titel/Untertitel:

The Problem of Christianity in Multi-Religious Societies of Today. The Bible in a World of Many Faiths.

Verlag:

Lewiston-Quenstown-Lampeter: Mellen Press 1995. III, 304 S. gr.8°. ISBN 0-7734-8877-4.

Rezensent:

Lars Thunberg

In den meisten Ländern der Welt finden wir heute faktisch eine auch religiös plurale Situation vor. Dort, wo früher eine einzige Religion dominierte und man von einer homogenen Kultur sprechen konnte, hat man es inzwischen mit multi-religiösen Gesellschaften zu tun, auch wenn teilweise heftig dagegen angekämpft wird ­ wie z. B. in der islamischen Welt durch konfessionalistische politische Strukturen und die Sharia-Gesetzgebung, verbunden mit fundamentalistischen Strömungen ­ und man die Illusion so lange wie möglich aufrechtzuerhalten versucht, Homogenität als das einzig Natürliche praktizieren und bekunden zu können.

Die christliche Welt hingegen ist ihrerseits in eine ganz spezielle Verlegenheitssituation geraten. Einerseits ist sie teilweise so säkularisiert und mit den kritischen Wissenschaften der Moderne seit langem so stark verbunden, daß sie die kontinuierlichen Veränderungen unserer Zeit in ihr eigenes Selbstbewußtsein miteinbezieht. Andererseits aber spielt auch im christlichen Kulturkreis ein wachsender Fundamentalismus eine wichtige Rolle, der mehr ist als bloßes Gegenphänomen. Die Theologie reagiert darauf weithin mit Bemühungen um interreligiöse Dialoge und mit Versuchen, eine systematische Religionstheologie zu entwickeln. Immer ist dabei die Frage nach Rolle und Autorität der biblischen "Offenbarung" zentral. Wir haben uns daran gewöhnt, von einer exklusivistischen, einer inklusivistischen und einer (prinzipiell-)pluralistischen Position zu sprechen. Im vorliegenden Buch ist die Diskussion dazu als Hintergrund vorausgesetzt, aber als solche nicht eigens systematisch thematisiert. Prinzipiell ist das zu begrüßen, da so die Mannigfaltigkeit der Positionen besser zum Ausdruck kommt.

In den letzten Jahren ist die Literatur, die sich diesem Thema widmet, beinahe unüberschaubar geworden. Übersichtliche Studien sind darum immer willkommen. Der schwedische Bibelwissenschaftler Tord Fornberg aus Uppsala ist ein ausgezeichneter Kenner der fraglichen Diskussion und konnte so mit seinem Buch einen wichtigen Dienst leisten. Da er zu Einschränkungen genötigt war, bildet die Frage nach dem Bibelbezug der an der Diskussion um die Religionstheologie beteiligten Theologen und der von ihnen benutzen Dokumente das Schwergewicht seiner Arbeit. Darüber hinaus gibt er jedoch auch einen guten Gesamtüberblick und ist als Wegführer vertrauenswert.

F. konzentriert sich auf den Zeitabschnitt von 1961 bis 1991. In den frühen 60er Jahren fand sowohl in der katholischen Kirche durch das II. Vatikanische Konzil als auch im Weltkirchenrat eine deutliche Neuorientierung den anderen Religionen gegenüber statt. Das christomonistische Modell wurde bei der Generalvertretung in Neu Delhi 1961 relativiert durch ein Schlüsselreferat des amerikanischen lutherischen Theologen Joseph Sittler und den Eintritt der trinitarisch orientierten orthodoxen Kirchen. Auf der katholischen Seite wurde 1965 durch die Konzilsdeklaration Nostra Aetate eine Neuorientierung eingeleitet. Später engagierten sich auch die Päpste, besonders der jetzige Papst, durch Reisen in alle Welt und die Friedenstagung in Assisi 1986. F. geht dann auf die Generalversammlung des Weltkirchenrates 1991 in Canberra ein, auf der die koreanische Theologin Chung Hyun-Kyung in ihrem Hauptreferat eine sehr radikale pneumatologische Position einnahm, die von vielen Delegierten, besonders den orthodoxen, vehement abgewiesen wurde. ­ Dieses Ereignis wird vom Vf. möglicherweise überbewertet.

Der Aufbau des Buches ist natürlich in vielerlei Hinsicht selektiv. Von den drei Hauptteilen beschäftigt sich der erste mit den Positionen von "Official Church Bodies". Diese Formulierung ist teilweise irreführend, denn die vier "Bodies", die behandelt werden, sind nicht vergleichbar: die Römisch-Katholische Kirche, der Weltkirchenrat, das Luthertum und der evangelikale Protestantismus. Inkonsequent ist auch, daß in vielen Fällen Einzelpersonen die ausschlaggebende Rolle beigemessen wird. Als Leiter der ökumenischen Dialogprogramme werden Stanley Samartha, Wesley Ariarajah und Paul Rajashekar hervorgehoben, obwohl es doch die asiatisch orientierte Religionstheologie ist, die analysiert werden soll. In Verbindung mit dem Weltkirchenrat werden einige orthodoxe Theologen behandelt, aber auch hauptsächlich als Einzelpersonen. Auf der anderen Seite werden die Dokumente der Lausanne-Bewegung als solche behandelt. Das Dilemma F.s ist verständlich, aber die Frage nach der Repräsentativität seiner Ausführungen bleibt bestehen.

Der zweite Hauptteil zeigt ebenfalls bewußte Selektivität: "Theology of Religions against a Background of Hinduism and Buddhism". Die Theologen vertreten Indien, Sri Lanka, Thailand und Hong Kong. Das bedeutet z. B., daß bedeutende andere Theologen aus Asien wie Kosuke Koyama und Choan Seng Song (mit ihrem Herkommen von dem japanischen lutherischen Theologen Kazoh Kitamori) nicht analysiert werden. Kritisierbarer aber ist, daß zwar eine ältere Generation indischer Theologen ­ wie Paul Devanandan und M. M. Thomas als Vertreter des Weltkirchenrates ­ behandelt wird, aber im Gegensatz zu Devanandan die Darstellung seines Nachfolgers Thomas tiefgehender sein könnte. Devanandans mehr und mehr kritisches Verhältnis zur Theologie Hendrik Kraemers in dessen Tambaram-Buch von 1938 "The Christian Message in a Non-Christian-World" wird zu Recht hervorgehoben, Thomas’ Titel "The Acknowledged Christ of the Hindu Renaissance" aber wird in seiner Beduetung nicht voll eingesehen.

An diesem Punkt der indischen religionstheologischen Entwicklung möchte ich zwei Dinge besonders hervorheben.

Erstens: Die sogenannte Hindu-Renaissance hatte seit Ram Mohan Roy ein christliches Element einbezogen ­ Ghandi tat das auch ­, was bedeutete, daß beide Seiten (Hindus und Christen ­ freilich nur ihre Eliten, aber immerhin) dialogfähig waren. Gerade diesen Prozeß beschreibt Thomas in seinem Buch, das die späteren vom Vf. dargestellten Theologen zweifellos beeinflußt haben muß. Es ist nicht zufällig, daß die Bücher von Samartha "The Hindu Response to the Unbound Christ" und von Raimundo Pannikar "The Unknown Christ of Hinduism" in ihren Titeln an den von Thomas erinnern (Pannikar wird leider nicht behandelt).

Zweitens: Es scheint mir notwendig, die im Tambaram-Jahr (1938) verfaßte Madras-Anthologie "Rethinking Christianity in India" zu erwähnen. Ihre Verfasser ­ V. Chakkarai, P. Chenchiah und A. J. Appasamy ­ wendeten sich gegen die Position der Missionskonferenz in Tambaram und entwickelten eine dialogische Theologie, die heute auch vom Weltkirchenrat positiv bewertet wird. M. E. müssen also diese beiden Bücher mitbedacht werden, wenn man die späteren asiatischen Theologen behandelt. (Chakkarai wird überhaupt nicht erwähnt.) Die Analysen der jüngeren Theologen im vorliegenden Buch aber sind sehr hilfreich ­ z. B. die zu S. Rayan, M. Amaladoss, A. Pieris und L. de Silva.

Der dritte Hauptteil trägt die Überschrift "Theological Implications". Er besteht aus zwei Teilen. Der erste konzentriert sich auf die Frage nach dem Brennpunkt heutiger Religionstheologie. Die konfessionellen Gesichtspunkte treten dabei zurück, so daß F. einen Artikel des katholischen Theologen Hans Waldenfels zum Ausgangspunkt nehmen kann. Damit konzentriert er sich auf vier Themen: Kirche, Jesus, Gott und Reich Gottes. Diese Methode erweist sich als fruchtbar, obwohl eine stärkere konfessionelle Differenzierung durchaus interessant wäre. Auch könnten unter dem Thema Reich Gottes noch sozialethische Aspekte ebenso wie die Frage nach der schweigenden christlichen Präsenz verhandelt werden.

Der Bibelbezug ist auch hier zentral. Der letzte Abschnitt dieses Teils behandelt die Verwendung einzelner Schriftstellen. F. notiert Unterschiede in der Wertung des Alten Testaments und zeigt vor allem auf, wie die Textzusammenhänge oft von denjenigen verkürzt werden, die eine mehr oder minder religionspluralistische Position vertreten. Es finden sich auch wichtige Abschnitte zur Frage nach der Autorität der Heiligen Schriften anderer Religionen (besonders in der indischen Diskussion) und zur vor allem für die Protestanten bedeutsamen Frage nach dem "Kanon im Kanon". Dabei hätte die wichtige Doktorarbeit der norwegischen Systematikerin Inge Lønning zum Thema erwähnt, zumindest aber angedeutet werden können, daß die Diskussion über die hierarchia veritatum des II. Vatikanischen Konzils parallele Bedeutung haben könnte (behandelt im lutherisch-katholischen Malta-Bericht).

Man kann beklagen, daß das vorliegende Buch eher deskriptiv denn systematisch-kritisch gearbeitet ist. Immerhin treten wichtige Beobachtungen zu Tage: z. B. daß für Hans Küng die Kirche "the extraordinary way" zum Heil ist und die Religionen "the ordinary way" sind, während für Paul VI in Evangelii Nuntiandi (1975) Christus "the ordinary paths to salvation" offenbart usw. Es begegnen aber auch Charakteristiken, die nicht unmittelbar einleuchten. Einiges davon sei zum Schluß noch kurz erwähnt: Wer die großen Persönlichkeiten Hendrik Kraemer und W. A. Visser’t Hooft kennengelernt hat, sähe gern ihre Beurteilung durch den Vf. modifiziert. Beide waren von Karl Barth beeinflußt, aber "Barthianer" war keiner von ihnen ­ und Barth selbst hat ja einmal gesagt: "Sie dürfen nie Barthianer sein!". Im Gegensatz zu Barth war Kraemer in Leiden religionsgeschichtlich ausgebildet worden und stark von P. D. Chantepie de la Saussaye beeinflußt. Seine religionstheologische Position war einfach komplizierter, als F. meint. Das gilt auch von Visser’t Hooft, der von der Renaissance des Bibelstudiums (mit Suzanne de Diétrich als führende Vertreterin dieser Bewegung) zum Ende des 2. Weltkrieges geprägt wurde. Was F. über die Bibel als Einheit ausführt, ist für Visser’t Hooft relevant, aber einfach "barthianisch" ist das nicht; es ist vielmehr "cullmannianisch"! Die heilsgeschichtliche Perspektive ist hier übergeordnet ­ für Barth war dies nicht so entscheidend. Erstaunlich ist außerdem, daß F. den Einfluß auf die spätere Missionstheologie des holländischen Missionstheoretikers J. C. Hoekendijk, besonders in der Diskussion über "Missio Dei" und ihre Folgen, überhaupt nicht erwähnt.

Daß Ernst Käsemanns Beitrag zur Diskussion über Schrift und Tradition auf der Konferenz für Glaube und Kirchenverfassung in Montreal 1963 bedeutungsvoll war, ist selbstverständlich. Dabei ging es jedoch nicht allein um die Tatsache, daß hier ein nicht-barthianischer Einfluß zum Tragen käme, sondern um die Frage von Einheit oder Pluralität, was F. auch hervorhebt, und darum, wie man sich zur Möglichkeit einer Alternative zum "sola traditione" verhalten solle. Darum überzeugt es mich nicht, wenn F. sagt, daß der Amtsabtritt Visser’t Hoofts 1985 "the end of the period of heavy Barthian influence in the policy of the council" (54) bedeutet habe. Visser’t Hooft hatte schon früher angefangen, sich umzuorientieren, Kraemer in der letzten Zeit seines Lebens ­ was natürlich nicht bedeutet, daß sie je eine pluralistische Position eingenommen hätten.

Von all den wichtigen Beobachtungen, die F. in seinem Buch ausführt, könnten noch viele erwähnt werden. Doch dazu reicht der zur Verfügung stehende Raum einer solchen Rezension nicht. Die Zukunft des qualifizierten Religionsdialogs sieht F. ein wenig pessimistisch, aber er ist sich dessen gewiß ­ wie der dankbare Leser seines Buches ­, daß das Studium der Religionstheologie des hier behandelten Zeitraumes auch für die künftige Arbeit zum Thema von großer Bedeutung sein wird.