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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

191–193

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Spaemann, Robert

Titel/Untertitel:

Personen. Versuche über den Unterschied zwischen ’etwas’ und ’jemand’.

Verlag:

Stuttgart: Klett-Cotta 1996. 275 S. gr.8°. Lw. DM 48,­. ISBN 3-608-91813-2.

Rezensent:

Rochus Leonhardt

In seinem Buch Practical Ethics (1979; 21993, dt. 1994) hat der australische Publizist Peter Singer Auffassungen vertreten, die vor allem im deutschsprachigen Raum z. T. erbitterte Kontroversen ausgelöst haben. Er kritisiert die Überzeugung, nach der menschliches Leben als prinzipiell unantastbar gilt und deshalb in besonderer Weise schutzwürdig ist. Ein "Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" (GG Art. 2 Abs. 2) kommt nach Singer lediglich Personen zu, die er als selbstbewußte und rationale Wesen definiert. Nun sind für ihn Mensch und Person durchaus nicht bedeutungsgleich, vielmehr gibt es (1) nichtmenschliche Lebewesen, die vernunftbegabt und selbstbewußt sind, und es gibt (2) menschliche Lebewesen, die diese Merkmale nicht aufweisen. Schimpansen oder Delphine zu töten, ist danach moralisch verwerflicher als die Tötung von Menschen, die noch nicht (kleine Kinder), nicht mehr (Altersdebile) oder überhaupt nie über Vernunft und Selbstbewußtsein verfügen (schwer Debile).

Der katholische Philosoph Robert Spaemann, bis 1992 Ordinarius in München, setzt sich mit dem skizzierten Ansatz kritisch auseinander. Sein Augenmerk richtet sich dabei weniger auf die These, einigen nichtmenschlichen Lebewesen müsse der Personenstatus zugesprochen werden; zwar will er diese Möglichkeit nicht einfach ausschließen (vgl. 253. 264), doch ist er hier eher zurückhaltend (vgl. 68 f.). Sein eigentliches Interesse gilt der Überzeugung, nach der einigen Menschen der Personenstatus abzusprechen ist: "Sind alle Menschen Personen?" ­ dies ist die Leitfrage des Buches, die in der Einleitung ausdrücklich gestellt (11) und im Schlußkapitel resümierend beantwortet wird (252-264). S.s Antwort lautet: Natürlich sind alle Menschen Personen. Zwar erkennen wir anderen Menschen das Personsein aufgrund gewisser Artmerkmale wie Rationalität und Intentionalität zu. Für deren Anerkennung als Personen kommt es aber nicht auf das tatsächliche Vorhandensein dieser Merkmale an, sondern nur auf die Zugehörigkeit zur Art.

Um diese Paradoxie plausibel zu machen, wirft S. zunächst einen Blick auf die Geschichte des Person-Begriffs. Er hebt vor allem die Bedeutung der christlichen Theologie hervor, ohne die das, was wir heute Person nennen, "unbenennbar geblieben" wäre (27): Die zentralen philosophischen Einsichten zum klassischen Personbegriff wurden im Zusammenhang mit der Erarbeitung und Präzisierung des trinitarischen und des christologischen Dogmas formuliert. Dies wird sowohl unter Hinweis auf die altkirchliche Dogmenentwicklung als auch anhand einschlägiger Aussagen von Boethius, Richard von St.Victor und Thomas von Aquin vorgeführt.

Auf dieser Grundlage entwirft S. eine umfassende Theorie der menschlichen Person. Seine Definition lautet: Das Sein der Person ist das Haben einer Natur ­ "Personen sind, indem sie eine Natur ­ also zum Beispiel die menschliche Natur ­ als eine Weise zu sein haben" (81; vgl. 40. 115. 145. 230 u. ö.). Mit Haben einer Natur ist gemeint, daß Personen nicht einfach sind, was sie sind, sondern daß sie sich zu ihrem Sosein in ein Verhältnis setzen können. Diese innere Differenz des Menschen zu seinem Sosein beschreibt S. in Anlehnung an Plessner als "exzentrische Position" (23.96). Der Mensch vollzieht den Schritt von der reinen Selbstidentiät zum Selbstverhältnis. Er entdeckt seine ’Außenseite’, an der das eigene Sein für andere sichtbar wird ­ "indem der Mensch aufhört, unmittelbar mit seinem Erleben identisch zu sein, wird er ’mit sich identisch’" (170), d. h. er wird seiner selbst als Person ansichtig.

Diese Konstitution personaler Identität ist verbunden mit einer "Selbstenteignung durch die Zeit ... Das Subjekt, das sich reflektierend seiner selbst vergewissert und so sein Personsein realisiert, kann dies nur, indem es sich als Vergangenes vergegenwärtigt" (114). Mit der Zeit ist auch der Tod in die Welt gekommen; erst dessen Antizipation "ermöglicht jenes Haben des Lebens, das das Sein der Person ist" (131; Kursivdruck im Text, R. L.). Der so skizzierte Personbegriff wird durch mehrere Aspekte konkretisiert und vertieft, so z. B. durch die Herausarbeitung der Besonderheit menschlicher Intentionalität (vgl. 67-70), den Hinweis auf die grundsätzliche Pluralität von Personsein (vgl. 248 u. ö.) und eine Analyse des menschlichen Gewissens (vgl. 175 ff.).

Im Hinblick auf die Leitfrage des Buches (Sind alle Menschen Personen?) sind vor allem zwei Gesichtspunkte von Bedeutung: 1."Personen sind Lebewesen" (11. 147 u. ö.). Leben aber kommt Lebewesen nicht akzidentell, sondern substantiell zu; es ist nicht eine Eigenschaft, sondern das Sein des Lebendigen (vivere viventibus est esse, Aristoteles; vgl. 11. 40. 52. 146). Lebendiges Sein ist Selbstsein, d. h. Lebewesen sind "nicht einfach Stadien eines prozessualen Kontinuums, ... sondern ’etwas’, das sich von seinen Entstehungsbedingungen eben dadurch emanzipiert hat, daß es ’selbst’ etwas ist" (166). 2. Personsein ist gesteigertes Leben, Selbstsein im eminenten Sinn: Personen sind nicht ihr Leben, sondern sie haben es (s. o.). Das Sein von Personen ist deshalb mit ihrem Gegebensein für andere nicht identisch. Der "Andere bleibt als er selbst wesentlich jenseits aller Kontexte, von denen her jemand Begegnendes versteht" (136, mit Hinweis auf Lévinas), denn Personalität "ist wesentlich das nie Gegebene, sondern in freier Anerkennung Wahrgenommene" (194). Wer den anderen nur als Teil eines Kontextes behandelt, macht ihn zu einem etwas. Ihn als jemand anzuerkennen, impliziert dagegen die Anerkennung seines Selbstseins in Form der "Achtung vor ihm als einer für mich nie gegenständlich werdenden Mitte eines eigenen Bedeutsamkeitszusammenhangs" (197).

Die durch Singer vorgenommene Trennung von Personalität und Humanität ist nach S. durch die Destruktion der genannten Gesichtspunkte verursacht. Dieser Zusammenhang wird anhand des Personbegriffs von Locke und Hume präzise nachgewiesen (vgl. 144-157 und schon 44. 113 f.): Weil die neuzeitliche Philosophie lebendige Organismen nicht als Selbstsein, sondern nach Analogie von Maschinen versteht, kann Leben nicht als das Sein dieser Organismen bestimmt und folglich Personalität nicht als Haben eines Lebens gedacht werden: "Die Geschichte der Destruktion des Personbegriffs ist die Geschichte der Destruktion des Lebensbegriffs" (146). Die Preisgabe der Idee des Lebens führt zur Reduktion von Personalität auf ein Bewußtseinsphänomen: Es ist die Erinnerung, durch deren Kontinuität nach Locke und Hume die Person konstituiert wird. Dagegen betont S., daß das Vergegenwärtigen von etwas Vergangenem als vergangen schon Personalität voraussetzt, nämlich die zeit-übergreifende Identität eines Subjekts, das sein unmittelbares Erleben transzendiert und zu seinem Sosein, also seiner Natur, in einem Verhältnis steht.

Wenn der defiziente Personbegriff des angelsächsischen Empirismus bereichert wird durch die Idee des Lebens und Personalität (wieder) verstanden werden kann als Haben eines Lebens, dann ist die Personalität des Menschen in der Tat nicht trennbar von seiner Animalität. Schon Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung sind beim Menschen "integriert in einen personalen Kontext" (255); menschliche Animalität ist "das Medium der Verwirklichung der Person" (256). Obwohl die Personengemeinschaft in der Tat nicht einfach nur ’Natürliches’ ist, kommt sie doch "nur zustande und perpetuiert sich nur auf naturwüchsige Weise" (237 f.). Deshalb ist die Anerkennung des Anderen als Person schon mit dessen Zugehörigkeit zur Spezies homo sapiens sapiens gefordert, auch wenn die spezifisch personalen Eigenschaften noch nicht oder nicht mehr sichtbar sind. Und jene Menschen, denen solche Eigenschaften mit Sicherheit niemals zugesprochen werden können? Deren Existenz, sagt S., ist "der Härtetest der Humanität" (260). In Extremfällen haben wir keinerlei Hinweis auf ein intentionales Innenleben und darauf, worin das personspezifische Haben einer Natur bei diesen Menschen besteht. Daß sie dennoch als jemand gelten und auf der vitalen Ebene Hilfe erhalten, "läßt den tiefsten Sinn einer Personengemeinschaft aufscheinen" (ebd), nämlich daß es "wirklich um die Anerkennung des Selbstseins und nicht ... um die Schätzung nützlicher oder angenehmer Eigenschaften geht" (261; Kursivdruck R. L.).

S.s Buch ist schwierig zu lesen, sowohl wegen der Vielzahl der behandelten Aspekte (von denen hier nur ein Teil zur Sprache kommen konnte) als auch wegen des hohen philosophischen Niveaus und nicht zuletzt aufgrund seines essayistischen Stils. Dieser Hinweis soll allerdings nicht von der Lektüre abhalten. Diese sei vor allem jenen empfohlen, die sich für die jüngere Diskussion um den Personbegriff interessieren. Es ist zu hoffen, daß S.s wichtiger Beitrag in diesen Debatten eingehend berücksichtigt wird.

Im Falle einer zweiten Auflage wäre die Korrektur der zahlreichen Druckfehler wünschenswert.