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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

157 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Dassmann, Ernst

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte II/1. Konstantinische Wende und spätantike Reichskirche.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1996. 224, 1 Kte, 1 Zeittaf. gr.8° = Studienbücher Theologie 11,1. Kart. DM 34,­. ISBN 3-17-012045-X.

Rezensent:

Wolfgang A. Bienert

Nach Band I der Kirchengeschichte in der Reihe "Studienbücher Theologie" des Kohlhammer Verlags mit der Schilderung der ersten drei Jahrhunderte (1991; vgl. meine Rezension: ThLZ 118, 1993, 236-238) hat der Bonner Kirchenhistoriker und Patrologe nun vom zweiten Band, in dem die Geschichte des 4.-6. Jh.s ("von Konstantin dem Großen bis zum Ausgang der Spätantike") beschrieben wird, den ersten Teil vorgelegt. In ihm werden "vor allem die kirchenpolitischen Ereignisse, die Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Staat sowie das Verhältnis der Kirche zu anderen gesellschaftlichen Gruppen behandelt". Im noch ausstehenden "zweiten Teil sollen das innerkirchliche Leben, die Entwicklung der Theologie und die Entfaltung der Volksfrömmigkeit beschrieben werden" (9).

Mit dieser Teilung nimmt der Vf., wie es heißt, auch Rücksicht auf verlegerische Wünsche. Und die allgemeine Begründung, "die Stoffmenge hat es notwendig gemacht, Band II zu teilen", leuchtet dem, der mit der Materie vertraut ist, auch ein. Allerdings bleibt die Frage, ob die Trennung sachlich zusammengehöriger Aspekte dafür der geeignete Weg ist, d. h. ob sich "die kirchenpolitischen und theologiegeschichtlichen Aspekte z. B. des Konzils von Nizäa" tatsächlich so "unschwer trennen und gesondert darstellen" lassen, wie der Autor meint (ebd.). Sind es nicht gerade die Verflechtungen und gegenseitigen Beeinflussungen im Spannungsfeld von Kirche und Politik, Theologie und Frömmigkeit, die seit der "Konstantinischen Wende" zu den Grundfragen der Kirchengeschichte gehören? Liegt nicht gerade das besondere Problem für die Kirche dieser Zeit, in der sich das Christentum zur römischen Staatsreligion entwickelt hat, darin, daß und wie diese unter den neuen Bedingungen ihre Identität und Freiheit als Kirche bewahrte (vgl. 70ff.)? Und muß man nicht gerade deswegen das Spannungsfeld als ganzes in den Blick nehmen und versuchen, die neuen Herausforderungen für die Kirche und die dadurch bedingten Veränderungen in Theologie und Frömmigkeit (Mönchtum) genauer zu betrachten (z. B. den Wandel des Häresiebegriffs), wenn man die Geschichte der Kirche im 4.-6. Jh. insgesamt verständlich machen will?

Bei der Darstellung der Theologie Augustins wird dem Vf. selbst bewußt, wie eng Theologie und Kirchenpolitik miteinander verflochten sind. Das gleiche gilt aber auch für die Entstehung des trinitarischen Dogmas im 4. Jh. Hier beschränkt sich die bisherige Darstellung auf eine Skizzierung der äußeren politischen und kirchenpolitischen Bedingungen und bleibt entsprechend blaß. Noch enttäuschender fällt die Schilderung des 5. und 6. Jh.s aus ­ insbesondere, wenn man nach den Entwicklungen in den Kirchen des Ostens fragt.

Der Autor hat den Stoff des vorliegenden Bandes in drei Hauptteile gegliedert, die chronologisch entfaltet werden: I. Das Konstantinische Zeitalter (15-63), II. Auf dem Weg zur Reichskirche (64-146) und III. Abendländische Kirchenfreiheit und Byzanz (147-210). Wie in Band I bemüht sich der Autor um eine objektive und an den Quellen orientierte lebendige Darstellung. Als langjähriger Direktor des F. J. Dölger-Instituts berücksichtigt er gewissenhaft auch die neuesten Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Spätantike (einschließlich der Archäologie) und kann in seinen Literaturangaben u.a. auf noch nicht veröffentlichte Beiträge im Reallexikon für Antike und Christentum und im Jahrbuch für Antike und Christentum verweisen.

Die Darstellung in den einzelnen Hauptteilen fällt jedoch recht unterschiedlich aus. Das liegt nicht nur an dem eingangs geschilderten Teilungskonzept, sondern auch an einer ­ ab Teil II ­ zunehmenden Verengung des Blickfeldes, bei der die Geschichte der Alten Kirche schließlich fast nur noch aus abendländischer Sicht betrachtet und die Papstkirche zum Maßstab für ein Modell von Einheit der Kirche erhoben wird (Teil III), das die Kirchen des Ostens nie erreichten. "Rom mit dem ganzen Abendland blieb immer nur der eine, allerdings geeinte mächtige Partner gegenüber den stärker gegliederten Kirchen des Ostens, die es nie zu einer Konzentration auf höchster Ebene gebracht hatten" (174). Ob diese Betrachtung dem historischen Sachverhalt gerecht wird, sei dahingestellt. ­ Wie sehr sich der Blick auf die Sichtweise des Westens zunehmend verengt, zeigt sich äußerlich bereits daran, daß der dritte Hauptteil, der auf rund 60 Seiten (!) die Geschichte des 5. und 6. Jh.s beschreibt, bereits in der Überschrift nur die "abendländische Kirchenfreiheit" thematisiert und inhaltlich nur auf den letzten zehn Seiten die Kirche im byzantinischen Reich behandelt, wobei im übrigen dort nur zwei Aspekte zur Sprache kommen, der Fall des Johannes Chrysostomus (gest. 407) und das Wirken Justinians (527-565). Ausführlich wird dagegen in diesem Teil die Geschichte der Entstehung und Entwicklung des Papsttums geschildert (156-200; vgl. auch die eigentümliche Apologie des päpstlichen Primats 157 f.). Das Konzil von Ephesus (431) wird nur am Rande erwähnt und das Konzil von Chalkedon (451) fast nur aus der Perspektive Papst Leos I. betrachtet.

Dazu heißt es: Dieses Konzil "begann 451 in der Euphemiakirche der Stadt. Wieder war Leo nicht anwesend, trotzdem war es sein Konzil (!). Die päpstlichen Legaten ­ drei Bischöfe, zwei Priester ­ führten den Vorsitz, und Leos Epistula dogmatica, die endlich zur Verlesung kam, hinterließ einen starken Eindruck ... Es wird ein Höhepunkt in Leos Leben gewesen sein, als er davon erfuhr (!). Seine dogmatische Epistel, die seit ihrem Durchfall auf der Räubersynode geschickt verbreitet worden war, hatte die theologische Seite der Angelegenheit über die Zweinaturenlehre Christi klären können" (179). Soweit die sehr verkürzte Sicht des Konzils aus rein abendländischer Perspektive! Ausführlicher wird anschließend der Konflikt um Kanon 28 behandelt, der die Beziehungen zwischen den Kirchen in Ost und West lange Zeit belastet hat (179 f.).

Der Vf. hat sich zum Ziel gesetzt, "ein ausgewogenes Bild der Kirche des 4.-6. Jh.s entstehen zu lassen" (9). Entstanden ist jedoch ein sehr einseitiges Bild dieser Kirche ­ vorwiegend aus abendländischer Sicht, das den Kirchen des Ostens nur partiell eigenständige Bedeutung zumißt. Ob dieses Bild durch den zweiten Teil von Band II noch korrigiert werden kann, bleibt abzuwarten. In ihm müßten in jedem Fall Aspekte der Frömmigkeits- und der Dogmengeschichte zur Sprache kommen (Mönchtum; Konzile), in denen die Kirchen des Ostens ­ gerade auch gegenüber dem Westen ­ eine führende Rolle gespielt haben.