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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

155–157

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zahl, Paul Francis Matthew

Titel/Untertitel:

Die Rechtfertigungslehre Ernst Käsemanns.

Verlag:

Stuttgart: Calwer 1996. XIII, 224 S. gr. 8° = Calwer Theologische Monographien, 13. Kart. DM 58,­. ISBN 3-7668-3449-5.

Rezensent:

Christof Landmesser

Gegenwärtige theologische Theoriebildung muß das Gespräch mit solchen Theologen aufnehmen, die die theologische Wissenschaft und die kirchliche Wirklichkeit nachhaltig geprägt haben. Ernst Käsemann ist zweifellos ein solcher Theologe. Es ist deshalb von höchstem Interesse, daß Z. mit dieser in Tübingen vorgelegten Dissertation eine Zusammenfassung zentraler theologischer Einsichten Käsemanns zum Motiv der Rechtfertigung des Gottlosen unternimmt. Dabei orientiert sich Z. vornehmlich an Käsemanns Paulusinterpretation, wobei er zugleich deutlich machen kann, daß das Motiv der Rechtfertigung eine tragende Rolle in Käsemanns theologischem Denken überhaupt spielt.

In Kapitel I: Ernst Käsemanns Interpretation der paulinischen Rechtfertigungslehre (5-83) beschreibt Z. recht genau die einzelnen Aspekte des Motivs der Rechtfertigung nach Käsemann. Schon in der Dissertation Leib und Leib Christi erkennt Z. "fast alle Motive der Rechtfertigungslehre in nuce" (13): die auf Werke gründende Selbstgerechtigkeit, das falsche Gesetzesverständnis, den Selbstruhm des Menschen und den für Käsemann spezifischen Begriff der Gottlosigkeit, den Z. als den "Schlüssel zu der Interpretation der eschatologischen Rechtfertigungslehre Käsemanns" versteht (ebd.). Die hier genannten Aspekte müßte man freilich eher als die Bedingungen, auf welche die Rechtfertigung trifft, bezeichnen. Aus der großen Arbeit Käsemanns zum Hebräerbrief Das wandernde Gottesvolk hebt Z. das Motiv der Herrschaft über den Menschen hervor, die entweder durch die Sünde als Ungehorsam gegen Gott oder durch den Glauben als Gehorsam vor Gott bestimmt ist (16). Das Thema der Rechtfertigung kommt hier als "Herrschaftswechsel" zur Sprache (14). Dieser bedeutet im Rahmen der paulinischen Theologie "Gottes einbrechende Macht auf die Erde" (27), womit nach Z. das entscheidende Motiv für die paulinische Eschatologie in der Interpretation Käsemanns angegeben ist. Z. betont mit Recht, daß nach Käsemann Paulus alle theologischen Motive "von der Christologie her begründet" (31). Nach einigen Hinweisen zum Verständnis des Gesetzes bei Käsemann (34-42) erläutert Z. den Begriff des ’Gottlosen’ (42-58), wobei für ihn ­ so seine erste vorsichtige Kritik an Käsemann ­ offen bleibt, ob die von Käsemann als Abgottlosigkeit verstandene Gottlosigkeit Voraussetzung oder Folge der Rechtfertigung ist (58). Die Rechtfertigung des Gottlosen (58-83) hat ihren Grund in Gottes Gerechtigkeit, die nicht als Eigenschaft Gottes mißverstanden werden darf, sondern als ein Machterweis Gottes in der Welt zu begreifen ist (60). Die Gerechtigkeit Gottes manifestiert sich im Gehorsam Jesu am Kreuz. Darin erkennt Z., daß Käsemann eine theologia crucis im Gegensatz zu einer theologia gloriae vertritt. Gerade hier hätte Z. weitere Einsichten gewinnen können, hätte er die Grundlinien von Käsemanns Johannesinterpretation in den Blick genommen.

In einem Exkurs (66-74) erörtert Z., ob Käsemann mit Recht das Interpretament der Sühne aus seiner Vorstellung von der Rechtfertigung ausklammert. Hier wird eine Grenze der von Z. vorgelegten Arbeit deutlich. Er will ausdrücklich "keine exegetische Analyse biblischer Texte" bieten (69). Dies ist im Rahmen der Darstellung einer theologischen Position gewiß legitim, führt aber dann in Aporien, wenn eine Position, die aufgrund einer intensiven Beschäftigung mit neutestamentlichen Texten gewonnen wurde, kritisiert werden soll. Die Frage nach der Sühne in der paulinischen Theologie muß jedenfalls zumindest auf zwei Ebenen diskutiert werden. Zum einen ist zu klären, ob Paulus der Sühnevorstellung für sein Verständnis der Rechtfertigung eine entscheidende Rolle zuweist. Der Hinweis Käsemanns auf mögliche vorpaulinische Traditionen ist nicht geeignet, die Bedeutung dieses Motivs für Paulus zu marginalisieren; dies hieße nämlich, Paulus als eigenständigen und Traditionen reflektiert aufnehmenden Theologen zu unterschätzen. Ist der exegtische Befund bei Paulus überzeugend erhoben, dann muß in einem zweiten Schritt bedacht werden, ob und inwiefern gegenwärtige theologische Theoriebildung Sühne als Interpretament berücksichtigen muß. Diese Diskussion kann aber nicht entschieden werden mit einem Verweis auf von Z. zitierte Berichte von der "Erfahrung von der Sühne Christi" (71). Sowohl auf der exegetischen wie auch auf der systematischen Ebene kann die Argumentation von Z. ­ unabhängig von seiner eigenen Sicht ­ nicht überzeugen, weil er die Kriterien für seine Kritik an Käsemann nicht ausreichend deutlich macht.

In Kapitel II: Der theologische Hintergrund von Käsemanns Rechtfertigungslehre (84-147) untersucht Z. den Einfluß E. Petersons, R. Bultmanns und A. Schlatters auf Käsemann. Die Position Käsemanns wird durch die Diskussion mit den genannten Theologen weiter profiliert. Besonders erhellend sind hier einige Zitate aus dem Briefwechsel Käsemanns mit Bultmann. Freilich wird etwa die existentiale Interpretation Bultmanns von Z. zu sehr vereinfacht, z. B. wenn er auf Bultmanns Begriff der ’Entweltlichung’ des Menschen verweist (154), wogegen Käsemann die Vorstellung habe, daß der Mensch gerade "ein Stück Welt sei" (ebd.) und nie unabhängig von der ihn umfassenden Gemeinschaft verstanden werden könne (123 f.). Bei einer angemessenen Berücksichtigung des bei Heidegger grundgelegten und von Bultmann aufgenommenen Existenzials des In-der-Welt-Seins hätte Z. die Kontroverse Käsemanns mit Bultmann an dieser Stelle wohl etwas anders bewertet.

Kapitel III (148-168) widmet sich der Anthropologie Käsemanns, Kapitel IV (169-187) der Ekklesiologie, wobei zuvor erarbeitete Aspekte in neuer Perspektive nochmals zur Geltung kommen.

In Kapitel V: Die Zukunft der Rechtfertigungslehre Käsemanns (188-207) konfrontiert Z. die Position Käsemanns erneut mit anderen theologischen Sichtweisen. Er vergleicht Käsemanns Rechtfertigungsvorstellung mit profilierten Positionen der sogenannten new perspective on Paul (E. Stendahl, E. P. Sanders, J. D. G. Dunn). Stets um eine ausgewogene Darstellung bemüht, formuliert Z. abschließend einige Anfragen an Käsemann, wobei er insbesondere die Frage danach, ’wie wir unsere Rechtfertigung empfangen’ (203), von Käsemann vernachlässigt sieht.

Z. bietet eine Sammlung der zum Motiv der Rechtfertigung hinzugehörigen theologischen Aspekte im Rahmen des Werks von Käsemann. Warum geradezu von einer Rechtfertigungslehre gesprochen werden muß, diskutiert er nicht. Insgesamt ist die Arbeit von Z. eine hilfreich Hinführung auf zentrale Gedanken eines prägenden Theologen unseres Jahrhunderts.