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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1338 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Mendl, Hans:

Titel/Untertitel:

Lernen an (außer-)gewöhnlichen Biografien. Religionspädagogische Anregungen für die Unterrichtspraxis.

Verlag:

Donauwörth: Auer 2005. 268 S. m. Abb. gr.8°. Kart. Euro 19,80. ISBN 3-403-04365-7.

Rezensent:

Werner H. Ritter/Michaela Albrecht

»You¹ll never make a saint of me!« Wie Alt-Rocker Mick Jagger von den »Rolling Stones« sind auch Jugendliche heute skeptisch, wenn ihnen Heiligenviten zur Nachahmung dargeboten werden. Die Vorbild-Thematik war ja nicht grundlos über einige Jahrzehnte aus der pädagogischen Reflexion weitgehend verschwunden. Hans Mendl, Lehrstuhlinhaber für Katholische Religionspädagogik an der Universität Passau, leistet durch seine anregenden Arbeiten zum biographischen Lernen einen wesentlichen Beitrag dazu, dies zu verändern. Das Buch gliedert sich in drei Teile.

Zunächst stellt der Vf. dar, dass sich die Akzeptanz von Vorbildern im Laufe der letzten Jahrzehnte stark gewandelt hat, und nennt Gründe, warum sich Jugendliche heute wieder verstärkt an Vorbildern orientieren. Sodann geht er auf verschiedene Konzepte der Vorbild-Thematik ein, wofür er das Thema zum einen in religiöser, zum anderen in lernpsychologischer Perspektive in den Blick nimmt. Zunächst diskutiert er die Frage, inwiefern die »Heiligen« Identifikationsfiguren sein können und sollen. Als ein mögliches Gegenmodell stellt er die Beschäftigung mit »Heiligen des Alltags« (Romano Guardini) bzw. Helden vor Ort (local heroes) dar. Hierdurch solle keineswegs die Bedeutung der »großen« Heiligen geschmälert werden; vielmehr können die »local heroes« Erstere ergänzen, weil diese häufig vom Alltag »normaler« Christen weit entfernt scheinen. An Menschen »wie du und ich«, die in be stimmten Situationen Großartiges geleistet haben, lässt sich lernen, dass Christ-Sein sich in kleinen Schritten vollziehen kann. Dies motiviert eigenes Handeln, weshalb sich diese Personen besonders gut für orientierendes Lernen eignen.

Zum Lernen stellt der Vf. unterschiedliche lernpsychologische Modelle vor. Er zeigt zunächst die Unzulänglichkeiten des gängigen Modells der Verhaltenstheorie (Nachahmungslernen) auf. Demgegenüber legen modelltheoretische Ansätze es nahe, die Auseinandersetzung mit fremden Biographien als reflektierten Prozess der Werterhellung zu gestalten. Der Vf. empfiehlt insbesondere den Ansatz des Lernens als Handeln und Problemlösen.

Im Sinne der Diskursethik gehe es nicht um unmittelbare Übertragung der fremden Handlungsentscheidung auf das eigene Leben. Stattdessen sollen Kinder und Jugendliche durch die Diskussion von moralischen Dilemmata und die Auseinandersetzung mit biographischen Entwürfen und Entscheidungssituationen anderer Menschen in ihrer moralischen Urteilskompetenz und in ihrem Wertbewusstsein gefördert werden. Diese Diskursethik muss aber ergänzt werden durch praktisches ethisches Handeln in Form von Sozialprojekten, beispielsweise über den direkten Kontakt mit »local heroes«. Diesen Reflexionen folgen konkrete methodisch-di daktische Vorschläge.

Schließlich beleuchtet der Vf. kritisch die verschiedenen Personengruppen, die im Religionsunterricht für biographisches Lernen herangezogen werden können, und entwickelt einen Kri terienkatalog, anhand dessen über die religionspädagogische Eignung einer Person nachgedacht werden kann. Er stellt das Passauer Projekt »local heroes« vor, reflektiert über die Eignung der bekannten Heiligen als Vorbilder und betrachtet verschiedene biblische Gestalten hinsichtlich ihrer Tauglichkeit für biographisches Lernen. Auch Jesus Christus, über viele Generationen als pädagogisches Leitbild gehandelt, wird in seiner Eignung als Vorbild für Kinder und Jugendliche kritisch beleuchtet. Schließlich werden auch die Pop- und Fernsehstars, Sportler, Lehrkräfte sowie Eltern ­ also die gesamte reale Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen ­ als mögliche Vorbilder in den Blick genommen.

Herausragend ist dieses Buch insofern, als es sich, ohne unwissenschaftlich zu sein, durch einen außergewöhnlich starken Praxisbezug auszeichnet. Eingewoben in die theoretischen Ausführungen werden vielfältige Möglichkeiten vorgestellt, aus denen Religionslehrkräfte Bausteine für ihre Unterrichtspraxis gewinnen können. Diese praktische Verwendbarkeit wird durch die leserfreundliche Gestaltung erhöht: Zusammenfassungen am Ende jeden Kapitels, Hinweise zur Funktion der Kapitel, Schaubilder und Graphiken machen eine schnelle Orientierung über einen einzelnen Aspekt möglich, zugleich erlaubt das Buch einen vertieften Einstieg in die Thematik des biographischen Lernens.

Insgesamt weckt das Buch Lust, das Passauer Projekt der »local heroes« kennen zu lernen, das durch diese Veröffentlichung indirekt vorgestellt wird. Die Internetpräsenz, die der Vf. ins Leben gerufen hat, macht durch ihre interessante Aufbereitung ebenso wie das Buch neugierig darauf, zu entdecken, wie sich Christ-Sein im Leben anderer Menschen gestalten kann.