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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1271 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Exum, J. Cheryl:

Titel/Untertitel:

Song of Songs. A Commentary.

Verlag:

Louisville: Westminster John Knox Press 2005. XXIII, 263 S. gr.8° = The Old Testament Library. Lw. US$ 39,95. ISBN 0-664-22190-4.

Rezensent:

Rüdiger Bartelmus

Es ist mehr als 30 Jahre her, dass sich J. Cheryl Exum mit »A Literary and Structural Analysis of the Song of Songs« (ZAW 85, 1973, 47­79) im Kreis der Alttestamentler und Alttestamentlerinnen als pointiert strukturalistisch arbeitende Exegetin vorgestellt und damit zugleich das Hohelied als einen Schwerpunkt ihrer Forschungstätigkeit festgeschrieben hat. Mit dem hier zu besprechenden Buch hat die große alte Dame der feministisch-strukturalistischen Bibelauslegung nunmehr so etwas wie die Summe ihrer Erfahrungen mit diesem im Kontext des Alten Testaments so fremdartig wirkenden Büchlein gezogen und diese Summe in die Gestalt eines Kommentars in der renommierten Reihe »The Old Testament Library« gebracht.

Dass E. ihre Grundthese von 1973, das Hohelied lasse »durch seinen komplexen Aufbau und seine bewußte Konstruktion auf eine einheitliche Verfasserschaft schließen« (so die Zusammenfassung in ZAW 85, 79), revidieren würde, war natürlich nicht zu erwarten ­ nach wie vor sieht sie im Hohenlied »a unified work« bzw. »one poem« (passim): Anglophone Strukturalistinnen und Strukturalisten lassen sich nun einmal nicht von Argumenten aus dem Bereich der deutschsprachigen historisch-kritischen Forschung beeindrucken, auch dann nicht, wenn sie mit der gründlichen Argumentation so bedeutender Kommentatoren wie O. Keel (1986) oder H.-P. Müller (1992) konfrontiert sind. Ja, nicht einmal die Kritik an ihrem Ansatz in dem wohl gewichtigsten amerikanischen Kommentar, dem opus magnum von M. H. Pope (AncB 7 C; 1977) konnte E. von der einmal gefassten Meinung abbringen.

Allerdings lässt sich in dem Kommentar immerhin eine deutliche Distanzierung von den extremsten Auswüchsen der früheren Sicht feststellen: Waren 1973 als Nucleus des »Poems« noch je zwei Parallelgedichte in der Abfolge ABA¹B¹ (re-)konstruiert worden ­ gerahmt von 1,2­2,6 und 8,4­14 ­, bescheidet sich E. nunmehr mit einer »practical division based on sense and sometimes (as in 5:2­6:3) structural clues« (38). Wie weit sie sich von dem seinerzeitigen (mono-)strukturalistischen Ansatz entfernt hat, lässt sich unschwer nachvollziehen, wenn man die tabellarische Zusammenfassung der damaligen Gliederung (Exum [1973]; 39) mit dem Aufriss vergleicht, der am Ende des Inhaltsverzeichnisses (V­VI; VI) geboten wird.

Um diese rein formale Beschreibung wenigstens anhand eines Beispiels zu erläutern, sei darauf verwiesen, dass etwa der wenig sachgerechte Umgang mit dem insgesamt viermal vorkommenden refrainartigen Abschlusssatz: »Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems Š« nunmehr zu Recht fallen gelassen wurde ­ in ZAW 85 wurde noch postuliert, Hld 2,7 bilde die Eröffnung (!) des ersten Parallelgedichts.

Nach der »Superscription« (89­91) werden in OTL neun Sinn einheiten identifiziert: 1:2­4 ­ The Voice of Desire (91­97); 1:5­2:7 ­ A Dialogue about Love (97­119); 2:8­3:5 ­ The Woman¹s First Long Speech (119­138); 3:6­11 ­ The Woman¹s First Long Speech. A Continuation (138­151); 4:1­5:1 ­ The Man¹s First Long Speech (151­183); 5:2­6:3 ­ The Woman¹s Second Long Speech (183­210); 6:4­7:9 [10 H] ­ The Man¹s Second Long Speech (210­240); 7:10­13 [11­14 H] ­ The Woman¹s Replay (240­242); 8:1­14 ­ A Dialogue about Love (242­263).

Details aus der exegetischen Einzeldiskussion in diesem Teil können hier aus Raumgründen nicht mitgeteilt werden, verwiesen sei indes noch auf die ausführliche, fast ein Drittel des Bandes einnehmende »Introduction« (1­86), in der E. die Prinzipien offenlegt, nach denen sie im Kommentarteil verfährt. (Der Einleitung vorgeschaltet ist auch noch eine »Select Bibliography«; XI­XXIII.)

Das Programm wird in sieben Teilabschnitten entfaltet, deren zahlreiche Unterpunkte hier nur angedeutet werden können: Unter »1. A Love Poem« (1­2) werden vor allem ausgewählte Verse aus dem Hld zitiert, um die »cadences of love« und die These zu illustrieren, dass das Hld so angelegt ist, dass man aus dem Dialog zwischen Mann und Frau lernen kann, was es bedeutet, zu lieben. Was demgegenüber Liebe eigentlich ist, wird in einem weiteren kurzen Abschnitt vorgestellt: »2. Love and Death« (2­3). Der Titel »3. Controlling Poetic Strategies« (3­13) erschließt sich quasi von selbst; inhaltlich geht es u. a. um Sachverhalte wie »Illusion«, »verzaubern«, bewusstes Spiel mit »Unschärfe«. Recht eigentlich »zur Sache« (jedenfalls ihres Kommentars) kommt E. dann in den Abschnitten 4. und 5., »Gendered Love-Talk and the Relation of the Sexes« bzw. »Poetic Composition and Style«. Wieder und wieder betont sie den dialogischen Charakter des Hld und den Umstand, dass das Hld die weibliche und die männliche Sicht dessen wiedergibt, was Liebe ausmacht. Worum es in 5. geht, ergibt sich zum Teil aus dem oben Gesagten; dazu kommen noch Beobachtungen zu stilistischen Phänomenen. Bei ihnen zeigt sich freilich, dass E. nicht allzu viel Wert auf Beobachtungen legt, die auch von semitistisch ausgebildeten Alttestamentlern nachvollzogen werden könnten: Jedenfalls ­ genannt sei wieder nur ein Beispiel ­ kann man nicht ohne Weiteres von einer Alliteration ausgehen, wenn in einer Zeile zweimal ein Alef und einmal ein ^Ayin erscheint (30 f.; zu Hld 1:3c).

Nachdem auch in den Titeln der beiden verbleibenden Ab schnitte: »The Song of Songs and Its World« (47­73) und »The Song of Songs and Its Readers« (73­86) das Stichwort »Theologie« oder ein Äquivalent fehlt, fragt man sich unwillkürlich, ob man es mit einem Kommentar zu tun hat, der es verdient, in einer »Theologische(n) Literaturzeitung« rezensiert zu werden. Nur ganz versteckt wird vermittels einiger Überschriften im Rahmen der Unterpunkte angedeutet, dass E. das Hld nicht nur unter strukturalistischen bzw. unter Gender- und feministischen Gesichtspunkten lesen möchte (zu Letzterem vgl. vor allem 80­82 mit einer Kritik an radikalfeministischen Positionen), dass sie vielmehr ­ ganz am Rande ­ auch die Kanonfrage und die Frage der allegorischen Lesung interes siert­ und damit die Frage nach der theologischen Relevanz des Hld. Viel Neues ist den einschlägigen Unterabschnitten »A Book of the Bible« und »Allegorical Interpretation« indes nicht zu entnehmen.