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Ausgabe: | Dezember/2006 |
Spalte: | 1260–1263 |
Kategorie: | Judaistik |
Autor/Hrsg.: | Wagenaar, Jan A.: |
Titel/Untertitel: | Origin and Transformation of the Ancient Israelite Festival Calendar. |
Verlag: | Wiesbaden: Harrassowitz 2005. IX, 225 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte, 6. Geb. Euro 68.00. ISBN 3-447-05249-X. |
Rezensent: | Henning Graf Reventlow |
Die Utrechter Arbeit beruft sich zahlreiche Male auf J. Wellhausen, obwohl sie in ihrem eigentlichen Thema, der Geschichte des altisraelitischen Festkalenders, auch ihm gegenüber neue Re sultate erzielen möchte (vgl. IX). Aber in ihrer fast ausschließlich redaktionskritischen Methode ist sie ihm ziemlich nahe. In der Pentateuchforschung (und auf anderen Gebieten) kann man heute vor allem in der Forschung Deutschlands und seiner Nachbarländer eine neue Blütezeit der Literarkritik erleben. Die Gefahr starker Einseitigkeit ist dabei für aufmerksame Beobachter nicht zu übersehen. Eine Äußerung wie »The custom of eating unleavened barley bread for seven days is in all likelihood invented by the Yahwist to replace Pesach« (66; vgl. 67.156; Hervorhebung des Rezensenten) verrät, dass sich W. die Entstehung der in Quellen und Bearbeitungen aufzuteilenden Texte als mehr oder weniger freie literarische Produktion vorstellt. Auch das Gesetz über die Erstgeburt (Ex 34,1820) wird als Folgerung aus den Erzählelementen in Ex 11,57; 12,29 verstanden (70). An einigen Stellen (z. B. 143) kann W. durchaus von Traditionen sprechen ja, einmal ganz überraschend von den »priestly circles who were responsible for the festival calendar in Ex 12,113; Lev 23, «; (134). Wie sollte es auch anders sein, wenn es sich um kultische Regelungen handelt, die sich gewöhnlich in längerer Gewohnheit einüben und nur in seltenen Fällen durch außerordentliche Autorität von außen ändern lassen! Es gab eine Periode in der Auslegungsgeschichte des Alten Testaments, wo die entsprechende Methodik der traditionsgeschichtlichen Forschung teilweise ihrerseits einseitig einen zentralen Platz einnahm. Die Zeit ist lange vorbei.
Die Geschichte der altisraelitischen Feste kennt ein solches Ereignis radikalen Eingreifens in die Kultordnung von oben: Die Kultreform des Königs Josia mit der Zentralisation des Kultus am Tempel von Jerusalem durch königliches Dekret. Dtn 16,18 ist in der Sicht W.s der älteste erhaltene israelitische Festkalender (vgl. 3544 u. bes. 58). Voraus geht, wie allgemein bekannt, ein an die Erntetermine gebundener agrarischer Festkalender mit einer mit der herbstlichen Tag- und Nachtgleiche zusammenfallenden Jahreswende, wie er auch durch den Gezer-Kalender bezeugt wird (Kapitel 1; 734) und im Festkalender des Jahwisten Ex 23,1419; 34,1826 erhalten ist. Das am Zentralheiligtum zu feiernde Passah als Wallfahrtsfest ist die wichtigste Neuerung des deuteronomischen Festkalenders. Sie bleibt später nicht erhalten. Eine Mazzot-Regelung in Dtn 16,1a . b.34.8 ist eine spätere Angleichung an den Festkalender des Jahwisten (61, vgl. 73).
Die nächste Stufe ist der Festkalender des Jahwisten in Ex 23,1419 (6568; vgl. den Text in Appendix II A; 181). Hier ist das Passah ganz durch Mazzot-Regelungen ersetzt. Das Mazzotfest stammt aus der Exoduserzählung des Jahwisten (67). W. vermutet sogar, dass die Verpflichtung nur der Männer (Ex 23,17) vor Jahwe zu erscheinen (anders als Dtn 16,11.14) von J als Ausgleich für die Verschonung der männlichen Israeliten am Beginn der Exoduserzählung konzipiert sei (68). Zur Chronologie ist zu bemerken, dass W. der Spätansetzung des Jahwisten folgt, was wir ausdrücklich erst ganz am Schluss erfahren (161 u. Anm. 3; statt auf Rose und Van Seters wäre zunächst auf H. H. Schmid, Der sogenannte Jahwist, 1976, zu verweisen).
Kapitel 3 (74100) befasst sich mit dem priesterlichen Festkalender, der durch feste Daten für die Feste charakterisiert ist. W. findet ihn teils eingebettet in die priesterliche Exoduserzählung in Ex 12,113* (übrigens von der Gattung als Erzählung her eine problematische Einordnung), den Rest in der Liste der Jahresfeste in Lev 23,48.2325.2628a .3336 (vgl. 100). Auffällig ist, dass W. ein besonderes Heiligkeitsgesetz nicht kennt; die Frage wird gar nicht diskutiert. Ein wichtiger Punkt ist, dass W. die Opfervorschriften für das (anonyme) Wochenfest in 23,921 wegen ihrer formalen Unterschiede zu den datierten Festen für eine nachpriesterliche Ergänzung hält (7890). Im ursprünglichen Festkalender war das Wochenfest nicht einbegriffen.
Überraschend bezieht W. auch die Liste der Festopfer in Ez 45,1825 in einen Vergleich mit ein (Kapitel 4.1; 101108). Mit Regelungen für Jahresfeste im ersten und siebenten Monat, die wöchentlichen Sabbate und die Neumonde scheint W. hier eine Vorstufe zu den priesterschriftlichen Regelungen vorzuliegen. W. ist der Meinung, dass die Regelung für die Festopfer als Reinigungsopfer im ersten und siebenten Monat durch Entsprechungen im babylonischen Festkalender beeinflusst sein mag. Er bringt deshalb auch Überlegungen zum babylonischen Akitu-Fest und seinen sumerischen Ursprüngen in Zusammenhang mit Ernte- und Saat-Saison (108120). W. hält für sehr wahrscheinlich (Kapitel 5.1), dass die Exulanten bereits einen provisorischen Tempel in der Nähe von Babylon errichtet hätten (121). Auch hält er (mit van Seters; vgl. 122, Anm. 4) für möglich, dass der Altar in Ex 20,2426 als Provisorium für die Errichtung eines Heiligtums im Exil gedacht sei. Im Hinblick auf die hier vorausgesetzte Spätdatierung des Bundesbuches ist das eine Außenseitermeinung.
Eine Außenseitermeinung ist auch die Auffassung, dass die Liste der Festopfer aus Ez 45 mit der Abweichung, dass die dortige Halbjahresregelung für die Neujahrsfeste durch ein einziges Jahresfest abgelöst wird (127) im priesterlichen Festkalender Ex 12,113; Lev 23,48.2325.2628a .3337ab aufgenommen worden sei. Zu denken gibt, dass die rabbinische Tradition Ez 4048 in die Tora nicht mit einbezieht. Für die Datierung dieses Textes ist die Umstellung auf den Frühjahrskalender nach babylonischem Muster entscheidend. Das entspricht freilich ganz W.s re daktionskritischem Denkansatz. Die Möglichkeit wird nicht erwogen, dass diese Umstellung (die in der Forschung seit einem halben Jahrhundert beachtet wird; bei W. findet sich die entsprechende Sekundärliteratur in der Bibliographie) nur das kalendarisch formale Datum der Feste be rührte, ohne sonstige inhaltliche Konsequenzen. Auch die Ansetzung des Versöhnungstages am 10.7. wird scharfsinnig, aber unbeweisbar mit dem babylonischen Kalender begründet: Da das Mondjahr den unregelmäßigen und im letzten Moment verordneten Einschub eines 13. Monats in den Kalender notwendig machte, seien die ersten zehn Tage des 7. Monats für die heimgekehrten Exulanten »unsichere Tage« gewesen, ehe feststand, dass nun das neue Jahr begonnen habe (128129). Auch sei in Ex 12,113 das Passah-Opfer in ein rituelles Schlachten umgewandelt worden, da die Erzählung vor der Installation von Kult und Priestertum am Sinai spiele; deshalb könne auch ein einmaliges Ritual in ferner Vergangenheit gemeint sein (130131). Hier tritt erneut der Widerspruch zu Tage zwischen dem Charakter der Verse als Erzählung und der Annahme, sie enthielten den ersten Teil des priesterlichen Festkalenders (s. o.).
In Lev 23,68.3336 werden nach W. die Frühlings- und Herbst-Neujahrsfeiern aus Ez 45,2324.25 in die traditionellen Mazzot- und Sukkot-Feiern »zurückverwandelt«, bzw. sie werden »aufgegeben« (132). Auch dieser Gedanke erscheint ziemlich absurd gegenüber dem naheliegenden, dass die beiden Systeme nichts miteinander zu tun haben.
In dem durch die Einfügung des Wochenfestes (s. o.) vermehrten Endtext von Lev 23,144 sieht W. den »großen Kompromiss« (Kapitel 5.3; 13439) zwischen dem priesterlichen Festkalender in Ex12,113*; Lev 23,48.2328a.3337ab und dem dreifachen Festkalender in Dtn 16,117. Dazu gehört auch die Umstellung von Passah-Mazzot vom zweiten auf den ersten Monat des Frühlingskalenders. Eine weitere, durch den nach-priesterlichen Herausgeber eingebrachte Neuerung sei die Berechnung des Mazzot-Festes vom Abend des 14. an Stelle des Morgens des 15.1. Auch würden jetzt Passah und Mazzot gleichzeitig gefeiert (Ex 12,18; Lev 23,32) (Kapitel 5.4; 139142).
Num 2829 (Kapitel 5.5; 146155) mit ihrer ausführlichen Liste der Festopfer aus Anlass der in Lev 23 besprochenen Feste ist von diesem Kapitel abhängig. Außerdem sei, so W., die Einzelaufzählung der Opfer für das (anonyme) Fest in Num 28,19b24 eine Revision der Liste für das siebentägige Fest in Ez 45,2324 (152; dazu vgl. o.). In ihrer Weiterarbeit an dem Festkalender von Lev 23 und der Festopferliste in Ez 45,1746,15 sei Num 2829 die letzte umfassende Liste der altisraelitischen Feste (155).
Es folgen noch Zusammenfassung und Schluss (156162), eine ganze Reihe von Synopsen der behandelten Texte (164180), Übersetzungen und Anmerkungen (181208), Bibliographie (209215), Abkürzungsliste und Index (21625).
Die Arbeit verrät Einfallsreichtum, Kombinationsgabe und eine gründliche Analyse der besprochenen Texte. Bedauerlich ist, dass ihre methodische Einseitigkeit viele der Ergebnisse so zweifelhaft macht. Wenn es sich um kultische Überlieferungen handelt, kommt man eben nicht mit einer rein redaktionskri tischen Vorgehensweise aus. In dieser Hinsicht ist das be sprochene Werk geradezu ein Musterbeispiel eines stark einge schränkten Blick winkels. Die Hauptschwächen einer rein re daktionskritischen Analyse biblischer Texte treten hier besonders stark hervor:
1. Bei jedem Text wird eine rein literarische Entstehung vorausgesetzt. Im Extremfall wie teilweise in dieser Arbeit gewinnen die individuellen Verfasser, Ergänzer usw. eine überproportionale Rolle für die Genese der Textinhalte. 2. Dafür ist nicht selten die Ausblendung der Gattungsfrage bedeutsam (wenn es sich z. B. um kollektive Überlieferungen handelt). 3. Für jeden Text und gegebenenfalls seine Zusätze, Ergänzungen usw. ist eine möglichst eindeutige Datierung zu finden. Hierzu dient in dieser Arbeit u. a. die Kalenderfrage. 4. Möglichst alle Texte sind von daher in eine chronologische Reihenfolge zu bringen. Bei dieser Arbeit ist das in besonders extremer Weise geschehen, indem auch ein Außenseitertext wie Ez 45 mit eingeordnet wird. Die Möglichkeit, dass es auch zeitlich parallele oder voneinander unabhängige Textbereiche geben kann, wird damit von vornherein beiseite geschoben. 5. Die Möglichkeit vorliterarischer Vorstufen der untersuchten Texte wird zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber jedes Interesse, sich mit ihnen näher zu beschäftigen. Bei kultischen Texten ist das besonders schwerwiegend.
Es ist zu hoffen, dass die weitere Entwicklung der alttestamentlichen Exegese anderen Methoden, wie der Gattungs- und Traditionsgeschichte, wieder mehr Raum gibt. Das gilt vor al lem, wenn es sich um kultische Überlieferungen handelt, die eben nicht den Intentionen einzelner Schriftsteller und rein literarischer Bearbeiter folgen, sondern langfristige, in einem Kollektiv entfaltete Entwicklungen umfassen.