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Ausgabe:

Dezember/2006

Spalte:

1250 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Henrix, Hans Hermann:

Titel/Untertitel:

Judentum und Christentum. Gemeinschaft wider Willen.

Verlag:

Kevelaer: Topos plus (Regensburg: Pustet) 2004. 227 S. kl.8° = Topos plus Taschenbücher, 525. Kart. Euro 10,90. ISBN 3-7867-8525-2.

Rezensent:

Manfred Diefenbach

H. ist der Mitherausgeber der zweibändigen Dokumentensammlung von 1945­2000 »Die Kirchen und das Judentum« und einer der besten Kenner des jüdisch-christlichen Dialogs im deutschsprachigen Raum. Er thematisiert in seinem Buch profund und weitsichtig das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum als »Gemeinschaft wider Willen«.

Nach einem Vorwort von W. Beinert (9­12) und einer Hinführung (13­20) stellt H. das Verhältnis der beiden Weltreligionen aus historischer (21­82) und theologischer Perspektive (83­174) dar. Mit einem Ausblick (175­192) rundet er sein Opus ab.

Im geschichtlichen Teil versucht er in vier Entwicklungsstufen die spannungsvolle Geschichte hintergründig zu rekonstruieren. Erst durch die Zerstörung des Jerusalemer Tempels 70 n. Chr. wurde das Mit-/Nebeneinander von Juden und Christen nachhaltig gestört (22­27). Zudem nahm ihre »Kontrahentensituation« (27) wegen der Aufhebung der jüdischen Eigenstaatlichkeit durch die Römer in Folge des niedergeschlagenen Bar-Kochba-Aufstands von 132­135 n. Chr. zu (27­34). Mit der Aufwertung des Christentums als staatsrechtlich anerkannte Religion durch Kaiser Konstantin schlug die Polemik immer wieder in Gewalt gegenüber Juden um. Diese Repressionen hatten mitunter den kirchlichen Segen. Dies führte entweder zur Gettoisierung oder Zwangsbekehrung zu »Neuchristen« (49) in Spanien oder sogar in kleinem wie in großem Umfang zu Menschenopfern (35­57).

Der schreckliche Höhepunkt dieses leidvollen Gegeneinanders von Juden und Christen wurde mit dem Holocaust/der Schoa während des NS-Regimes von 1933­1945 erreicht, wobei sechs Millionen Juden ihr Leben lassen mussten. Hierbei griffen die Nationalsozialisten für ihr Programm der Verachtung der jüdischen Bevölkerung auf die antijüdischen Legenden mit religiösem, wirtschaftlichem, sozialem oder rassistischem Hintergrund zurück. Erst einige Jahrzehnte nach Kriegsende folgten nach einer Zeit der »Gewissenserforschung« (69) das Eingeständnis und Bekenntnis vom Versagen durch das Schweigen aus Opportunismus seitens des Vatikans und der Kirchen Deutschlands und Europas. Ganz im Geist des Konzilstextes Nostra Aetate verstand es Papst Johannes Paul II. sowohl bei seinem Besuch der Synagoge in Rom 1986 als auch beim Aussprechen seines Mea Culpa gegenüber dem Judentum am Karfreitag 2000 die verletzten Herzen vieler Juden zu berühren. Diese Vergebungsbitte hinterlegte er zwei Wochen später bei seiner Pilgerreise an der Jerusalemer Klagemauer. Emotional erreichten diese Gesten die jüdischen Menschen und wurden als Akt der Umkehr und Reue (teschuwa) (73) mit Wertschätzung anerkannt.

Im theologischen Abschnitt kommentiert H. die kontrovers diskutierten »Reibungspunkte« (84) wie die Bundesthematik (85­109), die Gottesfrage im Hinblick auf die Messianität Jesu (134­156) und die Inkarnation Jesu Christi (156­174) im trinitarischen Credo der Christen. Auf diese Weise wird der »Doppelaspekt« (20) von Einheit und Nähe sowie von Spaltung/ Andersheit und Distanz ausgewogen reflektiert, indem das Gemeinsame und somit Verbindende beider Religionen für die Ekklesiologie und das Unterscheidende und somit Trennende für die Christologie aus christlicher und jüdischer Sicht differenziert wird.

Nie wurde der Alte durch den Neuen Bund gekündigt. »Beide stehen im Bund« (107) und haben ein »besondere[s] Band der Verbundenheit« (93­94), so der Konsens. Von daher ist die »bis in progressive Theologien der Nachkonzilszeit hinein« (91) vertretene Enterbungs-, Aufkündigungs- oder Substitutionstheorie als »ðAbsolutheitsanspruchÐ der Kirche« (93) zu verwerfen.

Hingegen besteht wegen der jüdischen Monotheismusüberzeugung ein unüberbrückbarer Dissens im Hinblick auf die beiden Hoheitstitel »Messias« und »Sohn Gottes« für Jesus. Nicht in allen jüdischen religiösen Strömungen ist die Messiashoffnung ein zentrales Thema. So gibt es weder in der Hebräischen Bibel noch in der Gemara eine zusammenhängende Messianologie. Auf Grund der Erfahrungen von Auschwitz können viele Juden nicht an eine ­ und erst recht nicht an eine jesuanische ­ Messianität glauben.

Beim Lesen des gehaltvollen Buches wurde dem Rezensenten bewusst, dass beim jüdisch-christlichen Dialog stets das rationale und das emotionale Element eines verbindenden Miteinander, so wie es Papst Johannes Paul II. bei seinen respektvollen und warmherzigen Begegnungen mit Juden gekonnt vorgelebt hat, zu beherzigen ist. Aus diesem Grund ist das Lesen des Buches empfehlens- und lohnenswert. Mögen die Denkanstöße H.s »zur echten Wirklichkeit und zur helfenden Wirksamkeit« (12) für den jüdisch-christlichen Dialog und für das Miteinander von Judentum und Christentum gelangen.