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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1028 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hanisch, Ludmila:

Titel/Untertitel:

Die Nachfolger der Exegeten. Deutschsprachige Erforschung des Vorderen Orients in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2003. XII, 235 S. gr.8°. Kart. Euro 58,00. ISBN 3-447-04758-5.

Rezensent:

Julia Männchen

Die Studie gliedert sich in sieben Kapitel, beginnend mit den Veränderungen der deutschen Hochschullandschaft um 1900. Es folgen »Momentaufnahmen der benachbarten Fächer«, nämlich Geschichtswissenschaft, Philologien, Theologie, Geographie und Anthropologie, die sich allerdings, anders als die Überschrift erwarten lässt, durchweg auf die Situation der genannten Disziplinen im 19. bzw. 18. Jh. beziehen. Das dritte Kapitel ist dann ausdrücklich der Orientforschung im 19. Jh. gewidmet, »weil sich in jener Periode die Abtrennung des philologischen vom theologischen Erkenntnisstreben vollzog« und sich die Orientalistik im eigentlichen Sinn herausbildete. Kapitel IV behandelt die »Blütezeit der vorderasiatischen Studien« vom Beginn des 20. Jh.s bis unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg. Orientalistik war zu dieser Zeit ­ so die Vfn. ­ mehr oder weniger vergleichende Sprachwissenschaft und konzentrierte sich »auf die Denkmäler der alten Kulturvölker«. Dagegen gab es »kaum einen Anlaß, sich außerhalb der wenigen deutschen Kolonialgebiete mit den Lebensgewohnheiten der Völker in diesen Territorien zu befassen Š Das Orientbild entstand auf der Basis von Texten und wurde kaum durch die unmittelbare Anschauung ergänzt«. Die Blütezeit der Orientalistik wird dann dokumentiert anhand von entsprechenden Institutsgründungen, u. a. in Berlin, Straßburg, Göttingen, Leipzig, München, Freiburg, Breslau, Bonn, Erlangen, Marburg, Gießen, Frankfurt, Würzburg, Halle, Königsberg, Greifswald, Hamburg, Tübingen und deren Vorgeschichte sowie anhand der Besetzung von Lehrstühlen.

In diesem Zusammenhang wird die Herausbildung von Spezialgebieten ­ Arabistik, Assyriologie, Islamwissenschaft ­ dargestellt, aber auch konstatiert: »Eine fachöffentliche Diskussion über die Grundlagen der Erforschung des Orients entstand nicht«.

Kapitel V behandelt die Zeit des 1. Weltkrieges und das Schicksal einzelner Wissenschaftler, die zum Teil in Gefangenschaft gerieten, aber auch unter Umständen zum ersten Mal als Kriegsteilnehmer in die Länder des Vorderen Orients kamen. In dieser Zeit wurden die Kontakte zwischen Deutschland und dem Osmanischen Reich intensiver.

Die Zeit der Weimarer Republik (Kapitel VI) steht unter dem Stichwort »Reakademisierung« und ist charakterisiert durch die Bemühungen, auch unter den schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen der Nachkriegszeit und ohne die Möglichkeit von Auslandsreisen die Arbeit in der Orientalistik fortzusetzen. Das wird verdeutlicht am Beispiel der Gründung von Gesellschaften zur Förderung der orientalistischen Studien und wiederum an der Besetzung von Lehrstühlen und daran, welche Rolle die Ministerien dabei spielten. Ein besonderer Abschnitt ist der Arabistik und der Islamwissenschaft gewidmet.

Das letzte Kapitel befasst sich mit der Zeit des Nationalsozialismus und schildert zunächst Einzelschicksale von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und welche Folgen ihre Vertreibung für die Forschung hatte, beschreibt dann den Einfluss des Nationalsozialismus auf die Orientalistischen Institute, die Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeit, die verschiedenen Funktionen von Orientalisten im Krieg und endet mit einer »Bilanz aus dem Jahre 1942«. In einem »Epilog« wird ganz knapp die Situation der Orientforschung nach Kriegsende skizziert.

Ein »Biographischer Anhang« bringt in Lexikonform Angaben zu deutschen und deutschsprachigen Spezialisten für den Vorderen Orient aus der 1. Hälfte des 20. Jh.s. Das ist sehr hilfreich, wäre aber noch besser handhabbar, wenn die Nachnamen an erster Stelle stünden und schon im Text auf diesen Anhang verwiesen würde.

Zudem kann man wohl kaum voraussetzen, dass alle Leser mit den arabischen Begriffen und ihren Hintergründen (31.83. 103.137) vertraut sind. Hier fehlen leider Übersetzungen. Auch Erläuterungen zu »Jadidisten« und »Turfanhandschriften« wären für den Leser, der nicht unmittelbar vom Fach ist, hilfreich. Auf S. 72 muss es wohl heißen »Orientalistische Literaturzeitung« statt »Šzeitschrift« und auf S. 15 sind mit den »christlichen Religionen« (sic!) wahrscheinlich die christlichen Konfessionen gemeint.

Ein grundsätzliches Problem des Buches liegt aber in der Unschärfe der Verwendung des Begriffes »Orient«. Der Untertitel präzisiert »Vorderer Orient«, wozu nun allerdings unzweifelhaft Palästina gehört. Aber die Forschungen auf diesem Gebiet sind völlig ausgeblendet wie auch die gesamte Archäologie, obwohl es (107) heißt: Es gelang nicht mehr, »an die Bedeutung und die erfolgreichen Ausgrabungen der Vorkriegszeit anzuknüpfen«. Von Ausgrabungen ist aber weder davor noch danach in dem Buch die Rede.

Wenn schon nicht im Untertitel, so doch spätestens in der Einleitung hätte die Eingrenzung des Themas erläutert und begründet werden müssen. Es handelt sich also tatsächlich um eine Geschichte der Orientalistik in der 1. Hälfte des 20. Jh.s. Dafür vermittelt die Studie aufschlussreiche Erkenntnisse hinsichtlich der Wissenschafts- und Universitätsgeschichte in Deutschland in dem genannten Zeitraum.