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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1056–1058

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Englert, Rudolf, u. Stephan Leimgruber [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Erwachsenenbildung stellt sich religiöser Pluralität.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus; Freiburg-Basel-Wien: Herder 2005. 299 S. m. Abb. 8° = Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft, 6. Kart. Euro 39,95. ISBN 3-579-05296-9 (Gütersloher Verlagshaus); 3-451-28617-3 (Herder).

Rezensent:

Thomas Klie

Die im vorliegenden Sammelband zusammengefassten 21 Beiträge sind aus einer mehrjährigen Tagungsfolge hervorgegangen, deren Fragestellung sich locker um die Themen »Religiosität ­ Erwachsenenbildung ­ Pluralität« gruppiert. Herausgekommen ist ein perspektivenreicher Band über die Möglichkeitsbedingungen einer pluralitätsfähigen Erwachsenenbildung, der sich eher als Zwischenbilanz denn als Ergebnisbericht liest. Die Erschließungsrichtungen sowie die Praxis der Theorie setzen mehrheitlich katholische Welten und Sinnsichten voraus. So sieht die von Englert leitmotivisch formulierte Aufgabenstellung, wie denn »tradierte[s] Glaubensgut« angesichts religiöser Pluralität mit den »religiös-biographischen Erfahrungen« des Subjekts korreliert werden könne, nur eine Variable im Vermittlungsprozess vor: das religionsproduktive Subjekt mit seinen bunten Bedürfnissen und Surrogatbildungen. Als deutlicher Fortschritt muss jedoch gewertet werden, dass die kulturelle Modernisierung ­ analog zu den relevanten Publikationen protestantischen Zuschnitts ­ »[n]irgendwo in den Beiträgen Š bloß als Schicksal beklagt«, sondern als »Herausforderung« und »Chance« gesehen wird (11).

Der 1. Teil mit den Aufsätzen von Rösener, Eichinger und Nüchtern bietet »Erfahrungsberichte«, in denen es um Erwartungshaltungen und Entdeckungszusammenhänge geht. Im 2.Teil bieten Leimgruber, Sellmann und Englert »Situationsanalysen« (»Wo steht die kirchliche Erwachsenenbildung?«). In den darauf folgenden Abschnitten richtet sich dann der Blick konzeptionell und pragmatisch in die Zukunft. Die Autoren und Autorinnen in diesem Teil 3 »Konzepte« (Hoff, Widl, Greiner, Bornhauser, Schäfer, Orth, Bergold, Blasberg-Kuhnke) verdichten die zuvor aufgeworfenen Fragen zu bildungstheoretischen Modellen, während in Teil 4 (Langenhorst, Toepfer, Dörnemann, Stricker, Dillmann, Leimgruber) aufgezeigt wird: »welche Wege sind gangbar?«. Komplettiert wird der Band durch neun »zusammenfassende Thesen« der Herausgeber und die knapp siebenseitige Bibliographie zur Erwachsenenbildung am Schluss des Bandes.

In protestantischer Perspektive fällt zunächst zweierlei auf: In kaum einem der Beiträge wird explizit theologisch argumentiert. Und da, wo dies geschieht, vor allem in den von David Tracys theologischer Hermeneutik inspirierten »Marginalien zur erwachsenenbildnerischen Relevanz postmodernen Denkens« (123 ff.) des Salzburger Fundamentaltheologen Hoff, kann das hohe Reflexionsniveau nur andeutungsweise auf die Pragmatik pädagogischer Operationalisierungen heruntergebrochen werden. In den sieben Praxisbeispielen im 4. Kapitel wird jedenfalls nicht recht deutlich, wie eine »differenztheoretische Hermeneutik« in »aporetischen Situationen« für den unverfügbaren Grund der Wirklichkeit sensibilisieren könnte. Zwar zeigt Bornhäuser (151 ff.), wie eine »pluralistische Bildung« für Erwachsene aussehen könnte, aber bezeichnenderweise begründet er seine Didaktik gerade nicht genuin theologisch, sondern ontologisch und epistemologisch. Damit hängt auch zusammen, dass keine Brücke zu aktuellen religionsdidaktischen Diskursen (Performanz, Semiotik) geschlagen wird, in denen ja ebenfalls Konsequenzen gezogen werden aus der sich ausdifferenzierenden »späten« Moderne, ohne dabei auf theologische Trennschärfe zu verzichten. Die abschließende These 9, die mit Recht die Religionspädagogik als wissenschaftstheoretischen Ort der Erwachsenenbildung behauptet (289), ergibt sich also keineswegs zwanglos aus den zusammengestellten Aufsätzen.

Zum anderen vermisst man eine überzeugende theoretische Bewertung der nicht-kirchlichen, wohl aber konfessionell-flottierenden Religionspraxis. Die Etikettierung dieses typisch spätmodernen Phänomens als »säkulare Pseudoreligiosität« (Widl) bzw. »Privatisierung des Religiösen« (Englert) greift zu kurz und wird der sozialen Wirklichkeit nicht gerecht. Diese Rede scheint eher ein Indiz zu sein für die Zielgruppendiffusion innerhalb einer traditionell kirchlich formatierten Bildungsagentur, deren historische Entwicklung mit dankenswerter Klarheit im Beitrag von Leimgruber nachgezeichnet wird (47 ff.). Die katholische Erwachsenenbildung tut sich offensichtlich nach wie vor schwer mit der wachsenden Schar religiöser Flaneure und unkirchlicher Gottsucher.

In den Praxisperspektiven im letzten Kapitel zeichnet sich eine starke Präferenz für im weitesten Sinne ästhetische Lernanlässe ab. Angesichts der Dominanz religionsphänomenologischer Ansätze in der Religionspädagogik bzw. in der Praktischen Theologie mag dies nicht weiter verwundern. Neben den Klassikern wie Literaturdidaktik, Filmarbeit, Bilddidaktik erobert sich langsam auch die verhältnismäßig junge Disziplin der Kirchenpädagogik einen Platz in der Erwachsenenbildung.

Die interne Pluralität der abgedruckten Aufsätze innerhalb dieses Sammelbandes ist ein Indiz dafür, dass der Reflexionsprozess mit dem Ziel einer pluralitätstauglichen, theologisch begründbaren und kulturell anschlussfähigen Erwachsenenbildung noch keineswegs abgeschlossen ist. Der vorliegende Band vermittelt dies mit wünschenswerter Klarheit. Es zählt zu seinen Stärken, den interessierten Leser in großer Breite mit in diesen Lernvorgang hineinzunehmen, ihn zu eigner Stellungnahme herauszufordern, ohne bereits fertige oder gar erprobte Modelle anzupreisen. Wenn überhaupt, dann deutet sich in nicht wenigen Aufsätzen eine »konstruktivistische« Vermittlungsoption an. Ein Sammelband ist eben kein Lehrbuch, zudem reduziert unser »verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart« fortwährend die Halbwertzeit konzeptioneller Überlegungen. Und so heißt es folgerichtig in These 8 der Herausgeber: »Religiöse Erwachsenenbildung folgt nicht einem einzigen, überall gültigen Konzept. Verschiedene Ansätze können sich vielmehr ergänzen und überschneiden Š« (289). Positiv hervorzuheben ist die in These 3 (und in vielen der Beiträge) angedeutete Absage an ein autoritäres Wahrheitskonzept. Wenn heute Wahrheit mehr und mehr zum Differenzereignis wird, dann bleiben allenfalls Evidenz und Evidenzkritik. Mit Spannung gelesen hätte man dann allerdings auch, ob dieses Kriterium in der real existierenden Erwachsenenbildung auch im Blick auf das kirchliche Lehramt Anwendung finden soll.