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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1021–1023

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Bach, Thomas, u. Olaf Breidbach [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Naturphilosophie nach Schelling.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2005. XII, 836 S. 8° = Schellingiana, 17. Kart.Euro 104,00. ISBN 3-7728-2255-X.

Rezensent:

Christian Danz

Schelling hatte seine eigene naturphilosophische Konzeption in der Mitte der 90er Jahre des 18. Jh.s zunächst im engen Zusammenhang mit den Resultaten der neueren empirischen Naturwissenschaft entworfen. Im Zentrum von Schellings Bemühungen stand beispielsweise in den Ideen zu einer Philosophie der Natur von 1797 die Absicht, die Möglichkeit der Chemie als Wissenschaft zu begründen, ähnlich wie Kant nach der Bedingung der Möglichkeit der Newtonschen Physik fragt. In einer zweiten Phase von Schellings Naturphilosophie, einsetzend um 1800, wird der Begriff Naturphilosophie zum Inbegriff von Schellings Philosophie insgesamt. Unter dem Titel Naturphilosophie werden nun nicht mehr ausschließlich Themen verhandelt, die naturphilosophischen Inhalts im engeren Sinne sind, sondern Schelling kann in naturphilosophischen Beiträgen auch religions- und geschichtsphilosophische Fragestellungen behandeln. Hierin spiegelt sich die Überzeugung Schellings, dass die Naturphilosophie und deren Methode die Grundlage eines philosophischen Systems bildet. Es kann als das Verdienst der historisch-kritischen Edition der Werke Schellings gelten, dass dessen Naturphilosophie nicht nur in letzter Zeit eine breite Aufmerksamkeit zuteil wurde, sondern auch, dass im Zuge dieser Edition manche Vorurteile gegenüber der Schellingschen Naturphilosophie abgebaut werden konnten. Dies betrifft vor allem die Meinung, dass man es bei Schellings Naturphilosophie mit einer abstrusen und empiriefernen Spekulation zu tun habe. Vielmehr konnte gezeigt werden, in welch hohem Maße Schelling sich von den Resultaten der empirischen Naturwissenschaft in seinen Entwürfen zu einer Naturphilosophie leiten ließ. Diese bereits von Schelling vorgenommene Verknüpfung von philosophischer Reflexion und empirischer Forschung ist auch noch für die naturphilosophischen Diskussionen in der ersten Hälfte des 19. Jh.s signifikant.

Thomas Bach und Olaf Breidbach haben jetzt unter dem Titel Naturphilosophie nach Schelling einen Band vorgelegt, der anhand von 29 Einzeldarstellungen die hochkomplexe und vielschichtige Diskussionslandschaft um die Naturphilosophie in der ersten Hälfte des 19. Jh.s darstellt. Der Band hat den Charakter eines Handbuches bzw. Autorenlexikons, welches die naturphilosophische Diskussion in alphabetischer Folge von Ernst Friedrich Apelt bis Julius Konrad von Yelin vorstellt. Der Titel Naturphilosophie nach Schelling ist sowohl inhaltlich als auch chronologisch gemeint. Er unterstreicht die durch die Edition der Werke Schellings zutage getretene Bedeutung von dessen naturphilosophischem Entwurf. Vorgestellt werden Autoren, welche eine Naturphilosophie im engen systematischen Anschluss an Schelling betreiben, und solche, die sich kritisch von Schellings Entwürfen absetzen und andere Wege gehen. Insgesamt macht der Band dreierlei deutlich: zunächst, dass es sich bei der Naturphilosophie nicht um eine abstruse Spekulation handelt, die sich in Distanz zur empirischen Forschung hält. Zweitens arbeitet der Band in einer wissenschaftshistorischen Perspektive das Verhältnis von Philosophie und Naturwissenschaft auf und vermag dadurch darzulegen, dass auch weit nach 1800 Naturphilosophie betrieben wurde. Die Einschätzung, dass sich nach 1800 eine Naturwissenschaft herausbildete, welche nicht nur die Naturphilosophie überflüssig machte, sondern auch die alte Naturforschung ablöste, erweist sich damit als korrekturbedürftig (vgl. IX). Und drittens zeigt der Band, wie eng auch noch in der ersten Hälfte des 19. Jh.s Naturwissenschaft und Philosophie verzahnt sind, so dass eine einfache Aufteilung in empirische Forschung und spekulative Konstruktion der Natur zu kurz greift. Auf diese Weise bietet der Band einen ersten Schritt zu einer umfassenden wissenschaftsgeschichtlichen Darstellung der Naturphilosophie im 19. Jh., die nicht geringe Konsequenzen für die Deutung der wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung in der Moderne haben wird.

Vorgestellt werden in dem Autorenlexikon Ernst Friedrich Apelt (Stefan Groß), Achim von Arnim (Gerhard Wiesenfeldt), Franz von Bader (Stefan Ackermann), Bernhard Heinrich Blasche (Katrin Stiefel), Karl Friedrich Burdach (Olaf Breidbach), Carl Gustav Carus (Jutta Müller-Tamm), Friedrich August Carus (Matthias John), Adolf Karl August von Eschenmayer (Jörg Jantzen), Jakob Friedrich Fries (Wolfgang Bonsiepen), Joseph von Görres (Jonas Maatsch), Hermann von Helmholtz (Theodor Leiber), Karl Christian Friedrich Krause (Stefan Groß), Hermann Lotze (Reinhardt Pester), Johannes Müller (Brigitte Lohff), Christian Gottfried Nees von Esenbeck (Johanna Bohley), Novalis (Gabriele Rommel), Lorenz Oken (Michael T. Ghiselin), Johann Christian Reil (Reinhard Mocek), Johann Wilhelm Ritte (Heiko Weber), Andreas Röschlaub (Nelly Tsouyopoulos), Johann Baptist Schad (Vladimir Abaschnik), Franz Joseph Schelver (Thomas Bach), Matthias Jacob Schleiden (Ulrich Charpa), Arthur Schopenhauer (Fabio Grigenti), Gotthilf Heinrich Schubert (Steffen Dietzsch), Henrik Steffens (Dietrich von Engelhardt), Ludolf Christian Treviranus (Brigitte Hoppe), Ignaz Paul Vital Troxler (Stefan Büttner), Julius Konrad von Yelin (Jan Frercks).

Im Rahmen dieser Besprechung ist es freilich nicht möglich, auf die in dem Band vorgestellten Autoren im Einzelnen einzugehen. Einige knappe Bemerkungen zu der hoch differenzierten naturphilosophischen Diskussionslandschaft in der ersten Hälfte des 19. Jh.s müssen genügen. Zunächst erweist sich die Entscheidung der Herausgeber, die Darstellung der einzelnen Positionen in alphabetischer Reihenfolge anzuordnen und nicht unter systematischen Gesichtspunkten, als überaus sinnvoll. Denn gerade dadurch zeigt sich, wie vielschichtig und kontrovers die Diskussionen um naturphilosophische Themen verlaufen sind. So können Autoren wie Ernst Friedrich Apelt (1­17) naturphilosophische Problemstellungen mit religionsphilosophischen verbinden. In Aufnahme von Grundeinsichten Kants geht es Apelt um ein »neuartiges Verhältnis zwischen Naturphilosophie und Religion« (8). Apelt ist jedoch keineswegs der einzige Autor in der ersten Hälfte des 19. Jh.s, der eine naturphilosophische Perspektive mit religionsphilosophischen Fragestellungen verbindet. Auch Denker wie Franz von Bader (41­59) und Bernhard Heinrich Blasche (61­72) können Natur- philosophie und Religionsphilosophie bzw. spekulative Theologie in einen konstruktiven Zusammenhang bringen. Blasche, der in der reformpädagogischen Erziehungsanstalt Schnepfenthal wirkte und als Begründer des modernen Werkunterrichts gelten darf, versteht die Naturphilosophie als Grundlage seiner Religionspädagogik. Sie ersetzt bei dem von Lorenz Oken (433­457) beeinflussten Pädagogen und Theologen die teleologisch-heilsgeschichtliche Grundlegung der Pädagogik, welche Christian Gotthilf Salzmann vorgenommen hatte (64). Karl Christian Friedrich Krause, der Begründer des so genannten Panentheismus, weist der Naturphilosophie die Funktion zu, »die Organisation der unterschiedlichen Wesen innerhalb der Stufenfolge zu untersuchen« (285). Dieses an der Metapher eines Organismus orientierte Verständnis von Natur und Naturphilosophie wird von Krause verbunden mit einer spekulativen Theorie des Absoluten, welche analytische und synthetische Verfahren miteinander verzahnt. Naturphilosophie ist bei einigen Autoren im 19. Jh. der Titel, unter dem die mit der zunehmenden Modernisierung verbundenen ethischen Orientierungsprobleme konstruktiv bearbeitet werden. So greift Hermann Lotze (299­329) in kritischer Absicht auf die einschlägigen Entwürfe von Schelling und Hegel, aber auch von Herbart und Fries zurück, um nach »geistiger Orientierung in einer Welt fortschreitender Säkularisierung und Verwissenschaftlichung der Lebensformen« (302) zu suchen. Lotze sieht die Bedeutung der Naturphilosophie vor allem in deren Leistung für die Begründung der modernen Wissenschaft und verbindet in seiner eigenen Naturphilosophie empirische Naturforschung und philosophische Reflexion der Natur (vgl. 309).

Die Beiträge zu den einzelnen Autoren sind formal gleich aufgebaut. Sie umfassen die Biographie des jeweiligen Autors sowie eine Darstellung seiner systematischen Position. Weiterhin werden die relevanten Hauptwerke und Schriften der Autoren in einem Anhang mitgeteilt. Die wichtigste Sekundärliteratur wird in den Fußnoten der Beiträge aufgeführt. Ein Personenregister (821­836) ermöglicht dem Leser eine erste Orientierung. Alles in allem haben die Herausgeber einen vorzüglichen Band vorgelegt, den man nur ungern wieder aus der Hand legt.