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Ausgabe:

April/1998

Spalte:

407–409

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Koltermann, Rainer

Titel/Untertitel:

Universum ­ Mensch ­ Gott. Der Mensch vor den Fragen der Zeit.

Verlag:

Graz: Styria 1997. 411 S. gr.8°. Lw. öS 420.­. ISBN 3-222-12490-6.

Rezensent:

Günther Keil

"Der Mensch vor den Fragen der Zeit". Um gleich Mißverständnisse auszuräumen: Es geht nicht um irgendeine Zeittheorie, sondern um die Begegnung unserer Gegenwart mit ihrer Zeit. Das Buch will also Wegweiser sein in all den Fragen, Zweifeln und Anfechtungen des modernen Menschen. Es behandelt Physik, Biologie, Psychologie, Ethik, Soziologie, Gott, also die weltanschaulichen Probleme und will für Gebildete Hilfe geben in den geistigen Fragen der Gegenwart. Dabei wendet es sich zuerst an katholische Leser (das zeigen z. B. immer wieder die Bezüge auf die päpstlichen Enzykliken an entscheidender Stelle), ist aber durchaus auch für evangelische Christen interessant. Behandelt werden in jedem einzelnen Stoffgebiet zuerst einmal die weltanschauliche Situation, dann werden die entsprechenden Fragen philosophisch bearbeitet (wobei an keiner Stelle Thomas von Aquin fehlt), um schließlich das einzelne Wissensgebiet theologisch abzurunden.

20 Autoren haben sich mit 30 Artikeln an dem Buch beteiligt. Sie gehören allesamt dem Jesuitenorden an, sind Professoren, die meisten lehren an der Hochschule für Philosophie in München oder an der Theologisch-Philosophischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt/Main. Sie sind ­ auch in den rein naturwissenschaftlichen Disziplinen ­ literarisch ausgewiesen. Im ganzen herrscht ein beachtliches Niveau, aber in keinem Fall werden neugewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse angestrebt (was auch von vornherein nicht in der Abzweckung des Buches liegt). Daß man den Eindruck gewinnt, daß nicht das allerneueste naturwissenschaftliche Weltbild vorherrscht (z. B. wird die so umwälzende moderne Physik zwar gestreift, aber nicht als umwälzend wirklich verarbeitet), mindert meines Erachtens den Wert des Buches nicht, denn das, was dessen Leser von außen her in Schule und Umwelt geistig zu verarbeiten hat, dürfte weithin das sein, was das Buch bietet.

Wir wollen nun versuchen, die einzelnen Beiträge in der Kürze des uns gegebenen Raumes anzudeuten.

Unter der ersten Überschrift "Universum" werden zuerst die physikalisch-kosmologischen Probleme abgehandelt: "1.1 Weltentstehungstheorien" (H.-D. Mutschler, 15-33) und "1.2 Erschaffung der Welt (philosophisch)"(R. Koltermann, 34-45). Physikalisch fällt dabei auf, daß die doch recht hypothetischen Theorien des sogenannten "Urknalls" breit herausgearbeitet werden, während die Darstellung der modernen Physik (Einstein, Planck, Heisenberg) nur gestreift wird. Aber vielleicht setzt der Vf. letzteres schon als bekannt voraus. Philosophisch ist die Darstellung stark Thomas von Aquin verpflichtet.

Dann folgt, weiterhin unter der Überschrift "Universum", die Entwicklung des Lebens: "1.3 Entstehung und Entfaltung des Lebens" (R. Koltermann, 46-64), "1.4 Erschaffung der ersten Lebewesen und der Vielfalt des Lebens (Evolution und Schöpfung: philosophisch)" (R. Koltermann, 65-78), "1.5a Aspekte biblischer Schöpfungstheologie" (E. Zenger, 79-92) und "1.5b Das Verhältnis von Evolution und Schöpfung (theologisch)" (R. Koltermann, 93-100). Da sich die ersten Beiträge der zweiten Überschrift "Mensch" ebenfalls mit der Evolution beschäftigen, fügen wir sie hier mit ein: "2.1 Der Mensch als Produkt der Evolution" (R. Koltermann, 103-116), "2.2 Erschaffung des Menschen (philosophisch)", darin "2.2a Wissenschaftstheoretische Zurückweisung von evolutionärer Erkenntnistheorie und Ethik als ungenügend" (H. Schöndorf, 117-136), "2.2b Der Mensch als Person und seine Erschafftung" (B. Weissmahr, 137-156), "2.3 Erschaffung des Menschen (theologisch)", darin: "2.3a Die Erschaffung des Menschen als Bild Gottes" (W. Groß, 157-164) und "2.3b "Alles ist durch Christus und auf ihn hin geschaffen" (Kol 1,16)" (N. Baumert, 165-172). Wie schon das Inhaltsverzeichnis zeigt, werden in den biologischen Teilen des Buches fast ausschließlich evolutionäre Fragen bearbeitet. Sind das wirklich die entscheidenden Probleme heute in den Fragen der biologischen Vielfalt der Welt und des Menschen?

Sind z. B. Pascual Jordan, so umstritten er auch immer sein mag, und andere Wege gehende Denker wirklich heute so uninteressant? Aber wie dem auch sei, die Auseinandersetzung mit der modernen Biologie und vor allem ihren einseitig verabsolutierten weltanschaulichen Ausdeutungen ist gut und überzeugend. Vor allem in 2.2a ist eine fundierte Widerlegung der evolutionären Erkenntnistheorie und Ethik gegeben worden, die beachtenswert ist. Philosophisch fällt wieder die Nähe bei Thomas von Aquin auf (in 1.2 z. B. werden Kants Antinomien oder Wilhelm von Occam überhaupt nicht erwähnt, obwohl doch in diesem Zusammenhang Gott als absolutes Sein geradezu spekulativ behauptet wird). Die theologischen Teile runden dann die Problematik biblisch ab. Aufs Ganze ist eine katholische Antwort auf die Fragen der modernen Biologie, freilich bei der gegebenen Thematik, entstanden, die mutatis mutandis auch evangelisch nicht völlig uninteressant sein dürfte.

In "2.4 Das Menschenbild der Psychologie" (H. Goller, 173-188) wird die moderne Psychologie referiert (mehr leider nicht). Viele Schulen (wie z. B. E. Spranger oder die vielen Zweige der rein geisteswissenschaftlichen Psychologie) werden­ auch geistesgeschichtlich ­ übergangen. Vor allem werden übergangen die Erörterungen der entsprechenden philosophischen und theologischen Aspekte, die sonst doch bei den anderen Wissensgebieten immer diskutiert worden sind.

Unter der Überschrift "Mensch" folgen dann die Ethik und die Soziologie: "2.5 Der Mensch als Freiheitswesen" (F. Ricken, 189-209), "2.6a Schuld und Sünde des Menschen" (M. Sievernich, 210-218), "2.6b Erlösung durch Christus" (N. Baumert, 219-225), "2.7 Das Menschenbild der Soziologie" (N. Brieskorn, 226-247), "2.8 Der Mensch als zoon politikon (philosophisch)" (N. Brieskorn, 248-267) und "2.9 Der Mensch als Mitglied der Gemeinschaft der Glaubenden" (M. Kehl, 268-282).

Besonders die beiden soziologischen Beiträge von Brieskorn sind sehr lesenswert: Die Überhöhung der Soziologie über eine lediglich beschreibende Soziologie in eine Sozialphilosophie und diese wieder in eine beschreibend-engagierte Soziologie wie auch die Berechtigung und die Relativierung von Kollektivismus und Individualismus scheinen mir bedenkenswert. Ethisch freilich wird in 2.5 vom Glück her und dabei in komparativer Abwägung des Glückes (jesuitischer Probabilismus?) gedacht.

Die dritte Überschrift "Gott" enthält folgende Beiträge: "3.1 Der Mensch als religiöses Wesen" (J. Schmidt, 285-301), "3.2 Atheismus ­ Agnostizismus" (P. Ehlen, 302-320), "3.3.1 Nichtchristliche Weltreligionen", darin: "3.3.1a Buddhismus" (W. Waldenfels, 321-329), "3.3.1b Gott in den hinduistischen Traditionen" (F. X. D’Sa, 330-337), "3.3.1c Gott im Islam" (H. Vöcking, 338-346), "Der eifersüchtige Gott Israels" (D. Krochmalnik, 347-361), "3.3.2 Das Christentum", darin: "3. 3.2a Der Gott der Offenbarung" (E. Kunz, 362-373) und "3.3.2b Der Gott Jesu Christi" (T. Rutte, 374-398). 3.1 und 3.2 sind meines Erachtens die gewichtigsten Beiträge: Sie sind scharf und überzeugend und wollen aufgrund eines kritischen und offenen Denkens Mut machen zu einem Gott, der immer nur indirekt, nie als bloßes Objekt in unseren Blick kommen kann. Hier weht uns ein Denken entgegen, das uns als Protestanten mehr als sonst in diesem Buch spezifisch Verwandtes erspüren läßt. Die kurzen Skizzen der Weltreligionen orientieren gut, ohne sehr viel Neues zu bieten (was wohl auch nicht ihr Zweck war). Die beiden theologischen Beiträge bewegen sich auf konzentriert offenbarungstheologischen Bahnen.

Damit ist ein Buch erschienen, das ­ freilich mit einigen Einseitigkeiten, was wohl aber bei einem solchen Vorhaben nicht ganz vermieden werden kann ­ aufs Ganze seinem Zweck gerecht werden dürfte. Daß es ein wissenschaftliches Buch mit neuen Erkenntnissen ist, lag gar nicht in seiner Absicht. Daß es stark katholisch gefärbt ist ­ haben wir denn evangelischerseits viel anderes danebenzustellen? Unter diesen Voraussetzungen sei das Buch empfohlen.