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Ausgabe:

April/1998

Spalte:

384–387

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Morland, Kjell Arne

Titel/Untertitel:

The Rhetoric of Curse in Galatians. Paul Confronts Another Gospel.

Verlag:

Atlanta: Scholars Press 1995. XIII, 354 S. gr.8° = Emory Studies in Early Christianity, 5. ISBN: 1-55540-923-7.

Rezensent:

Michael Bachmann

Mit der in den Jahren 1986 bis 1990 bei E. Baasland entstandenen Untersuchung zum Galaterbrief legt K. A. Morland ein bemerkenswertes Buch vor, bei dem nicht zuletzt die nüchterne Aufarbeitung von Daten überzeugt. Gerade deswegen ist zu bedauern, daß nach 1990 erschienene Literatur so gut wie nicht mehr eingearbeitet wurde, so auch nicht die 1994 herausgekommene Edition des Qumran-Dokuments 4QMMT. Wie der Buchtitel bereits erahnen läßt, nimmt M. das insbesondere durch den Galaterkommentar von H. D. Betz (1979 bzw. 1988) ­ wieder ­ zur Wirkung gebrachte Anliegen sogenannter rhetorischer Kritik auf (s. nur 14 f.104-106) und legt dabei den Akzent auf die Motivik des Fluchs (1,8 f.;3,10.13).

Der methodische Zugang mittels der (hellenistischen) Rhetorik und der beim Terminus anathema von 1,8 f. eindeutig jüdische Hintergrund (s. nur 236 f.) bestimmen denn auch den Aufbau der Untersuchung, zunächst den der Einleitung (Kap. 1: 1-19). Ihr zufolge begegnet die Thematik von Fluch und Bann innerhalb des Neuen Testaments bei Paulus vergleichsweise häufig, zumal im Gal (2 f.). Knapp wird der im Blick auf die Fluch-Thematik in der (alttestamentlichen) Exegese gewonnene "new relative consensus" (236) skizziert (3-7), nach dem der Fluch nicht wie zuvor als im Jahwe-Glauben letztlich überwundene magisch-kultische Größe anzusehen ist, sondern als juridisch verankert. Für die neutestamentliche Zeit sind darum, zumal aufgrund deuteronomistischer Geschichtssicht, "the covenantal context of curses and their use as leitmotifs for Jewish identity" zu berücksichtigen, außerdem nach wie vor die Einschätzung des Fluchs "as an effective and real power" (7). Hingegen ist es weder im Blick auf 1,8 f. ­ gern unter die u. a. von E. Käsemann angenommenen und mit dem Herrenmahl verknüpften "Sätze heiligen Rechts" (vgl. bes. 1Kor 16,22) gezählt­ noch für 3,10.13 bislang zu einem Konsens gekommen (7-13): Umstritten ist der Hintergrund von 3,13 (jüdische Polemik; Opferung Isaaks; Tieropfer) und ist vor allem, was denn Paulus mit der in 3,10b gebotenen Zitation von Dtn 27,26 bei denen "aus Werken des Gesetzes" (V. 10a) eigentlich als zur Verfluchung führend namhaft machen will, ob etwa quantitative oder qualitative Nicht-Erfüllung der Tora oder Vernachlässigung des Liebesgebots.

Die Einleitung wird durch Überlegungen zum weiteren Vorgehen abgeschlossen (13-19), das der syntaktischen, semantischen und pragmatischen Erhellung der ­ bislang nur selten verknüpften (12 f.) ­ Fluch-Aussagen des Gal dienen soll, bei besonderer Gewichtung des syntaktischen Aspekts; während dabei historische Fragen weitgehend ausgeklammert werden, bringt die Aufgabe der semantischen Erhellung die Diachronie ins Spiel und damit das Erfordernis, der Sprachverwendung zumindest mit Hilfe einer "simple version of semantic field analysis" (19) auf die Spur zu kommen (Konkordanzarbeit!).

Mit Teil I (Kap. 2-6: 21-97) wird diese semantische Analyse unter dem Stichwort "The Jewish Horizon" vorangestellt, ehe in Teil II (Kap. 7 f.: 99-138) "The Rhetorical Horizon" abgeschritten wird; der umfangreichere Teil III (Kap. 9 f.: 139-233), "Anathema and Curse in Galatians", verbindet dann rhetorische Analyse und Traditionsgeschichte, und Kap. 11 (235-241) bietet eine Zusammenfassung.

Wenn im zweiten der mit Teil I verbundenen Appendizes ca. 310 biblische und frühjüdische Kontexte (in Übersetzung) zusammengestellt werden, die Fluch-Termini bieten (253-300), so ist schon das verdienstvoll. Die Untersuchung dieser Passagen, wie sie tabellarisch in Appendix 1 (243-251) und ausführlich in Kap. 3-6 erfolgt, wird dadurch erleichtert und beschränkt, daß ihr mit Kap. 2 sozusagen ein Filter vorgeschaltet wird, nämlich eine kurze Betrachtung von 3,8-14 und 1,6-9. Die dabei erhobenen semantischen Momente bestimmen dann die das diachrone Material sichtenden Durchgänge: das Gegeneinander von Fluch und Segen und ihr Nacheinander (vgl. 3,8-10) Kap. 3, die Verfluchung von Gesetzesbrechern (vgl. 3,10) Kap. 4, geschichtsbezogener bzw. endzeitlicher Fluch und Segen (vgl. 3,13 f.) Kap. 5; Kap. 6 beschäftigt sich mit den ca. 50 Kontexten, die durch den Terminus hrm bzw. anathema (vgl. 1,8f.) charakterisiert sind, darunter nicht einmal 15 außeralttestamentliche Zusammenhänge. Wichtigstes Resultat ist, daß sowohl hinter 3,8-14 als auch hinter 1,6-9 deuteronomistische Bundes-Traditionen stehen (s. 97). Das ist bei 3,8-14 angesichts der Bezugnahmen auf Gen 12,3; Dtn 27,26; Dtn 21,23 nicht eben erstaunlich, wenn auch die nähere Betrachtung der zumal in Gen 3; 4;12; Num 22-24; Dtn 27-30 begegnenden und der hierauf bezogenen Fluch-Terminologie eine Vielzahl von bemerkenswerten Ergebnissen mit sich bringt. Unerwarteter indes ist, daß gerade auch der besonders enge Berührungen mit 1,6-9 und speziell mit 1,8 f. aufweisende Passus Dtn 13, der den Tod des zur Apostasie Verführenden fordert, mit Dtn 27-30 verbunden worden ist (vgl. bes. Dtn 7,25 f.; Jos 6,18[.26]; 7,11 f.; äthHen 6,4-6; Jos., Ant 4,309 f.) und daß (so) aus dem Bann ein Fluch und aus der Todesstrafe eine Exkommunikation werden konnte (s. bes. 39.84-96).

Sympathisch wirkt der gelassene Umgang mit der "rhetorischen Kritik", wie er Teil II bestimmt. Angesichts dessen, daß das Schreiben an die galatischen Gemeinden nun einmal ein Brief ist (vgl. 103 f.107) und daß die von H. D. Betz angestoßene Diskussion zu sehr unterschiedlichen Thesen geführt hat (s. 105) ­ insbesondere zur Alternative genus iudiciale (so Betz selbst) oder deliberativum (so z. B. G. A. Kennedy) ­, will M., wie er in Kap. 7 ausführt, nicht die Frage nach dem genus akzentuieren, sondern stärker "other parts of the ancient handbooks" (106) benutzen ("Invention and Style"; "modes of argumentation" [108 f.]). Bei solcher Vorsicht kann er sich auf C. J. Classen beziehen, und sie ist danach etwa auch von mir (Sünder oder Übertreter [WUNT 54], Tübingen 1992, bes. 18) und neuerdings von R. D. Anderson (Ancient Rhetorical Theory and Paul, Kampen 1996, bes. 255) empfohlen worden. Was Kap. 8 ­ und Teil III ­ dann konkret aus Topik und hellenistischer Stasis-Theorie für die nicht selten aristotelische (und, bei M. nur 227 Anm. 154 [und zwar fälschlich] erwähnte, aussagenlogische) Syllogismen (s. dazu Bachmann, Sünder, 50-52) verwendende Argumentation des Gal geltend macht, offenbart scharfe Beobachtungsfähigkeit. Ob indes die Annahme, bis 4,11 sei die Rhetorik der Gerichts- und von 4,12 an die der Beratungsrede bestimmend (bes. 113 f.), den Diatribe-Merkmalen von 2,15-21 angemessen ist und ob diese These einfacher, insofern auch vorsichtiger als z. B. die Option Kennedys für die zweitgenannte Möglichkeit ist, wird man fragen können, zumal juridische Momente auch in der deliberativen Gattung einen Platz haben (s. nur 114 Anm. 9). Mir leuchtet überdies nicht ein, daß es in 2,15-21 um den status finitionis gehen soll (s. 122 f.133-135); denn hier wird letztlich nicht erörtert, wie der Beschneidungswunsch zu definieren sei, sondern ­ sozusagen im status coniecturae ­ deliberativ gefragt, ob wirklich der Sünde wegen Eingerissenes wieder aufzubauen sei (s. 2,17 f.). Dennoch: Der Rückgriff auf Gedanken- und Sprachfiguren, auf Topoi wie Gegensatz, Analogie und ältere Urteile sowie auf juridische Argumentationsmuster (leges contrariae) hilft bei der Erfassung der Aussagen des Gal ein gutes Stück weiter, ob man nun der derart entwickelten Gliederung (bes. 127-138) im einzelnen zustimmt oder nicht, nämlich: 1,1-12: Präskript, exordium; 1,13-2,14: narratio; 2,15-21: Definition des Falls; 3,1-4,11: Beweise; 5,1-12: dissuasio; 6,11-18: peroratio (dazwischen in 4,12-20.21-30 überleitende Passagen und in 5,13-6,10 paränetisch-deliberative Ausführungen).

Die Einzelheiten von Teil III lassen sich in einer Rezension schwerlich adäquat skizzieren. Gesagt werden kann indes, daß M. seine Exegese durchweg mit guten Gründen vorträgt. Sie leuchten mir an vielen Stellen ein: So natürlich, wenn er ähnlich wie nach 1990 z. B. auch J. Lambrecht, A. Wechsler und ich, in 2,18 oikodomein als grundsätzliche "Übertretung" wertet (s. 189f. [vgl. Jos 6,26 und dazu 59.157]), und so ferner etwa, wenn er 3,1-7 als "inductive reasoning" von 3,8 ff. als "deductive reasoning" abhebt (182; vgl. 136).

Eingegangen werden muß auf die zentrale These des Buchs: Überzeugend ist zunächst, daß Paulus nach Kap. 9 in 1,8 f. nicht zuletzt durch Dtn 13 geprägte deuteronomistische Bundes- und Fluch-Traditionen aufgreift, jedoch auch radikal abändert: "substituting the gospel for the law" (153). Überzeugend scheint es mir überdies, wenn in Kap. 10 3,8 f. chiastisch auf 3,10 bezogen wird (183) und wenn so der durch Antithese und Aufeinanderfolge von Fluch und Segen bestimmte Kontext ebenfalls vor dem Hintergrund deuteronomistischer Traditionen verstanden wird (s. bes. 211.218-224), nun zumal bei Nebeneinfluß von Gen 12. Als überaus heikel empfinde ich hingegen die angesichts der traditionsgeschichtlichen Beobachtungen natürlich ­ verführerisch ­ naheliegende These, 3,10 lasse sich als nachgeschobene Begründung mit 1,8 f. verbinden (bes. 206-210.239), und zwar weil man 3,10 als Verurteilung nicht der Gesetzesübertreter, sondern derer zu begreifen habe, "who do not practice faith" (239). M. sieht hier "inevitable objections" (210) voraus. Die ergeben sich in der Tat.

Zweifelhaft scheint mir schon, ob 1,8 f. über 1,4 und 1,11 f(f). hinaus in den späteren Passagen des Gal, in denen die Evangeliumsbegrifflichkeit denn ja auch (ab 2,14 [doch s. 4,13]) fehlt, noch begründet werden muß (vgl. bes. 153 f.). Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund von 3,10 gehört, wie man von M. lernen kann (s. 51-64.207 f.239), gerade auch, daß der Fluch eben den trifft, der das Gesetz verletzt. Daß dem Syllogismus, der 3,10a zur conclusio und 3,10b zu einer seiner Prämissen hat, die andere fehlen soll (203), paßt nicht gut zu dem, was M. zum Chiasmus von 3,8-10, zur Absicherung von 3,9 u. a. durch Gen 12,3 und Gen 15,6 (s. 3,6.8) und zur Ableitung von 3,11a aus Hab 2,4 und Lev 18,5 (s. 3,11b.12) sagt (196. 199.201.212 f.). Denn bei einer solchen, ab 3,10a invertierten Anordnung von Prämissen und conclusio und bei dem Bestreben, die Prämissen durchweg mit Schriftworten zum Ausdruck zu bringen oder zu verknüpfen, sollte man 3,11a für die gesuchte Prämisse in Erwägung ziehen (s. Bachmann, Sünder, 95), und d. h. eine Aussage, die bei ihrer Nachordnung zu 2,16 f. wohl nur auf Fehlverhalten gegenüber dem Gesetz bezogen werden kann. Die auch von M. betonte Korrespondenz von 3,10 und 3,13 (s. bes. 217 f.) macht jedenfalls dann, wenn man Dtn 21,23 mit ihm (und H. Merklein) auf Lev 4 f.;16 f. bezieht (s. nur 221-223), nur Sinn, sofern auch die in 3,10 gemeinte Verfluchung es mit Sünde zu tun hat.

Darauf weist auch der Wortlaut von 3,10b (vgl. 124.206-209): Das aus Dtn 27,26 beibehaltene poiein c. acc. kann angesichts von 3,12 (vgl. 5,3) kaum die Glaubens- (anders: 209), sondern muß die Tora-Praxis meinen; daß Paulus nicht von den "Worten des Gesetzes" spricht, sondern tois gegrammenois en to biblio tu nomu sagt, verstärkt wegen der ähnlichen, überdies hai arai tes diathekes bietenden Formulierungen von Dtn 29,19 f. den Konnex mit 3,13 und ermöglicht es durch das nun konsequenterweise gesetzte auta nicht nur, den Bezug zu 3,12 bzw. Lev 18,5 (ta prostagmata mu ...) deutlicher zu machen, sondern auch zum Ausdruck erga nomu (3,10a). Im übrigen zeigt das oben erwähnte Qumran-Dokument 4QMMT, welches nun in C 14 f.18.20 Segen und Fluch und in C 27 (vgl. B 2) mit mcsj htwrhdie bislang einzige von Paulus unabhängige Parallele zum Ausdruck erga nomu bietet (vgl. dazu jetzt J. D. G. Dunn, 4QMMT and Galatians, in: NTS 43, 1997, 147-153), daß in 3,10 (und Kontext) recht konventionelle ­ hier wie dort eschatologisch akzentuierende ­ Sprache vorliegt und daß mit Gesetzeswerken gemeint sind: zu erfüllende oder eben nicht erfüllte "precepts of the Torah" (so die Herausgeber von 4QMMT, E. Qimron und J. Strugnell). Auch ein Korollar der von M. vertretenen These scheint mir angesichts der paulinischen Ausdrucksweise und angesichts von 4QMMT heikel, daß es nämlich dem Apostel hier (und in 4,30 [s. 169.171]) auf die Ausstoßung der "Gegner" ankomme (s. bes. 159.237); so direkt ist nicht einmal das (allerdings nicht zimperliche) Qumran-Schreiben, und Paulus ist es erst recht nicht, erwähnt vielmehr in 1,8, daß er selbst sich dem Anathema zu stellen bereit sei und spielt überdies auf die "Gegner" in 1,9 mit dem Indefinitpronomen nur eben an (vgl. 150 [und 202 Anm. 83], indes auch 174 zu 1Kor 16,22). Nicht der Ausschluß von Gegnern ist das Ziel des Briefs, sondern die Abwehr eines Rückschritts der Adressaten hinter Bekehrung bzw. Taufe (s. bes. 2,18; 4,9; 5,1).

Trotz des vorgetragenen Einwands (dessen Berücksichtigung wohl auch zu einer anderen Einschätzung des von T. L. Donaldson z. B. für 3,13 f. behaupteten heilsgeschichtlichen Szenarios [erst wir Juden, dann ihr Heiden] führen würde [s. 222 Anm. 141; vgl. jed. 73.240]): Das von M. vorgelegte Buch hilft, viele Details der Argumentation des Gal präziser zu erfassen, und es erhellt den traditionsgeschichtlichen Hintergrund nicht zuletzt von 1,8 f. und 3,8-14 ganz erheblich ­ führt überdies zu einer wichtigen Anfrage an die These von "Sätzen heiligen Rechts" im frühen Christentum (s. 172-174)!

Die Monographie, in der mir nur wenige Versehen aufgefallen sind, wird im übrigen durch Register (327-354) gut erschlossen.