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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

526–529

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Dassmann, Ernst

Titel/Untertitel:

Ambrosius von Mailand. Leben und Werk

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2004. 352 S. m. 16 Abb. gr.8°. Geb. Euro 29,80. ISBN 3-17-016610-7.

Rezensent:

Basil Studer

Wer das Ambrosius-Buch von Ernst Dassmann in die Hand nimmt, wird, selbst wenn er in der patristischen Literatur nicht sehr bewandert ist, schnell erfassen, dass diese Darstellung des Lebens und Werkes des 397 verstorbenen Bischofs von Mailand von einem Kenner und einem Freund stammt. Wenn er noch genauer hinschaut, mag er erahnen, dass gewisse Kapitel geradezu aus erster Hand erarbeitet worden sind. So etwa die interessanten und eindrucksvollen Darlegungen über den »Kirchbau in Mailand«, jene über den Hymnengesang, jene über Augustinus oder jene über das »Hohelied und die Jesusfrömmigkeit«. Wenn ein Leser sich zudem die Mühe nimmt, sich die Bibliographie anzuschauen, wird er an den zahlreichen dort verzeichneten Arbeiten des Vf.s schnell herausfinden, wo er etwas Eigenständiges erwarten darf. Niemand wird jedoch von einer Monographie über eine Persönlichkeit früher Zeiten erwarten, dass in ihr alles gleich originell sei. Der Vf. einer solch umfassenden Zusammenschau kann sich kaum in allen Gebieten auf gleich persönliche Vorarbeiten stützen. In unserem Fall mag dies etwa für das Kapitel über die Überwindung des Arianismus zutreffen. Doch selbst in den Bereichen, in denen der Vf. etwas weniger heimisch erscheinen mag, ist die Hand des Fachmannes noch immer deutlich zu spüren. Vor allem versteht es der Vf., bei allem Verständnis für die Schwächen seines »Helden« dessen wahre Größe ins helle Licht zu stellen. Das zeigt sich vielleicht am schönsten in der abschließenden Würdigung »Ambrosius heute« (288 ff.). Es seien daraus nur die beeindruckenden Worte zitiert: »Als Kirchenlehrer und Heiliger ist Ambrosius einer im vielfältigen Chor derer, die der Kirche einen unschätzbaren Reichtum an geistlicher Erfahrung und das Beispiel gelebter Jesusfrömmigkeit hinterlassen haben. Er gehört zu den zahlreichen Jüngern Jesus, die zum Glauben ermutigen«. In diesen eher sachlich wirkenden Worten kommt auch klar zum Ausdruck, dass für den Vf. die Beschäftigung mit der kirchlichen Vergangenheit immer Theologie ist, Suche nach der größeren Nähe Gottes. Im Vorwort zu seiner Ambrosius-Biographie lässt er denn auch über seine eigentliche Absicht keine Zweifel. »Die vorliegende Darstellung«, sagt er, »bemüht sich, die Faszination des Menschen, Bischofs, Theologen und Heiligen Ambrosius einzufangen« (9). In dieser theologischen Ausrichtung ist auch eingeschlossen, dass sich der Vf. an die Erfordernisse einer historischen Untersuchung halten will, ohne sich deswegen mit allen in der Literatur geäußerten Ansichten auseinander zu setzen.

Im Vorwort kündigt der Vf. zudem an, wie er vorzugehen gedenkt. »Der Aufbau des Buches folgt den biographischen Ereignissen und verknüpft mit ihnen die Entstehung der ambrosianischen Schriften, die spirituelle und theologische Entwicklung des Bischofs sowie die Schwerpunkte seines pastoralen, sozialen und kirchenpolitischen Wirkens« (9). Entsprechend diesem vorwiegend chronologischen Ansatz behandelt er einleitend die »Herkunft und Bildung« des Ambrosius (11­25). Es folgt unter dem Titel »Kirchlicher Beginn« die Darstellung der ersten Jahre bischöflichen Wirkens (26­40). In diesem Zusammenhang erfolgt die Behandlung der frühen Schriften des Ambrosius über die Jungfräulichkeit (41­52). Ebenso gehört noch zu den Anfängen der schmerzliche Abschied von seinem Bruder Satyrus, der seinen Höhepunkt in einer Predigt über die Auferstehung findet (53­58). Einen weiteren Block bilden die Kapitel über die Geschehnisse vor und nach 380. Es geht darin um die »Überwindung des Arianismus« (61­80), um die »Auseinandersetzung mit den Heiden«, in deren Mitte die Affäre um den Altar der Victoria stand (81­91). Von einzigartiger Bedeutung war für Ambrosius das Jahr 386 (vgl. 175). Mit diesem Jahr verbinden sich der »Kampf um die Basiliken« (92­108), die Fertigstellung der Basilica Romana (San Nazaro) und damit die Frage des »Kirchbaus in Mailand« (122­133), die Auffindung der Gebeine der heiligen Märtyrer Gervasius und Protasius und die allgemeine Frage nach der »Märtyrerverehrung« (150­160), die so genannte Bekehrung des Augustinus und damit sein Verhältnis zu Ambrosius (161­174) sowie gleich anschließend das engere Verhältnis mit Kaiser Theodosius dem Großen (175­192). Der Vf. behandelt im Zusammenhang mit dem Schicksalsjahr 386 auch die Ekklesiologie des Ambrosius, das »Mysterium Ecclesiae« (109­121) sowie seine Bemühungen um »Liturgie und Seelsorge« (134­150). Die folgenden zwei Kapitel sind der Auslegung der Bibel gewidmet. Im Hintergrund steht wiederum ein chronologischer Gesichtspunkt. Danach ist bei Ambrosius die Periode, in der er hauptsächlich von Philo abhängig war, von der späteren Zeit zu unterscheiden, in der er Origenes folgte.

Im ersten Kapitel »Die Heilige Schrift und ihre Auslegung« kommen vor allem die hermeneutischen Grundsätze zur Sprache (193­208), während im zweiten Kapitel »Hoheslied und Jesusfrömmigkeit« die Spiritualität im Vordergrund steht (209­223). Im Anschluss an diese Darlegungen über die Interpretation der Heiligen Schrift legt der Vf. ein Kapitel über »Soziale Theorie und karitative Praxis« vor (224­238). Darin fällt wiederum die Feinheit der Kritik auf, mit der gezeigt wird, dass Ambrosius bei allem Verständnis für die Not der Armen ein Kind der Zeit bleibt und sich nicht für Veränderungen der sozialen Verhältnisse stark macht. Es folgen drei Kapitel über die letzten Jahre des Bischofs von Mailand. Das erste, »Eugenius und das politische Erbe des Heidentums«, gipfelt im Lob, das Ambrosius in seiner Trauerrede Theodosius, dem christlichen Kaiser, widmet (239­251, bes. 245­249). Das zweite Kapitel ist mit »Die letzten Jahre« überschrieben (252­256). Darin kommt auch »Ambrosius als Briefschreiber« voll zur Geltung, der im Besonderen Briefe an Gemeinden wie Vercelli hinterlassen hat. Im dritten Kapitel »Senectus mundi« (266­297) berichtet der Vf. nicht nur vom Tod und vom Begräbnis des Heiligen, sondern hebt auch drei seiner Charakterzüge hervor: die Haltung gegenüber dem Römerreich und seiner Kultur, die Offenheit für Vergebung und die Einstellung zur »Welt«.

Das letzte und abschließende Kapitel mit dem Titel »Nachwirken« geht vorzüglich auf die »literarisch belegbaren Reaktionen auf Ambrosius¹ Leben und Wirken« ein (280­290). Der Vf. verweist dabei auf die antiken Hagiographen und Historiker, die sich damit befasst haben. Weiter unterstreicht er die Bedeutung des Theologen in der Geschichte der christlichen Lehre, einschließlich der Reformation und der Neuzeit. Er nimmt außerdem Bezug auf die Ikonographie. Schließlich und nicht zuletzt würdigt er unter dem Titel »Ambrosius heute« nochmals die Gestalt und das Denken des ersten großen Bischofs von Mailand.

Mehr als einmal hält der Vf. in seiner Darstellung mit Recht fest, dass in den letzten Jahrzehnten die Stellung des Ambrosius in der Theologiegeschichte aufgewertet worden ist (vgl. 66 f.). Dabei erinnert er mit Nachdruck an die Jesusfrömmigkeit, an das Verständnis des Wortes Gottes und die Sicherung des Taufglaubens. In zwei Bereichen scheint mir jedoch diese Aufwertung ungenügend zu sein. Im Kapitel über den »Arianismus« fügt der Vf. einen Abschnitt über die »Gotteslehre« ein (71­75), der meines Erachtens der Sache nicht gerecht wird. Im Sinne eines Traktates »De uno« werden darin die Attribute Gottes behandelt, wie sie Ambrosius verstehen soll. Es ist zuzugeben, dass dieser das Wort Deus fast durchgehend in der Bedeutung von Gottheit oder göttlich versteht (vgl. fid. II 1,18; III 3,25). Deus ist für ihn nicht wie später für Augustinus ein Eigenname des Vaters. Deus, anders als Pater und Dominus, ist vielmehr ein nomen commune für alle drei göttlichen Personen (vgl. die Auslegung von 1Tim 6,16 in fid . III 2,11). Dennoch würde Ambrosius nicht sagen Deus in tribus personis (vgl. 72: Gottes »Einzigkeit, deren Reichtum jeder der drei göttlichen Personen in gleicher Weise zukommt«). Er wäre sicher auch nicht mit der modalistisch klingenden Formulierung einverstanden: »So entfaltet Ambrosius bei aller transzendenten Größe und Überweltlichkeit den Glauben an den einen Gott, der dem Menschen gnädig zugewandt ist als Vater, Sohn und Heiliger Geist« (75). Mit anderen Worten, der Bischof von Mailand stellt nicht einfach Deus der Trinitas voran. Auch für ihn ist der Vater ursprünglich Gott. Er hat sogar in einzigartiger Weise über den Vater als den Ursprung aller Liebe gesprochen. Diese sehr originelle Auffassung wird in den Darstellungen, die sich auf den »jungnizänischen« Ansatz des Ambrosius beschränken, zu wenig berücksichtigt (vgl. 67). Dementsprechend gelten die Aussagen der Bibel über das Göttliche zuerst vom Vater. Sie gelten dann auch vom Sohn und vom Heiligen Geist, weil der Vater ihnen das göttliche Leben mitgeteilt hat (vgl. etwa fid . III 14,109, zit. 71). Typisch dafür ist, wie Ambrosius mit der Tradition des 4.Jh.s dem Sohn schließlich auch den Titel omnipotens zuspricht (vgl. fid. IV 1,14). Wenn im angesprochenen Abschnitt die Trinitätslehre des Ambrosius zu kurz kommt, muss fairerweise hinzugefügt werden, dass der Vf. sich anderswo (vgl. 215 f.), besonders bei der Darstellung des Verhältnisses zwischen Ambrosius und Augustinus, viel nuancierter ausdrückt (170 ff.). Er ist sich auch völlig im Klaren, dass in der Forschung noch einige Fragen offen bleiben (174).

Der andere Bereich, in dem m. E. die Originalität des Ambrosius zu wenig zur Geltung kommt, ist seine Lehre von der Taufe und der Eucharistie (vgl. 134­142). Wie in einem anderen Zusammenhang hervorgehoben wird, war für Ambrosius die Entdeckung des Hohenliedes, wie es Origenes verstanden hatte, grundlegend (vgl. 209 ff.). Das gilt indes auch für die Erklärung der beiden sacramenta maiora. Im Anschluss an das alttestamentliche Liebeslied versteht er Taufe und Eucharistie als Begegnung mit dem Herrn. Er lässt in De mysteriis fortwährend Christus zur Gemeinde und zu den Getauften sprechen (vgl. myst. 7,37­41). In De sacramentis erklärt er sogar, dass der Herr Jesus den Getauften einlädt, ihn zu küssen (sacr. V 2,5 f.). Ambrosius hat gewiss das Verdienst, dass er die Taufe mit dem Tod und der Auferstehung in Verbindung gebracht hat. Ebenso hat er mit seiner Auffassung von den von Jesus bei der Einsetzung der Eucharistie gesprochenen Worte als verba efficacia creatoris (vgl. 137, mit sacr. IV,13­17) entscheidend die abendländische Überlieferung, wenn auch nicht immer glücklich, beeinflusst. Doch das, was heute, da der Vollzug der Sakramente weitgehend persönlicher begriffen wird, viel mehr in Erwägung gezogen werden muss, ist seine Art, diese Feier als Begegnung mit Christus zu verstehen. An einer Stelle deutet der Vf. dies wenigstens an (vgl. 141, mit myst. 2,7: »Wer nämlich dem Teufel absagt, wendet sich Christus zu, schaut ihn direkt an«). Das Christus omnia (213­216) gilt eben in besonderer Weise von der Feier der Taufe und der Eucharistie.

Die beiden Ergänzungen, die hinzuzufügen ich mir erlaubt habe, bestätigen nur, aus welch guten Gründen sich der Vf. bemüht hat, die Faszination des Ambrosius einzufangen, und sie stellen in keiner Weise in Frage, wie gut ihm das auch gelungen ist. Im Übrigen sei nicht unerwähnt, dass die gut ausgewählte Bibliographie (321­326), die Zeittafel (329 f.), die Karten, Grundrisse und Abbildungen (331­340) sowie die Register der Personen und Orte und der Sachen (341­351) dem Leser helfen, den Reichtum dieses Ambrosius-Buches noch besser zu schätzen. Es braucht nicht eigens hervorgehoben zu werden, dass die äußere Form der Arbeit hervorragend ist. Das versteht sich ohne weiteres für ein Verlagshaus wie den Verlag W. Kohlhammer, mit dem der Vf. offensichtlich gerne zusammenarbeitet (vgl. den Dank auf S. 10).