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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

509 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wells, Bruce

Titel/Untertitel:

The Law of Testimony in the Pentateuchal Codes

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2004. X, 226 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte, 4. Geb. Euro 64,00. ISBN 3-447-05056-X.

Rezensent:

Rainer Kessler

Grundthese und Hauptertrag der Studie von W., der revidierten Fassung seiner von Raymond Westbrook betreuten Dissertation, bestehen darin, dass neubabylonische Rechtsurkunden, insbesondere Gerichtsaufzeichnungen, zur Erhellung der Pentateuch-Bestimmungen über Zeugenschaft bei Gericht herangezogen und in ihrer Relevanz für diese Texte erwiesen werden.Die Einleitung präzisiert diesen rechtsvergleichenden Ansatz. Er verspricht nicht nur die Lösung einzelner Probleme in den Pentateuch-Texten, sondern auch einen Beitrag zu der Frage, wie Gesetzestexte und Rechtspraxis zusammenhängen könnten, da die neubabylonischen Texte eben hauptsächlich Aufzeichnungen tatsächlich stattgefundener Prozesse bilden. W. betont, dass die Frage nach dem Verhältnis juristischer Texte zur Praxis kein alttestamentliches Sonderproblem ist, sondern sich bei allen altorientalischen Rechtscodizes stellt. Dabei ist es W.s Annahme, dass zwar die Codizes nicht die Basis für das praktizierte Recht sind, dass aber umgekehrt das praktizierte Recht die Basis für die Codizes bildet.In einer semantischen Untersuchung grenzt W. sodann den Begriff der Zeugenschaft ein, wobei er sich sogleich darauf festlegt, nur die Zeugenschaft bei Gericht analysieren zu wollen. Sie ist von anderen Formen der Zeugenschaft zu unterscheiden, insbesondere vom »beobachtenden Zeugen«. Dieser kann Zeuge bei einem Vertragsabschluss sein oder zufällig etwas beobachten oder auch gezielt und heimlich auf Beobachtung aus sein. Natürlich kann der beobachtende Zeuge zum Zeugen vor Gericht werden, wenn das, was er beobachtet hat, gerichtsnotorisch wird; aber das muss nicht notwendig der Fall sein. Kommt es aber zum Prozess, dann verkehrt sich die Perspektive. Während der beobachtende Zeuge das, was er wahrnimmt, eventuell später einmal bezeugen muss, muss der Zeuge vor Gericht das mitteilen, was er früher einmal wahrgenommen hat. Nach einem Seitenblick auf »unpersönliche Zeugen«, wobei der Begriff hier eher metaphorisch gebraucht wird, präzisiert W. den Begriff des Zeugen bei Gericht näher. Er beobachtet, dass der Ankläger häufig als Zeuge bezeichnet wird, selten jedoch der Beklagte. Er differenziert zwischen Augenzeugenschaft und Zeugnis auf Grund von Hörensagen und betont, dass Letzteres im altorientalischen Recht gleichberechtigt neben Ersterem steht. Und er hält fest, dass weder der Richter im Verfahren noch Frauen noch Sklavinnen und Sklaven von der Zeugenschaft bei Gericht ausgeschlossen sind.In den folgenden drei Kapiteln wendet sich W. nun den Pentateuch-Gesetzen zu, die er in drei Gruppen teilt. Die erste bildet nur Lev 5,1. Er versteht den Text auf dem Hintergrund der Vorladung eines Zeugen, der jedoch nicht willig ist auszusagen. Die »Stimme des Fluches«, die der Betreffende hört, ist eben diese Vorladung, und wer ihr nicht folgt, »trägt seine Schuld«, d. h. sieht nach Ausweis entsprechender Formulierungen in neubabylonischen Dokumenten einer nicht näher festgelegten Bestrafung entgegen. Es handelt sich also nicht nur um eine Schuld gegenüber JHWH, sondern auch um Schuld im rechtlichen Sinn.In der zweiten Gruppe, die von Num 35,30; Dtn 17,6 und 19,15 gebildet wird, geht es um die Forderung nach zwei oder mehr Zeugen. W. sieht hier ­ wie übrigens auch im babylonischen Recht ­ eine Tendenz zur Rationalisierung des Wahrheitsfindungsprozesses. Irrationale Entscheidungswege (»Gottesurteile«) treten zu Gunsten empirischer Evidenz zurück.Die letzte Textgruppe handelt vom falschen Zeugnis und der dagegen gerichteten, an der Talion orientierten Strafandrohung (Ex 20,16; Dtn 5,20; Ex 23,1­3; Lev 5,20­26; Ex 22,6­8; Dtn 19,16­21 in der Reihenfolge ihrer Behandlung). Dabei konzentrieren sich die Texte auf falsches Zeugnis bei der Anklage. Wer jemanden zu Unrecht beschuldigt, soll die gleiche Strafe empfangen wie für die fälschlich vorgeworfene Tat. Falsches Zeugnis eines Beschuldigten oder unbeteiligten Dritten erhält dabei wesentlich weniger Aufmerksamkeit in den Texten und wird auch nicht mit talionischer Vergeltung bedroht.Nachdem durch die Studie hindurch die Relevanz der neubabylonischen Gerichtsprotokolle zur Erhellung der alttestamentlichen Rechtstexte praktisch erwiesen werden konnte, geht W. im Schlusskapitel der Frage nach, wie diese Beziehung zu erklären ist. W. hält direkten Einfluss der neubabylonischen Rechtspraxis für unwahrscheinlich. Weder haben die Babylonier ihr Rechtssystem ins besetzte Juda transferiert noch genügt es als Erklärung, dass exilierte Judäer sich am babylonischen Recht orientiert hätten. Denn das Recht der biblischen Dokumente, insbesondere Bundesbuch und Deuteronomium, ist älter als das Exil. So hält W. es für wahrscheinlicher, dass biblisches und neubabylonisches Recht in einer gemeinsamen altorientalischen Tradition stehen, die im neubabylonischen Material nur ihren klarsten Kristallisationspunkt findet. Im Übrigen belegt die enge Beziehung zur realen Gerichtspraxis der Babylonier, dass die biblischen Rechtstexte uns nicht nur etwas über religiöse Ideologie mitteilen. »They also tell us about law« (167).Die durch exegetische Klarheit und juristische Distinktionsschärfe ausgezeichnete Arbeit schließt mit einem wertvollen dokumentarischen Anhang. W. gibt zehn der wichtigsten neubabylonischen Dokumente, die der Diskussion im Buch zu Grunde liegen, in Umschrift, Übersetzung und Kommentar wieder. So werden weiterer Forschung sogleich die Quellen geliefert, um sich mit W.s Position auseinander zu setzen.