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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

487

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Fürst, Walter, Drumm, Joachim, u. Wolfgang M. Schröder [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ideen für Europa

Christliche Perspektiven der Europapolitik

Verlag:

Münster: LIT 2004. IV, 497 S. gr.8° = Forum Religion & Sozialkultur. Abt. A: Religions- und Kirchensoziologische Texte, 9. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-8258-7609-8.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

Für Rousseau war die Idee einer »République Chrétienne« ein unauflöslicher Selbstwiderspruch: »chacun de ces deux mots exclude l¹autre«. ðRepublikÐ steht für Freiheit und Selbstbestimmung, ðChristentumÐ für »servitude et dépendance« (‘uvres completes, III, 467). Das heute entstehende politische Europa ist weit davon entfernt, eine ðchristliche RepublikÐ oder ein (wie in fragwürdiger Despektierlichkeit immer wieder gesagt wird) ðChristenclubÐ zu sein. Aber ohne die Rolle des Christentums in der europäischen Geschichte zu würdigen, bliebe einer ihrer wesentlichsten Züge unbedacht. Es ist deshalb zu begrüßen, wenn im vorliegenden Band durchaus differenzierte und nicht leicht auf einen Nenner zu bringende ðChristliche Perspektiven der EuropapolitikÐ entfaltet werden. Zusammengekommen in einem Arbeitskreis zu ðKirche und Europa in ZukunftÐ im Bistum Rottenburg-Stuttgart, breiten die 25 vorwiegend katholischen Autoren ein breites Tableaux von Überlegungen zur christlichen Europapolitik aus. Die Herausgeber haben sie in vier Abteilungen gesammelt. Nach einer Einleitung von W. M. Schröder, die das Problem exponiert, werden in einer ersten Abteilung (»Grundlagen«: 25­145) historische und systematische Grundfragen behandelt (von M. Fuhrmann, J. Isensee, O. Höffe, P. Altmaier, Ch. Mandry und D. Mieth). Der zweite und zentrale Teil konzentriert sich auf verschiedene »Politikfelder« (149­328) wie Subsidiarität (E. Teufel), Marktwirtschaft (N. Walter, J. Quitzau), soziale Verantwortung (G. Cremer), Landwirtschaft (E. Jeggle), Bioethik (W. Fürst), Technikfolgenabschätzung (O. Renn), Bildung (J. Drumm), Integrationspotentiale des Christentums (U. Ruh), Stabilität und Zukunft (E. Busek) und globale Solidarität (J. Müller, J. Wallacher). Der dritte Teil beschäftigt sich mit Fragen des »Verfassungs- und Staatskirchenrecht[s]« (331­433) im Blick auf die EU-Osterweiterung (P. Erdö), den Präambelstreit (W. M. Schröder), den verfassungsrechtlichen Status der Kirchen in Europa (F. Hammer) und das im Entstehen begriffene Europäische Religionsrecht (R. Puza). Der vierte Teil schließlich wendet sich »Ökumene und Pastoral« zu (437­488) mit Beiträgen von W. Kasper, W. Fürst und M. Camdessus. Ein kurzer »Rückblick« von J. Drumm notiert noch einmal einige Grundgedanken, ohne eine systematische Zusammenfassung des disparaten Stoffes zu versuchen, und hebt vor allem auf die Bedeutung der Charta Oecumenica der Konferenz europäischer Kirchen für das gemeinsame Agieren der Kirchen in Europa ab. Der Band schließt mit einem Autorenverzeichnis, besitzt aber bedauerlicherweise keine Register.

Trotz dieser Mängel ist der Band allen zu empfehlen, die sich mit dem Beitrag des Christentums zum Projekt Europa befassen. Von katholischer Seite liegen damit konkrete und durchaus programmatisch zu verstehende Überlegungen zu christlichen Perspektiven in der Europapolitik vor. Es wäre zu begrüßen, wenn Ähnliches auch von evangelischer Seite versucht würde. Denn wie immer sich Europa politisch weiterentwickeln wird, Befürchtungen der Art Rousseaus werden um so wirksamer abgewiesen werden können, je profilierter ðchristliche PerspektivenÐ in Europa in konfessioneller Vielfalt und ökumenischer Zusammenarbeit zur Geltung gebracht werden.