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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

429–431

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Albert, Hans

Titel/Untertitel:

Kritik des transzendentalen Denkens. Von der Begründung des Wissens zur Analyse der Erkenntnispraxis

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2003. XII, 202 S. gr.8°. Kart. Euro 19,00. ISBN 3-16-148197-6.

Rezensent:

Christian Danz

Bei dem anzuzeigenden Buch von Hans Albert handelt es sich um eine Zusammenstellung von verschiedenen Beiträgen aus dem Zeitraum von 1975 bis 1996. Dem mit der Diskussion um den kritischen Rationalismus Vertrauten bieten die nun von A. zu einem Buch mit dem programmatischen Titel Kritik des transzendentalen Denkens. Von der Begründung des Wissens zur Analyse der Erkenntnispraxis zusammengefassten Aufsätze in der Sache nichts Neues. Der Reiz des Buches liegt vielmehr in seiner Konzentration auf die Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Erben der kantischen Transzendentalphilosophie aus der Perspektive eines konsequenten Fallibilismus. Diese Fragestellung markiert die innere Mitte sowie den systematischen Anspruch des Buches. »Es geht darum, zu zeigen, ob die von Apel, Kuhlmann und Habermas ins Auge gefaßte Deutung des transzendentalen Denkens einer Deutung dieses Denkens vorzuziehen ist, die sich im Rahmen eines konsequenten Fallibilismus entwickeln läßt.« (VII)

Die angedeutete Fragestellung wird von A. gleich im ersten und umfangreichsten Beitrag des Bandes mit dem Titel Transzendentale Träumereien. Karl-Otto Apels Sprachspiele und sein hermeneutischer Gott (7­128) aufgenommen. A. untersucht Apels Anschluss an die Kantische Transzendentalphilosophie, welche unter Aufnahme hermeneutischer und sprachphilosophischer Positionen im Resultat auf eine Transformation des transzendentalen Idealismus Kantischer Prägung in eine Transzendentalpragmatik zielt. Die von Apel vorgenommene ðSozialisierungÐ des Kantischen transzendentalen Ich zum Apriori der Kommunikationsgemeinschaft hat bekanntlich seine Pointe in dem mit diesem Programm verbundenen Anspruch auf Letztbegründung sowohl in theoretischer als auch in praktischer Hinsicht. Wer auch immer sich auf vernünftige Argumentation einlässt, der nimmt unhintergehbare Regeln und Normen in Anspruch, die nur in Form eines performativen Widerspruchs im Akt des Gebrauchs zugleich bestritten werden können.

Diese in der Argumentation bereits in Anspruch genommenen Regeln, die sich nicht einer objektivierenden Perspektive erschließen, wie sie den Realwissenschaften eigen ist, sondern nur in der reflexiven Einstellung der transzendentalen Methode, bilden das letzte Fundament aller Erkenntnis sowie des moralischen Handelns. A.s Kritik hat ihren Fluchtpunkt in dem von Apel vorgenommenen Übergang von Voraussetzungen der Kommunikation zu einem letztbegründenden Prinzip. Ein auf diese Weise installiertes letztes Prinzip entgehe nämlich nicht dem von A. so genannten Münchhausen-Trilemma (85 ff.). Es sei mit anderen Worten erschlichen, da aus einem bloßen Faktum nicht umstandslos dessen Geltung resultiere. Von diesem Humeschen Einwand sei auch Kant betroffen, insofern dessen Transzendentalphilosophie in ihrem Scheitelpunkt auf ein Faktum der Vernunft rekurrieren müsse (28.74.171).

Letztbegründungsversuche, wie der von Apel vorgeschlagene, so die unter dem Titel Münchhausen-Trilemma prägnant formulierte letztbegründungskritische These von A., führen zu »infinitem Regreß, logischem Zirkel und Abbruch des Verfahrens an einem Punkt Š, der eine willkürliche Suspendierung des Prinzips bedeute und letzten Endes einen Rekurs auf ein Dogma involviere« (85 f.). Dem entgehe auch das Apelsche Apriori der Kommunikationsgemeinschaft nicht. Entweder ist es eine dogmatische Erschleichung oder in das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft ist vorher bereits hineingelegt, was dann in transzendentaler Analyse erst ðherausgeholtÐ werden soll. Trifft dieser Einwand gegen das von Apel vorgeschlagene Argument zu, dann ist jedoch auch nicht mehr zu sehen, inwiefern die Transzendentalpragmatik den kritischen Rationalismus und dessen konsequenten Fallibilismus zurückweisen könne, wie sie es doch beansprucht (93 ff.).

Wolfgang Kuhlmanns Weiterführung der Apelschen Transzendentalpragmatik ist der zweite Beitrag Münchhausen oder der Zauber der Reflexion (129­165) gewidmet. Im Zentrum steht der Anspruch der Transzendentalpragmatik, eine Alternative zum konsequenten Fallibilismus des kritischen Rationalismus darzustellen. Neben der bereits in dem ersten Beitrag dargelegten Kritik an dem Übergang von Voraussetzungen der Kommunikation zu einem begründeten letzten Prinzip und dem ihm angeblich zukommenden universalen Status (146 ff.) setzt sich A. mit dem von Kuhlmann, aber auch bereits von Apel geltend gemachten Argument der Selbstanwendung des Fallibilismus auseinander, welches zu dem berühmten Lügner-Paradox führt (137 ff.). A. weist diese Kritik zurück mit dem Argument, dass der kritische Rationalismus jede Aussage als Hypothese betrachte, die prinzipiell revidierbar sei (138). Das Selbstbezüglichkeitsargument, wie es von Apel und Kuhlmann vorgebracht wird, würde nur dann greifen, wenn es sich beim kritischen Rationalismus um eine Theorie handelt, die selbst mit Letztbegründungsansprüchen auftritt. Dies sei aber gerade nicht der Fall, sondern stelle ein Missverständnis des kritischen Rationalismus und seines konsequenten Fallibilismus dar.

Auf die Metakritik von Kuhlmann antwortet A. in seiner Entgegnung Die angebliche Paradoxie des konsequenten Fallibilismus und die Ansprüche der Transzendentalpragmatik (166­175), indem A. im Wesentlichen noch einmal seine Argumente gegen Kuhlmann und Apel gebündelt zusammenfasst. Der kurze Beitrag Jürgen Habermas und das Problem der Letztbegründung (176­182) widmet sich dessen Grundlegung der Diskursethik, welche einerseits wie die Apels einer Transzendentalpragmatik verpflichtet ist, jedoch andererseits und im Unterschied zu Apel seit den 80er Jahren des vorigen Jh.s Abstand von dem Anspruch auf Letztbegründung der Moral genommen hat. A. nimmt dies zum Anlass, der Frage nachzugehen, »ob Habermas damit zum konsequenten Fallibilismus übergegangen« (177) sei.

A.s Kritik an der Transzendentalpragmatik von Apel, Kuhlmann und Habermas sowie an ihrem Anspruch auf Letztbegründung und Zurückweisung des kritischen Rationalismus verdankt sich, wie der letzte Beitrag des Bandes zu zeigen versucht, selbst einem Anschluss an die Philosophie Kants (183­200). Allerdings ist dieser Anschluss an Kant ebenfalls durch eine Transformation des Kantischen Programms vermittelt. Er steht unter dem Motto Vom transzendentalen Denken zur Analyse der Erkenntnispraxis. Der kritische Rationalismus schließe, so A., einerseits an Kants Kritik am klassischen Rationalismus an und führe andererseits dessen Kritik am Rationalismus fort, indem die von Kant selbst noch beibehaltenen rationalistischen Reste der Kritik unterzogen und ausgeschieden werden. Demzufolge ist der Anschluss des kritischen Rationalismus an die Kantische Transzendentalphilosophie mit einer Ausscheidung des transzendentalen Ich verbunden. Die zeitinvariante Geltung und Universalität der Kantischen Kategorien wurde von der modernen Erkenntnistheorie entzaubert, indem das Erkenntnisvermögen als Resultat der Evolution begriffen wurde. Folglich geht es dem kritischen Rationalismus nicht mehr um »die sichere Begründung des Wissens, sondern um die Erklärung der menschlichen Erkenntnispraxis und ihre[r] möglichen Leistungen und des sich aus dem intersubjektiven Zusammenspiel ergebenden Erkenntnisgeschehens« (194). Damit wird von A. zwar Anschluss an die kopernikanische Revolution Kants sowie die mit dieser verbundenen erkenntnistheoretische Kritik gehalten, aber doch so, dass dieses Programm von allen Letztbegründungsansprüchen und deren Träumereien, einschließlich einer auf ihm errichteten Theologie (163), entlastet wird. Dem mit der Verabschiedung von Letztbegründungsansprüchen drohenden Einwand eines schrankenlosen Relativismus will nun A. durch den Rekurs auf eine »denkunabhängige[n] Wirklichkeit« (193) entgehen, welche methodisch von den Realwissenschaften erforscht wird. Wie man allerdings von einer derartigen »denkunabhängigen Wirklichkeit« soll wissen können, wenn zugestanden wird, dass bereits die menschliche Wahrnehmung Deutung und Interpretation sei (43), bleibt das Geheimnis des kritischen Rationalismus.