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Ausgabe: | April/1998 |
Spalte: | 364–370 |
Kategorie: | Altes Testament |
Autor/Hrsg.: | Jeremias, Jörg (1)u.(2) |
Titel/Untertitel: | Der Prophet Amos. (1); Hosea und Amos. Studien zu den Anfängen des Dodekapropheton. (2) |
Verlag: | Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995. 137 S. gr.8° = Das Alte Testament Deutsch, 24, 2. Kart. DM 34,. ISBN 3-525-51226-0.(1); Tübingen: Mohr 1996. 286 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 13. Geb. DM 178,. ISBN 3-16-146477-X.(2) |
Rezensent: | Walter Dietrich |
Auf seinen bei aller Knappheit ausgezeichneten Kommentar zum Buch Hosea (ATD 24/1, 1983) hat Jörg Jeremias nunmehr die Kommentierung des Buches Amos und, beides begleitend und fundierend, einen Aufsatzband mit Einzelstudien über Hosea und Amos folgen lassen. In dessen Vorwort bezeichnet er es als seine im Verlauf der Arbeit gewonnene grundlegende "Überzeugung ..., daß Prophetenbücher von Anbeginn etwas anderes sind als geordnete Sammlungen von einzelnen Prophetenworten. Vielmehr bilden sie ... ein sachliches Ganzes, eine systematisch konzipierte Summe der prophetischen Botschaft, bei der ... z. B. später stehende Texte die voranstehenden schon voraussetzen und manche Texte von Anbeginn im Blick auf dieses Ganze hin entworfen worden sind. Bei der Kommentierung des Amosbuches gesellte sich eine zweite Erkenntnis hinzu: daß die Bücher Hosea und Amos früh aufeinander bezogen wurden, um miteinander gelesen zu werden, sozusagen der rudimentäre Beginn einer Prophetentheologie" (FAT III).
Merklich verschiebt sich hier der Fokus exegetischer Bemühung von der ipsissima vox prophetae auf die Tradierung und Kanonisierung des prophetischen Überlieferungsgutes. Speziell bei Hosea sieht J. äußerste Skepsis angebracht gegenüber der Hoffnung, noch "einen unmittelbaren Zugang zur mündlichen Verkündigung des Propheten" zu gewinnen; denn schon in den ältesten Schichten des Buches sind "die Tradenten Hoseas" am Werk, die deutlich "mehr beabsichtigten, als nur in eiligen Auftrittskizzen die Verkündigung der einzelnen Stunden festzuhalten" (eine Wendung gegen H. W. Wolff!), die vielmehr unter "dem Eindruck des Falles Samarias ... die Einzelworte Hoseas zur Gesamtdarstellung seiner Botschaft" umformten, "um das bleibend Gültige" an ihr herauszustellen (FAT 65.64.66).
Kaum anders bei Amos. Zu ihm selber kann man "nur auf dem Wege komplizierter und vielfach nur hypothetischer Rekonstruktion" gelangen (ATD XIX). Immerhin läßt sich erkennen, daß er offenbar eine Wende vom partiellen zum totalen Gerichtsboten erlebte, daß er als solcher angefeindet wurde und sich rechtfertigte durch den Hinweis auf sein Überwältigtsein durch Gott und durch den Aufweis von Deformationen der israelitischen Gesellschaft auf sozialem, rechtlichem und kultischem Gebiet. Eine "Heilsverkündigung" läßt sich bei ihm unter allen Propheten "am schwierigsten, wenn überhaupt, nachweisen" (ATD XVIII). Steht J. hier nah bei seinem großen Vorgänger H. W. Wolff, so legt er doch relativ viel mehr Gewicht auf die bald nach dem Untergang des Nordreichs einsetzende Wirkungsgeschichte der Amos-Botschaft. "Wesentlich ist die Erkenntnis, daß schon die ersten Tradenten der Amosworte ungleich mehr beabsichtigten als nur die Konservierung einiger wichtiger Reden des Amos". Sie gestalteten vielmehr höchst artifiziell ein Amosbuch, in dem zwei (ursprünglich vielleicht selbständige) Seitenteile in Analogie zueinander gestaltete Zyklen von Völkersprüchen (Am *1-2) und von Visionsschilderungen (Am *79) einen aus eigentlichen Prophetensprüchen gebildeten Mittelteil rahmen, der seinerseits wieder aufgeteilt ist in eine "Jahwerede gegen das Gottesvolk" (Am *3 f.) und eine "Prophetenrede gegen den Staat" (Am *5 f.) (ATD XIX. XX). "Die Mitte des Amosbuches", der Abschnitt Am 5,1-17, in dem es um nicht weniger geht als um "Tod und Leben" (dies die Beiträge 13 und 14 in den "Studien"), ist wiederum konzentrisch aufgebaut und enthält in nuce die ganze Theologie der Amos-Tradenten. Diese wollten nämlich a) anstelle begrenzter Gruppen das "Gottesvolk insgesamt" angeklagt sehen, b) "die Anklagen des Amos mit denen Hoseas ... verbinden" und c) die Möglichkeit neuen Lebens (5,1-17!) streng an "die Realisierung von Recht und Gerechtigkeit" geknüpft wissen (ATD XX). Die Ausdehnung dieses ältesten Amosbuches wird in den Übersetzungen des Kommentars durch eine eigene Drucktype kenntlich gemacht, ohne daß davon Amos selbst noch einmal abgehoben würde (anders als bei H. W. Wolff andeutend im "Biblischen Kommentar", ausgeführt in "Die Stunde des Amos", München 1969). Was jünger ist als diese Textstufe, wird von J. im Druckbild zusammengefaßt (wiederum anders als von Wolff in der "Stunde des Amos"). Dabei rechnet er mit einer recht komplizierten Redaktionsgeschichte: Das älteste Amosbuch war noch vor 722 fertiggestellt; darauf folgte eine Bearbeitung zur Zeit Jeremias (vor allem in 2,8; 6,9f.; 7,9 f.; 8,9 f.), in oder nach der Exilszeit eine umfassende Redaktion (deuteronomistisch "primär" in 1,9-12; 2,4 f.10-12; 3,1b.7; *5,25, dem "nahestehend" in 2,7b.9; 3,13 f.; 5,6.26; 8,11-14; in hymnischem Stil: 1,2; 4,6-13; 5,8 f.; 9,5 f.) und endlich eine in sich nochmals mehrstufige Schlußbearbeitung in nachexilischer Zeit (9,7-10.*11-15.12 f.; so zusammenfassend in ATD XXI u. XXII).
Was wie eine Not erscheinen könnte das Entschwinden der Propheten Hosea und Amos hinter anonymen Traditionsvorgängen , erachtet J. als Tugend. "Das Proprium der alttestamentlichen Prophetie" (so der zweite Beitrag der "Studien") sind nämlich nicht die prophetischen "Worte für einen bestimmten Tag" (FAT 27), die dann wie in Mari geschehen mit der konkreten Situation abgetan und in irgendwelchen Archiven abgelegt worden wären, sondern die Überzeugung der Tradenten, daß auch noch "die kommenden Generationen Lebensorientierung und Lebensweisung aus den Worten des Propheten schöpfen könnten und sollten" (FAT 30). Die Zurückhaltung bei der Rekonstruktion der ursprünglichen prophetischen Botschaft und die Zuwendung zu den Prophetenbüchern: das ist modern und kommt dem vor allem in der englischsprachigen Exegese geübten literary criticism oder auch dem canonical approach entgegen. Gleichwohl ist J. ein ausgesprochener und ausgezeichneter Vertreter deutschsprachiger exegetischer Tradition, für den das historisch-kritische "Rücktasten nicht auf(hört), zu den Aufgaben des Exegeten als Theologe und nicht nur als Historiker zu gehören. So gewiß der Text alle Auslegung zu bestimmen hat und nicht die wissenschaftliche Hypothese, so gewiß spiegelt doch der schriftliche Text in seinen verschiedenen Entstehungsstufen einen Prozeß jeweils neuer Aktualisierung wider, der Zeichen für seine Lebendigkeit ist" (FAT 156). Dieses Leben aufzuspüren, ist des Vf.s ganzes Bestreben. Es sei dies an Inhalt und Intention des Aufsatzbandes vor Augen geführt. In ihm sind achtzehn, im Zuge der Kommentararbeit entstandene Einzelarbeiten vereinigt, deren erste drei von Grundsätzlichem handeln:
"Grundtendenzen gegenwärtiger Prophetenforschung" (1-19, erschienen 1984 im "Evangelischen Erzieher"): Über den durch die Namen Wellhausen und Duhm markierten Epochenbruch, von der gesellschaftlichen Funktion der Prophetie (Einzel- und Gruppenpropheten, induktive und intuitive Prophetie), von der Nutzung (bzw. "Überforderung") der Tradition durch die Propheten, von der Berufung (und Anfechtung) der Propheten, und vom Unterschied zwischen aktuellem Prophetenwort und zeitübergreifender Prophetenschrift.
"Das Proprium der alttestamentlichen Prophetie" (20-33, veröffentlicht in der ThLZ 1994): Die Überprüfung der biblischen und der Mari-Prophetie auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede ergibt als entscheidende Eigenheit der israelitischen Prophetie, daß sie in der Überzeugung, sie sei nicht nur von akzidentieller, sondern von essentieller Bedeutung, verschriftet und kanonisiert wurde.
"Die Anfänge des Dodekapropheton" (34-54, vorgetragen auf dem Pariser IOSOT-Kongress von 1992): Untersucht werden redaktionelle Verklammerungen des Hosea- und des Amosbuches (Hos 4,15 und 8,14 einerseits, Am 1,5; 2,8; 3,2; 6,8; 7,9 andererseits). Durch sie sei schon im 7. Jh. der Grundstock des späteren Dodekaprophetons geschaffen worden.
Mit Hosea befassen sich fünf Aufsätze:
"Hosea 4-7. Beobachtungen zur Komposition des Buches Hosea" (55-66, publiziert 1980 in der Festschrift für E. Würthwein). Die Kapitel sind durch eine planvolle Redaktion gestaltet worden, die z. B. in 5,8-11 "von Haus aus eigengewichtige mündliche Worte Hoseas, verkürzt auf ihre zentrale Aussage, in größere Sachzusammenhänge hineingestellt (hat), in denen sie nur noch dienende Funktion ausüben" (61).
"Zur Eschatologie des Hoseabuches" (67-85, erschienen 1981 in der Festschrift für H. W. Wolff): Die Untersuchung des Gebrauchs der Wurzel sûb in Hos 2, 3, 11 und 14 fördert ein hintergründiges Beziehungsgeflecht zwischen Abkehrwillen und Umkehrunfähigkeit Israels, Abkehrunfähigkeit und Umkehrwillen Jhwhs zutage.
"Der Begriff Baal im Hoseabuch und seine Wirkungsgeschichte" (86-103, vorgetragen 1994 auf einem Monotheismus-Symposium in Bern):
"Baal" meint bei Hosea nicht eine bestimmte Gottheit, sondern ist der "Repräsentant aller Götter und Göttinnen", die "dem genuinen Jahweglauben entgegenstehen" (89). Bei Jeremia wird er, im Ansatz ähnlich, zur "Chiffre für falsche Prophetie" (96), während er erst im Deuteronomismus zum Antipoden Jhwhs avanciert.
",Ich bin wie ein Löwe für Efraim ... (Hos 5,14). Aktualität und Allgemeingültigkeit im prophetischen Reden von Gott am Beispiel von Hos 5,8-14" (104-121, publiziert 1981 im Jubiläumsband 100 der "Stuttgarter Bibelstudien"). A. Alts "geniale" und "meisterhafte historische Analyse" des Textes wird transzendiert durch den Aufweis einer nach-hoseanischen Redaktion, welcher der syrisch-efraimitische Krieg lediglich ein Exempel der immer wieder gefährdeten und nur dank göttlichem Erbarmen aufrechterhaltenen Beziehung zwischen Jhwh und Israel ist.
"Hoseas Einfluß auf das Jeremiabuch ein traditionsgeschichtliches Problem" (122-141, geschrieben für die Festschrift für M. Sæbø von 1994): Die Berührungen zwischen Hos und Jer dürfen nicht dazu verleiten, Jer von Hos her zu lesen. Das zeigt sich an zwei Beispielen: Baal bezeichnet bei Jer nicht mehr falschen Kult, sondern falsche Prophetie, und die Metaphorik von Ehe(bruch) und Sexualität hat keinerlei mythologische Konnotationen mehr, sondern beschreibt die Übertretung der Normen Jhwhs im gesellschaftlichen Leben und politischen Handeln.
Zehn Beiträge gelten dem Amosbuch. Sie sind sämtlich jüngeren Datums und waren teilweise bisher unveröffentlicht.
"Amos 36. Beobachtungen zur Entstehungsgeschichte eines Prophetenbuches" (142-156, Beitrag zum Jubiläumsband 100 der ZAW 1988): Selbst in einem Abschnitt voller Prophetenworte dringt man kaum zum historischen Propheten durch. Die Kapitel sind von Amosschülern gestaltet. 3,1 leitet eine Gottesrede gegen das Gottesvolk ein, die in 3,2 inhaltlich zusammengefaßt und durch 3,3-8 legitimiert wird; 5,1 eröffnet eine Prophetenrede gegen den Staat Israel, in welcher der "Tod das beherrschende Thema ist" (152). In 5,1-17 haben die Tradenten aber "mit der Dringlichkeit der letzten Chance ... zum Neuanfang der Rechtsverwirklichung zu rufen gewagt" (155).
"Völkersprüche und Visionsberichte im Amosbuch" (157-171, Beitrag zur Festschrift für O. Kaiser, 1989): Die beiden Rahmenteile des Amosbuches "sind vielfältig aufeinander bezogen", bedingen einander "sowohl formal ... als auch inhaltlich", und der Anfang setzt bereits den Schluß voraus (158). Beide Zyklen handeln, literarkritisch bereinigt, in je fünf Strophen (mit je zwei Strophenpaaren und einer herausgehobenen Schlußstrophe) von der "rettungslosen Verlorenheit Israels" (164), die in Am 1 auch auf die Völker übertragen wird. Amos selbst mag den Doppelzyklus gestaltet haben freilich in der umgekehrten als der jetzigen Reihenfolge.
"Zur Entstehung der Völkersprüche im Amosbuch" (172-182, bisher unveröffentlicht): Amos war nicht Verfasser des Doppel-, sondern höchstens des Visionenzyklus. Der Fremdvölkerzyklus ist von Schülern gestaltet. Denn nur Aram und Ammon waren Nachbarn Israels, die Philister und Moabiter dagegen diejenigen Judas; ersteres paßt in die Regierungszeit Jerobeams II. und zu Amos, während Juda erst später und von den Amos-Tradenten in den Blick genommen wurde.
",Zwei Jahre vor dem Erdbeben (Am 1,1)" (183-197, aus der Festschrift für H. Graf Reventlow, 1994): Historisch läßt sich der Angabe nicht viel entnehmen. Redaktionsgeschichtlich ist sie älter als die (exilische) Datierung nach Königsnamen. Traditionsgeschichtlich ist sie mit den Erdbeben-Ankündigungen 9,1 und 2,13 und sind diese wieder mit verwandten Theophanie-Aussagen zusammenzunehmen. Dann ist mit dem Beben das Ende der Gottesbeziehung Israels und gar der kosmischen Ordnung angesagt. 8,8 und 9,5 sind exilische Auslegungen jener älteren Stellen.
"Die Mitte des Amosbuches (Am 4,4-13; 5,1-17)" (198-213, bisher unveröffentlicht): Das jüngere, (nach)exilische Buch ist konzentrisch aufgebaut: ein äußerer Rahmen (Völker- und Visionenzyklus) und ein innerer Rahmen (Worte gegen Samaria in 3,9-4,3 und 6,1-14) liegen um die beiden, parallel zueinander aufgebauten Zentralstücke: 4,4-13 ist komplett exilisch,
steht 1Kön 8,33 ff. und Lev 26 nahe, enthält Anspielungen auf Ex 19 und ruft Israel mit einer Amos verpflichteten Strenge zu ernsthafter Umkehr. Die Ringkomposition 5,*1-17 des älteren Amosbuches war schon ganz ähnlich ausgerichtet, so daß sich hier die jüngeren Bearbeiter mit der Einsetzung von 5,6.8 (f.) begnügen konnten.
"Tod und Leben in Am 5,1-17" (214-230, aus der Festschrift für A. Deissler, 1989): Auf der exilisch-frühnachexilischen Schlußebene ist die Ringkomposition 5,1-17 um die Doxologie 5,8 f. zentriert, welche die enge Folge von Schuld und Tod zugunsten des Rufs zu Buße und neuem Leben unterbricht. Im älteren Amosbuch bildete der Schuldaufweis 5,10-12 die Mitte, welcher aber zu der Mahnung 5,14 f. hinleitete: Der Rumpfstaat Israel ("Josef") hat eine Chance zum Überleben nur, wenn "die Träger der alten Sippenordnung, die Ältesten" (222) wieder für eine gerechte Torgerichtsbarkeit sorgen. Von Amos selber stammen die "rhetorischen Einheiten" V. 2f., V. 4 f. und V. 7.10-12, wobei der Prophet nach V. 4 f. entgegen dem Gefälle der Visionen noch mit einer Lebensmöglichkeit rechnet, falls man Gott bei ihm statt in Betel und Gilgal sucht.
"Am 8,4-7 ein Kommentar zu 2,6 f." (231-243, aus der Festschrift für W. Richter, 1991): Die im Titel enthaltene These wird begründet einerseits
mit dem insgesamt sekundären Charakter der "Großeinheit" 8,3-13, welche die harte Gerichtsaussage 8,2 noch einmal begründen wolle, andererseits mit sprachlich-sachlichen Akzentverschiebungen von 2,6 f. nach 8,4-7 hin.
Angeblich handelt es sich um eine Bearbeitung aus den letzten Jahrzehnten des Staates Juda.
"Das unzugängliche Heiligtum. Zur letzten Vision des Amos (Am 9,1-4)" (244-256, aus der Festschrift für K. Baltzer, 1993): Die Visionenreihe läuft auf 9,1-4 als grausamen Höhepunkt zu. Das Stehen Jhwhs signalisiert in der dritten (gegen Beyerlin, mit Uehlinger) wie in der letzten Vision seine Feindseligkeit. Er versperrt den Israeliten den Zugang zum Tempel (von Betel!) und setzt dessen kosmische Heilsfunktionen außer Kraft.
"Jakob im Amosbuch" (257-271, aus der Festschrift für J. Scharbert, 1989): Der Begriff "Jakob" ist nicht geographisch bestimmt, sondern dient der Bezeichnung Israels als Gottesvolk. Amos selber sieht in ihm eine schwache, der Fürbitte bedürftige Größe (7,2.5). Die Amos-Schüler reden vom Hochmut Jakobs, der sich auf Gott nicht angewiesen fühlt (6,8; 8,7). Die (nach-)exilischen Bearbeiter nennen "als primäre Bedingung des Überlebens die Trennung Jakobs von allen Formen staatlicher Existenz" (3,13 f.; 9,8-10) (271).
"Die Rolle des Propheten nach dem Amosbuch" (272-284, bisher unveröffentlicht): Den relativ zahlreichen Reflexionen über das prophetische Amt wird in chronologischer Reihenfolge nachgegangen. Amos selbst definiert sich in den Visionen als einstiger Fürbitter und jetziger Unheilsbote. In der von den Amos-Schülern gestalteten Einheit 3,3-6.8 wird seine Unheilsbotschaft legitimiert, er selbst in Wächterfunktion gesehen. Die aus dem 7. Jh. (Manassezeit?) stammende Erzählung 7,10-17 benennt das Mundtotmachen des Propheten durch den Staat als Grund des Endes Israels (8,2). In 2,11 f.; 8,11 f.; 9,11 f. wird diese Linie ausgezogen und generalisiert: Nur wer auf die Propheten hört, hat eine Chance auf Rettung. 3,7 endlich schreibt einzig den Propheten Unmittelbarkeit zu Gott zu. "Extra verbum prophetae nulla salus" (283)!
Ein auf Hos- und Am-Stellen beschränktes Bibelstellenregister (285 f.) und ein knappes, nach den Hauptstichworten "Amos/Amosbuch", "Hosea/ Hoseabuch" und "Prophetie/Prophetenbuch" aufgeschlüsseltes Sachregister (287) beschließen den Band.
Die Analysen und Interpretationen bergen einen großen Reichtum an Einsichten. Der Aufsatz über das Verb sûb bei Hosea (FAT 67 ff.) gehört zum theologisch Tiefgründigsten, was über diesen Propheten je geschrieben worden ist. Bewundernswert und wiederum äußerst tiefschürfend ist, was J. der knappen Angabe "zwei Jahre vor dem Erdbeben" (Am 1,1: FAT 183 ff.) und den sonst eher stiefmütterlich behandelten Doxologien Am 4,13 und 5,8 f. (FAT 198 ff.) entnimmt. Aktuell und markant bezieht er in der neuesten Monotheismusdebatte Stellung (FAT 86-89.101). Im letzten Beitrag seiner "Studien" (FAT 272 ff.) skizziert er anhand der im Amosbuch sichtbar werdenden Auffassungen vom prophetischen Amt eine ganze Prophetentheologie.
Doch auch kleine Überraschungen erfreuen beim Lesen. Wie treffend etwa ist die Wiedergabe von ks mit "beleidigen" (FAT 99), von ysr mit "erziehen" (FAT 204) und von h.sd mit "Hingabe" (FAT 57 jedenfalls bei Hosea; bei Amos wäre vielleicht zuweilen "Solidarität" vorzuziehen); und wie erfrischend, die (sekundären) Versschlüsse von Am 5,3.6 mit "Betrifft das Haus Israel" bzw. "Betrifft Bet-El" übersetzt zu finden (ATD 60). Auf welchem Wege allerdings aus der "wörtlichen" Übersetzung in Am 8,5 "Sie haben sich Musikinstrumente erdacht wie David" werden kann: "... (sie grölen) zu immer neuen Musikinstrumenten" (ATD 83), ist nicht leicht nachzuvollziehen.
Die "Studien" geben uns Gelegenheit, dem Kommentator gewissermaßen während seiner Arbeit über die Schulter zu schauen, zu sehen, welcher methodischer Ansätze er sich bedient und wie er, zuweilen in mehrfachen Anläufen und Variationen, die tragenden Erkenntnisse für seine Auslegung gewinnt. Kein Wunder, daß ihm besonders wichtige Themen und Thesen immer wieder auftauchen: allein in den "Studien", noch ganz abgesehen von den einschlägigen Stellen in den Kommentaren, etwa der Wandel des Baal-Bildes von Hosea über Jeremia bis zu den Deuteronomisten (96 ff., 130 ff.), die Schriftlichkeit als entscheidende Eigenheit der israelitischen Prophetie (16 ff., 20 ff., 104 f., 119), die besondere Anlage und Aussage des Visionenzyklus Am *79 (144 f., 158, 245 f., 272ff.), die Bedeutung des Bebens der Tempelschwellen in Am 9,1 (187 ff., 249 f.). Man muß solche Wiederholungen nicht störend, man kann sie auch aufschlußreich und sogar didaktisch sinnvoll finden.
Die Sprache des Vf.s ist ungewöhnlich sorgfältig und gepflegt (vielleicht mit Ausnahme der Übersetzung von kûsî in Jer 13,23 mit "Neger", FAT 117 falls hier nicht ein diskriminierender Beiklang schon im hebräischen Begriff nachgeahmt werden soll). Sie ist nicht unbedingt einfach, redet über Details und Komplikationen nicht hinweg. Dafür bleibt sie nüchtern und sachlich auch da, wo sie sich zu großen theologischen Aussagen vorwagt, z. B.: "Eine Not, die ohne Gott entstanden wäre, gibt es so wenig, wie es in der Not ein Vorbei an Gott gibt" (FAT 120); oder: Amos setzt sich "für die Verarmten und Verschuldeten ein, d.h. für die Glieder Israels, die sich am wenigsten selber helfen können. Ebendarum werden sie für ihn zum Maßstab des Gottesvolkes und seines Zusammenlebens" (ATD 23 f.).
Gegenüber anderen Auslegern wird, auch bei sachlichem Dissens, jederzeit Vornehmheit gewahrt. In der Regel sucht der Vf. den Konsens, zitiert zustimmend und übrigens sorgfältig und reichlich: Nicht nur der Aufsatzband, auch der Kommentar orientiert zuverlässig über mitteilenswerte Positionen der älteren wie der neuesten Forschung. Überhaupt ist es erstaunlich, wieviel Information in dem doch relativ schmalen und noch dazu auf Allgemeinverständlichkeit bedachten Kommentar geboten wird. Ein Beispiel nur für viele: In Am 8,14 nimmt J., anders als Wolff, alte und neue Konjekturen direkt in die Übersetzung hinein, so daß dort neben dem "Gott von Dan" auch die "Aschima von Samaria" (für asmat) und die "Macht von Beerscheba" (ugar. drkt für drk) auftauchen (ATD 114); in der nachfolgenden Auslegung werden knapp und doch umfassend die entsprechenden religionsgeschichtlichen Hintergründe entfaltet (ATD 120 f.).
Argumentationsführung und Thesenbildung sind von Gelehrsamkeit und Gründlichkeit, Behutsamkeit und Bescheidenheit geprägt. J. schätzt den Sprachduktus präziser Beschreibung, exakter Beurteilung und vorsichtiger Einschränkung. Sehr häufig wird betont, daß die betreffenden Ausführungen ja nur eine Annäherung, die gewonnenen Ergebnisse nur eine Hypothese darstellten. Eine besonders hübsche Miniatur zur Veranschaulichung: In einer Fußnote wird bemerkt, daß die erste Amos-Vision den dritten und die vierte den achten Monat des Bauernkalenders von Gezer nenne, womit sich ein Visionenempfang in der im Text gegebenen Reihenfolge nahelege, aber: "Natürlich ist das Argument für sich allein nicht zwingend, da Amos auch im Frühjahr eine Herbstvision gehabt haben kann" (FAT 272). Natürlich.
Die gefällten literarhistorischen Entscheidungen sind insgesamt plausibel: zwei Hauptausgaben des Amosbuches, eine Amos noch relativ nahe und eine (nach)exilische, dazu eine nachexilische Schlußbearbeitung in 9,7 ff. (wobei Am 9,12 f. als Bindeglied zu Joel und Obadja konzipiert ist, ATD XXII). Wolffs einigermaßen kühner These einer eigenen Betel-Redaktion folgt J. nicht, postuliert aber doch in Am 2,8; 3,2; 6,(8.)9 f.; 7,9 f. (ATD, jeweils z. St.) sowie in der ganzen Komposition Am 8,3-14 (FAT 231 ff.) eine Bearbeitungsschicht aus der Spätzeit des Staates Juda, der es darum gehe, Amos- und Hosea-Tradition aufeinander zu beziehen (FAT 34 ff.). Die dafür geltend gemachten Belege im Hoseabuch (4,15; 8,14) leuchten allerdings weit mehr ein als die im Amosbuch, die sich sehr nahe am oder schon im deuteronomistischen Denkbereich bewegen und sich also wie übrigens auch 5,25 wohl auch der zweiten Hauptrezension des Buches zurechnen ließen.
Daß Am 8,4-7 ein "Kommentar" zu Am 2,6 f. sei (FAT 231ff.), scheint nicht völlig zwingend. Sollte das Thema des ungerechten Handels, nur weil es auch in Dtn 25,13 ff. und Mi 6,9 ff. angesprochen ist, wirklich erst im späten 7. und nicht auch schon im 8. Jh. virulent gewesen sein (so FAT 242f.)? Warum können nicht beide Passagen altes Gut enthalten und redaktionell aneinander angeglichen worden sein? Andererseits müssen in Am 2,6 f. ursprünglich keineswegs vier "Verbrechen", könnte vielmehr wie in den Völkerstrophen nur eines genannt gewesen sein (freilich ein doppeltes:
2,6b), aus dem dann die exilische Redaktion, unter Rückgriff u. a. auf 8,4-7, eine Siebenzahl machte. Auch ist es fraglich, ob die Erstrezension wirklich schon zwischen 733 und 722 (FAT 222 f.) und nicht vielmehr, analog dem ältesten Hoseabuch, im Juda des ausgehenden 8. oder 7. Jh.s entstanden ist.
Wenn der Vf. die zunächst von Wolff übernommene Idee, Amos selbst sei der Autor des vereinigten Visionen- und Völkerspruchzyklus gewesen (FAT 170 f.), später fallen läßt (172 ff.), berührt das sympathisch, doch sind die Begründungen für beide Positionen nicht ganz plausibel. Die angenommene ursprüngliche Fünfstrophigkeit beider Zyklen ist insofern nicht über jeden Zweifel erhaben, als die Gaza-Strophe Am 1,6-8 wegen des an 1,9.11 (zwei klar sekundäre Stellen) gemahnenden Schuldvorwurfs nachgetragen sein könnte. Die Behauptung wiederum, Gaza- und Moab-Strophe zielten heimlich auf Juda und seien darum nicht Amos, sondern seinen Schülern zuzuweisen (FAT 176 f., ATD 12 f.), läßt die von J. sonst geübte Vorsicht vermissen: Die Nordisraeliten hatten ausweislich der Mescha-Stele sowie von 2Kön 3 und 14,25 oft genug mit Moab zu tun, um sich für dessen Kriegsverbrechen interessieren zu können.
Der Vf. beläßt, wie schon Wolff, mit 5,4 dem Amos nur eine einzige Stelle, die verhalten von möglichem Leben spricht, stellt sie aber sogleich unter die Überschrift "Verfehlte Lebenszusage" (ATD 65); alle anderen Hoffnungsaussagen sind ohnehin späteren Bearbeitern zuzuweisen. Amos eigene Erwartung kann dann mit Worten umschrieben werden wie "restlose Vernichtung Israels" (ATD 27, FAT 274), "rettungslose Verlorenheit Israels" (ATD 127); Israels "Heilsgeschichte wird aufgehoben" (FAT 11), die prophetische Sozial- und Justizkritik "drängt nicht auf Bestrafung der Schuldigen ..., sondern begründet ... den Untergang Israels" (FAT 12); die "Völkersprüche und Visionsberichte laufen auf ein gemeinsames Ziel zu: die Betonung der rettungslosen Verlorenheit Israels in einem umfassenden Unheil, das ausnahmslos jeden einzelnen betrifft und für alle unausweichlich ist" (FAT 161); laut Schlußstrophe des Völkergedichts gehen in Israel "nicht nur die Herrscher und politisch Verantwortlichen zugrunde, sondern ausnahmslos alle" (ATD 28). Genau das ist, selbst wenn man die radikalen literarkritischen Voraussetzungen solcher Aussagen teilte, bei der Amosexegese die Frage. Überdies wären derartige Aussagen angesichts des höchst belasteten Verhältnisses christlicher Theologie und Exegese sowohl zu politischer Herrschaft als auch zum Volk Israel sehr sorgsam gegen Beifall von unerwünschter Seite zu sichern.
Doch einzelne Anfragen, die man hier oder dort haben kann, ändern nichts daran, daß J.s Trilogie über Hosea und Amos zum Besten gehört, was es über diese beiden Prophetenbücher, ja über die biblische Prophetie überhaupt zu lesen gibt.