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Ausgabe:

Februar/2006

Spalte:

237–239

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schütte, Heinz

Titel/Untertitel:

Protestantismus heute. Ökumenische Orientierung.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 2004. 156 S. m. 1 Porträt. 8°. Geb. € 14,90. ISBN 3-89710-292-7.

Rezensent:

Friederike Nüssel

Ökumenisches Engagement für die Einheit der Christen durchzieht das gesamte akademische Schaffen von Heinz Schütte. Die in der Ökumene nötige »Bereitschaft aller, einander zu verstehen« (11), hat er selbst bereits in seiner Dissertation von 1964 über das Selbstverständnis des Protestantismus unter Beweis gestellt. Mit einer weiteren Studie zur aktuellen Lage des Protestantismus möchte er nunmehr dazu beitragen, »die noch verbliebenen Probleme entschlossen anzugehen, die in der Gemeinsamen Rechtfertigungserklärung genannt werden (Nr. 43)« (11). Als Ausgangspunkt dient ihm dabei Martin Luthers Glaubensbekenntnis von 1528 (14 f.) verbunden mit dem Hinweis darauf, dass Luther bereit gewesen sei, bei Einigkeit in der Rechtfertigungslehre »die bisherige Kirchenstruktur zu belassen« (18). Unter diesem Vorzeichen skizziert er im ersten Kapitel »Protestantismus heute – sein Ja und sein Nein« (16 ff.) die unterschiedlichen organisatorischen Gestaltungsformen protestantischer Kirchen (19 ff.) sowie die verschiedenen theologischen Richtungen und Einheitsmodelle im Luthertum und in der Leuenberger Kirchengemeinschaft, sichtet die ökumenischen Fortschritte (24 ff.) und benennt schließlich zentrale »Probleme im Protestantismus heute« (30 ff.), die in den folgenden Kapiteln erörtert werden. Außerdem macht Sch. auf »nichtdogmatische Faktoren« aufmerksam. Dazu gehört für ihn negativ das »Anfechten ökumenischer Gemeinsamkeit« (31) in Presseberichten, positiv dagegen die »Wiederentdeckung vielfältiger Formen gemeinsamen Lebens« in evangelischen Kommunitäten, über die er in einem Anhang eine knappe Übersicht bietet (34–39).
Im zweiten Kapitel wendet sich Sch. protestantischem Kirchenverständnis zu. Das Bemühen um innerevangelische Gemeinsamkeit im Kirchenverständnis werde zwar gegenwärtig noch durch »theologische Kontroversen und Tendenzen« (44) behindert. Doch die Anerkennung von CA 7 in »Communio sanctorum«, die Deutung des »satis est« in den Konsensdokumenten von Porvoo und in »Called to common mission« sowie der Meißen-Prozess gäben »zu realistischem Hoffen Anlass – wenn innerprotestantische Differenzen behoben sind« (55). Wie disparat die Positionen zu »Amt und Einheitsziel« jedoch schon innerhalb der VELKD sind, zeigt Sch. im dritten Kapitel durch den Vergleich des neu bearbeiteten Evangelischen Er wachsenenkatechismus und der im Auftrag der VELKD erstellten Studie »Dialog und Rezeption« von Hajo Goertz. Die Auffassungen von Goertz widerlegt Sch. in einem Anhang (64–68).
Divergierende bzw. gegensätzliche Auffassungen innerhalb des Protestantismus diagnostiziert Sch. dann auch in den folgenden Kapiteln zum Verständnis des Kanons und zur bischöflichen Verfassung der Kirche. Das Verständnis des sola scriptura sei dabei vermutlich das »ökumenische Kernproblem« (70). Kontrovers sei innerprotestantisch einerseits, ob der Kanon als Lehreinheit verstanden werden könne, zum anderen die Frage, ob der »Kanon – nicht das Bischofsamt – als Nachfolger des Apostolats« (76) zu gelten habe, wie in der Stellungnahme der Kammer der EKD zu »Communio sanctorum« gesagt werde. Dementsprechend unterschiedlich werde die Bedeutung der bischöflichen Ordnung der Kirche beurteilt. Mit Blick auf die Bedeutung der bischöflichen Ordnung in der Orthodoxie, in der katholischen Kirche und in den anglikanischen Kirchen wäre nach Sch.s Einschätzung ein »Wählen der bischöflichen Verfassung bzw. deren Wiederaufnahme … ein großartiger Schritt zur Lösung des Amtsproblems« (91). Einen solchen Schritt hält er unter Berufung auf Aussagen führender lutherischer Theologen wie Hans Christian Knuth und Georg Kretschmar zwar für durchaus möglich. Dem Positionspapier der VELKD zur Ökumene von 2004 zufolge, das Sch. im letzten Kapitel kritisch bespricht (bes. 118 f.), scheine die VELKD auf eine solche Lösung derzeit kaum zuzusteuern. Die Position in der Amtsfrage bleibe vielmehr unklar. Zu klären sei innerlutherisch außerdem das Verhältnis von bischöflicher Aufsichtsfunktion und der Rolle der Synoden (97–100). Und schließlich wirke sich die Einführung der Frauenordination (100 f.) ebenso wie die Segnung homosexueller Lebensgemeinschaften (104 ff.) lähmend auf die Ökumene aus.
Sch. beschließt seine Übersicht zum gegenwärtigen Protestantismus mit katholischen Perspektiven auf die Ökumene (122 ff.) und macht deutlich, dass »Klärungen des evangelischen Verständnisses von Bischof und Kirchenverfassung« erforderlich seien »als Voraussetzung zum Gelingen des Dialogs mit der orthodoxen und katholischen Kirche« (129). Doch eine solche Klärung, wie sie etwa die nordeuropäischen lutherischen Kirchen im Dialog mit den Anglikanern entwickelt haben, können andere evangelische Kirchen so nicht übernehmen, wie der Meißen-Prozess und auch die Erklärung von Reuilly zeigen.
Will man den gegenwärtigen Protestantismus verstehen und seine ökumenischen Möglichkeiten eruieren, dann bedürfen die Gründe für die innerprotestantische Vielschichtigkeit in der Sicht von Kirche und Amt eingehenderer Betrachtung als in Sch.s orientierender Skizze angestrebt. Zu bedenken wäre überdies, in welchem Maße eine innerevangelische Verständigung auf der Linie der Porvooer Feststellung den auf eucharistische Gemeinschaft zielenden Dialog mit der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen befördern könnte. Welches Gewicht den Differenzen im Verständnis der apostolischen Sukzession und vor allem in der Einstellung zur Frauenordination zukommt, würde sich vermutlich dann erst in vollem Ausmaß zeigen.
Solche Überlegungen dürfen jedoch nicht davon abhalten, sich innerevangelisch um eine einheitlichere Position in den ökumenisch zentralen Fragen zu bemühen.