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Ausgabe: | Februar/2006 |
Spalte: | 212–214 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Ethik |
Autor/Hrsg.: | Schweiker, William, and Charles Mathewes [Eds.] |
Titel/Untertitel: | Having. Property and Possession in Religious and Social Life. |
Verlag: | Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2004. X, 415 S. gr.8°. Kart. US$ 36,00. ISBN 0-8028-2484-6. |
Rezensent: | Torsten Meireis |
Spieß bietet in seiner klar gegliederten, materialreichen und schnörkellos-unprätentiösen Arbeit einen aktuell informierten, sehr brauchbaren und damit verdienstvollen Überblick zur modernen Eigentumsdebatte aus katholischer Sicht. Ausgehend von biblischen Einsichten, die in der Einleitung dargeboten und sachlich im Wesentlichen im Sinne der Gehalte des konziliaren Prozesses und der Option für die Armen gedeutet werden, ist die Arbeit in drei Teile gegliedert. Der erste, umfangreichste Teil ist der Erörterung der klassischen traditionellen und modernen philosophischen Positionen gewidmet, deren erste so rekonstruiert werden, dass sie gleichzeitig ein systematisches Argument repräsentieren, der zweite Teil bietet – deutlich knapper – einen Überblick über die katholische, größtenteils lehramtliche Sozialtheologie, der dritte schließlich bietet eine systematische Auswertung, die durch die Exposition von Formen, Funktionen und Zwecken des Eigentums eine Kriteriologie vorbereitet, die die ethische Urteilsbildung in Eigentumsfragen anleiten soll. Ein Anhang bietet an drei Fallbeispielen die exemplarische Anwendung der Kriterien.
In der Erörterung der klassischen Debatte ordnet Spieß Thomas von Aquin das Effizienzargument, John Locke das Freiheitsargument, Rousseau das Gleichheitsparadigma zu. Kants Argumentation, die das Eigentumsverständnis an rechtliche Konvention bindet, versteht Spieß als ›liberal-demokratische Interpretation der gesamtmenschheitlichen Widmung der Güter‹ (73), deutet sie mithin im Sinne thomistischer Eigentumstheorie. Hegel nimmt Spieß dann für die Vorstellung konkreter Freiheit im Sinne sozialer Teilhabe durch staatliche Sicherung in Anspruch, Marx’ Unterscheidung von Produktiv- und Privateigentum rechnet er systematisch zentrale Bedeutung zu. Während er Rawls vorrangig hinsichtlich des Differenzprinzips positiv würdigt, fällt diese Würdigung im Falle der libertären Theorien Buchanans und Nozicks zu Gunsten bloßer Darstellung aus. Die essentialistischen Ansätze Sens und Nussbaums werden hingegen als Konzepte aufgenommen, die klassisches und modernes Naturrecht verbinden und so ausweislich Spieß’ systematischer Differenzierung im höchsten Maße kompatibel zu einer Eigentumslehre in katholischer Perspektive sind.
Die Erörterung der lehramtlichen Texte katholischer Wirtschaftsethik, durch die Aufnahme des Hirtenbriefes der amerikanischen Bischöfe und das gemeinsame Wort der Deutschen Bischofskonferenz wie des Rats der EKD ergänzt, ordnet die Dokumente in ihre historischen Kontexte ein und rekonstruiert ihre Entwicklung als Gang von einem – durch die Auseinandersetzung mit dem marxschen Denken geprägten – einseitigen Rück griff auf die liberale Eigentumstheorie hin zu einer ausgewogeneren Berücksichtigung der Usus-Communis-Tradition.
In seiner Kategorienlehre hebt Spieß dann zunächst unter dem Titel der Formen des Privateigentums auf die gegenwärtigen gesellschaftlichen Vorfindlichkeiten ab. Dabei bietet er zwei Differenzen an: einmal die (marxsche) Unterscheidung von persönlichem Eigentum und Privateigentum an Produktionsmitteln, wobei er die sich hier bietenden Unschärfen deutlich benennt, dann die Differenz von unmittelbarem und abgeleitetem Eigentum. Weiterhin schlägt er in plausibler Weise die Ausweitung des Eigentumsbegriffes auf Phänomene gesicherten Zugangs bzw. zuverlässiger Verfügbarkeit von Gütern vor. Unter dem Titel ›Funktionen des Privateigentums‹ geht es handlungstheoretisch um die Gebrauchsweisen des Eigentums. Hier unterscheidet Spieß die ökonomische Funktion des Privateigentums, letztlich eine erweiterte und modernisierte Form der Rede vom Eigentum an Produktionsmitteln, von der Funktion der Eigentums als Zugangspotential, wobei unter Zu gang hier der zu einem guten Leben verstanden werden dürfte. Bedauerlich ist, dass Spieß auf die Rezeption des begrifflichen Instrumentariums Bourdieus – vor allem seiner Kapitalkategorie– verzichtet. Eine solche Rezeption hätte es einerseits ermöglicht, an dieser Stelle komplexere Unterscheidungen einzuführen, die nicht die Scheinalternative von Selbstverwirklichung und Ökonomie aufbauen. Und andererseits hätte sich dann gerade die Ausweitung des Eigentumsbegriffs terminologisch schärfer mit den Gebrauchsweisen des Eigentums verschränken lassen.
Das Zentrum der Kriteriologie bilden aber nun die Zwecke des Eigentums und es mag in einer Sozialethik aus katholischer Perspektive nicht verwundern, dass im Mittelpunkt der Konzeption eine naturrechtlich zu verstehende Menge existentieller Zwecke auf den Ebenen der Lebenserhaltung, der Interpersonalität, der Gesellschaftlichkeit, der Wohlstandsproduktion und der Kultur zu stehen kommt, die in formaler Anlehnung an den Essentialismus Nussbaums, Sens und Messners gewonnen sind. Deren Peripherie bilden die Bestimmungen von formaler und konkreter Freiheit, von Effizienz und usus communis, die in den existentiellen Zwecken bereits aufgehoben sind. Spieß macht dabei deutlich, dass die verschiedenen Ebenen in Spannung stehen. Er entwirft dann eine Kriteriologie zur Verteilungsentscheidung, die von den existentiellen Zwecken ausgeht und die vier anderen Zwecke als Hilfskriterien in Anspruch nimmt.
Während sich Spieß’ Stil durch eine thetische Argumentationsweise auszeichnet, die zuweilen Gefahr läuft, die Argumente nur noch in den Ergebnissen erscheinen zu lassen, fordert gerade die naturrechtliche Argumentation natürlich die Frage heraus, an welcher Stelle die behauptete Verallgemeinerbarkeit über den Status bloßer Versicherung hinausgeht, wenn Spieß auch den Sachverhalt der Begründungsoffenheit menschenrechtlich zu verstehender Normen (sans phrase) andeutet. Dennoch bietet die Untersuchung jedem, der sich über den klassischen und zeitgenössischen Eigentumsdiskurs informieren möchte, zuverlässige Auskunft, stellt dort, wo Spieß’ Rekonstruktion der existentiellen Zwecke einleuchtet (wenn auch vielleicht aus anderen Gründen als den von ihm genannten) ein nützliches Instrument ethischer Urteilsbildung in Eigentumsfragen dar und hat insofern durchaus das Zeug zum Standardwerk, dem man eine ausgiebige Verbreitung wünscht.
Einen ganz anderen Zugang zur Eigentumsproblematik wählen William Schweiker und Charles Mathewes in dem von ihnen edierten Sammelband. Die von Schweiker und Mathewes gemeinsam verantwortete Einleitung grenzt sich zunächst von zwei als ›typical approaches‹ apostrophierten Perspektiven ab. Weder soll es um die schlichte Anwendung nichtreligiöser Kategorien und Methoden auf religiöse Phänomene und Daten noch um eine bekenntnishafte Denunziation der modernen Welt aus religiöser Sicht gehen, sondern um eine ›materiale Kulturhermeneutik‹ (5), die in den biblischen Traditionen Zugänge zum Thema entdeckt, die in den zeitgenössischen, ökonomisch oder politologisch dominierten Debatten verzerrt oder vermisst werden. Aber auch Verzerrungen und Problme innerhalb biblischer Traditionen und Wirkungsgeschichte(n) sollen aufgedeckt werden.
Der kulturhermeneutische Zugang zum »complex yet humanly basic fact of ›having‹« (4), wie Mathewes und Schweiker ihn verstehen, beschäftigt sich mit den unterschiedlichen soziokulturellen Dynamiken, Logiken und Mustern der Bewertung und nutzt das Konzept des ›Eigentums‹ (bzw. das Etikett des ›Habens‹) als Indifferenzpunkt dieser Dimensionen, und dies in kritischer Absicht: »But we believe that only a robust account of the importance of property and posession in human existence enables us to grasp and respond to the real depth of suffering brought about by systemic forms of injustice« (7).
So sehr dabei die Vermutungen einleuchten, dass das Konzept des ›Habens‹ mit kulturell variablen Bewertungsmustern zusammen hängen dürfte, dass die Wirkungsgeschichte biblischer Bilder, Symbole und Begriffe in der westlichen Kultur zur Formung dessen beigetragen haben mag, was als Eigentum betrachtet wird, und dass weder ein bloßes bekenntnishaftes Beschwören biblischer Bilder noch die humanwissenschaftliche Analyse religiöser Phänomene allein einen gangbaren theologischen Weg zur Zeitdiagnostik in praktischer Absicht abgeben, so wünschenswert wäre es doch zu wissen, inwiefern ›Haben‹ eine ›menschliche Grundrealität‹ (2) darstellt, wie sich eigentlich ›Eigentum‹ und ›Besitz‹ in der Perspektive der Autoren unterscheiden und wie ›Bewertung‹ nun genau mit all diesen Phänomenen zusammenhängt. Auch wäre es schön, man erführe, welche Behauptungen sich auf anthropologische Grundbestände beziehen und welche kulturrelativ zu verstehen sind. Als gemeinsame Bezugspunkte der Beiträge geben die Herausgeber (a) die Untersuchung kultureller Bedeutungs- und Bewertungspraktiken, (b) die Analyse sozialer Dynamiken, Institutionen und Strukturen, (c) die Interpretation der Bedeutsamkeit biblischer Ideen, Texte und Traditionen sowie (d) die Kritik falscher Leitabstraktioen an (10) – eine durchaus opulente Speisekarte. So interessant die einzelnen Aufsätze auch sind, drängt sich angesichts dieser Breite doch die Frage auf, ob eine etwas präzisere Bestimmung des Gegenstandsbereiches für den Band nicht hilfreich gewesen wäre.
Die im ersten Kapitel versammelten Aufsätze, deren Wiedergabe im Einzelnen auch wegen des weiten Themenspektrums hier nicht angezeigt ist, bieten exegetische, kirchengeschichtliche und systematisch-theologische Einsichten zu Themen, die sich vom Eigentumskonzept der zehn Gebote über die Reichtumskritik des Chrysostomus bis zum Problem des modernen religiösen Subjektivismus erstrecken. Die im zweiten Abschnitt zusammengefassten Arbeiten beschäftigen sich mit Körper und Konsum im weitesten Sinne, die im letzten Kapitel schließlich mit Aspekten der Knappheit: Gier, Aufmerksamkeit als knappem Gut, Geiz und Vorsicht.
Insgesamt bietet der Band manche Überraschung und eröffnet neue Perspektiven – wer Überblick oder gar Einführung in das Thema sucht, wird freilich mit Spieß’ Arbeit besser beraten sein.