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Ausgabe: | Februar/2006 |
Spalte: | 163–165 |
Kategorie: | Altes Testament |
Autor/Hrsg.: | Houtman, Cornelis, u. Klaas Spronk |
Titel/Untertitel: | Ein Held des Glaubens? Rezeptionsgeschichtliche Studien zu den Simson-Erzählungen. |
Verlag: | Leuven-Paris-Dudley: Peeters 2004. IX, 283 S. m. Abb. gr.8° = Contributions to Biblical Exegesis and Theology, 39. Kart. € 35,00. ISBN 90-429-1555-2. |
Rezensent: | Rüdiger Bartelmus |
»Bibelauslegung … ist nicht das Privileg von Gelehrten innerhalb der Mauern der Universität oder von Predigern auf der Kanzel, sondern geschieht ebenso am Schreibtisch des Romanschreibers, des Poeten, des Librettisten und Komponisten, im Atelier des bildenden Künstlers und in den Filmstudios von Hollywood …« (VII).
Liest man als Alttestamentler, der selbst Studien zur musikalischen Rezeption und Umsetzung theologischer Gedanken veröffentlicht hat (und der sich zudem in seiner Dissertation intensiv mit der Simsonerzählung auseinander gesetzt hat), den programmatischen Satz, mit dem die Koautoren Cornelis Houtman (Kapitel 1–5) und Klaas Spronk (Kapitel 6–9) das Vorwort zu ihren »rezeptionsgeschichtliche(n) Studien zu den Simson-Erzählungen« eröffnen, ist man hoch erfreut, hat man doch den Eindruck, hier auf die Arbeit von Gleichgesinnten zu stoßen. Doch schon im übernächsten Satz wird dieser Eindruck relativiert. Houtman und Spronk verwenden »den Begriff ›Auslegung‹« nämlich in ausgesprochen unspezifischer Weise »für jede Form der Interpretation, sowohl für reproduzierende als auch für produzierende Auslegung«, und das bedingt, dass etwa »die feministische Auslegung von Richter 13–16« (247–263) gleichwertig neben dem Prozess der Generierung des Alten Testaments zu stehen kommt: »Schon bevor die Grenzen der Bibelbücher festgelegt waren, fand Auslegung statt« (VII; vgl. auch 24 f. u. ö.). Auch wenn der Rezensent alles andere als ein Verfechter des »canonical approach« ist – angesichts solcher Vereinfachungen kommt er nicht umhin, darauf zu verweisen, dass es doch etwas prinzipiell anderes ist, wenn ein vom Rezipienten als »heiliger Text« verstandenes Buch weiter gelesen bzw. »rewritten« wird, als wenn ein frühjüdischer Autor eine widerständige alte Sagentradition so überarbeitet, dass sie mit seinem religiösen Programm vereinbar wird, wie das im Rahmen der vordeuteronomistischen Überarbeitung der alten Sage bzw. der deuteronomistischen Redaktion des Richterbuches geschah.
Selbst wenn man nur den Umgang mit dem einmal festgeschriebenen Bibeltext betrachtet, sollte man nicht allzu schnell die fromme Auslegung eines Textes, der als sakrosanktes Wort Gottes verstanden wird, auf eine Ebene mit der Rezeption durch Personen bringen, die auf der Suche nach einer griffigen Story für einen Roman bzw. nach einem schönen Sujet für ein Gemälde zur Bibel gegriffen haben – dies unbeschadet dessen, dass in diesem Zusammenhang der Begriff »Auslegung« natürlich angemessen eingesetzt ist.
Ist im Blick auf die methodischen Vorgaben der Verfasser somit Kritik durchaus angebracht – angesichts des reichen Materials, das in den Kapiteln 2–9 zusammengestellt worden ist und das zudem, erschlossen durch mehrere Register (Abbildungen, Bibelstellen, Namen, Sachen), übersichtlich, ja anschaulich präsentiert wird (37 – drucktechnisch leider wenig befriedigende – Abbildungen bereichern den Band!), kann das Buch vorbehaltlos als echte Bereicherung des Marktes für rezeptionsgeschichtliche Publikationen eingestuft werden. Die Fülle des behandelten Materials ist beeindruckend:
So werden unter der Überschrift »2 Die Macht des Nacherzählers. Frühe und späte Nacherzählung von Richter 13« (24–64) nicht nur Textsynopsen zu »Richter 13 nach Liber Antiquitarum (sic!) Biblicarum« (27–31) und »Richter 13 nach Flavius Josephus’ Antiquitates Judaicae« (33–37) geboten und kommentiert (parallel gedruckt ist jeweils der Bibeltext), behandelt werden vielmehr hier und in den folgenden Kapiteln mehr als 40 niederländische Nacherzählungen des Textes aus Kinder-, Jugend- und Familienbibeln. In Kapitel 3 »Die Abhängigkeit des Rezipienten. Simson in zwei Posen« (65–107) wird der methodische Ansatz gewissermaßen potenziert dargeboten, denn es werden sowohl die bildlichen Darstellungen aus der Biblia pauperum und der Bible moralisée (nebst deren Textbeigaben) vorgestellt als auch deren Kommentierung durch spätere Betrachter. Die Inhalte der übrigen Kapitel ergeben sich weitgehend aus deren Überschriften: »4 Simson und Delila porträtiert. Richter 16 in erbaulicher Auslegung und bildender Kunst« (108–132; Bildmaterial vom frühen Mittelalter bis Max Liebermann). »5 Simson als Schattenbild Christi und als Held des Glaubens. Ein Fall von Metamorphose?« (133–170; hier werden Predigten ausgewertet). »6 Die Erzählung von Simson und Delila in Oratorien und Opern. Libretto und Vertonung« (171–216; behandelt werden »Oratorien« von Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre, Jean-Philippe Rameau und Georg Friedrich Händel sowie die Oper »Samson et Dalila« von Camille Saint-Saëns; als Abbildungen beigegeben sind Plakate für Aufführungen der erwähnten Werke). »7 Simson und Delila in der populären Musik. Symbole für Kraft und Untreue« (217–227). »8 Simson und Delila in cineastischer Darstellung. Zwei Filme genauer betrachtet« (228–246; erwähnt werden 12 Filme, diskutiert nur die von Cecil B. DeMille und Nicolas Roeg). »9 Frauen und Simson. Die feministische Auslegung von Richter 13–16« (247–263).
Im Schlusswort (265 f.) wird der Blick u. a. noch einmal zum Kapitel 1 »Ein Kind Gottes bereits im Mutterschoß. Richter 13 als eine alttestamentliche Ankündigungserzählung« (1–23) zurückgelenkt, das hier als »akademische(r) Exegese«, als »eine Art Standard« qualifiziert wird (265). Von daher ist es erlaubt, ja angezeigt, dieses erste Kapitel – sicherlich das schwächste im ganzen Buch –, erst am Schluss der Rezension kurz anzusprechen. Ohne die zitierte Qualifikation hätte man das Kapitel vielleicht als eine Art persönliche Rezeption einstufen können und es noch hingenommen, dass hier Autoren (auch die Dissertation des Rezensenten) oft alles andere als sachgerecht zitiert werden. Aber angesichts des damit artikulierten Anspruchs muss man darauf verweisen, dass der hier präsentierte »Standard« denn doch mehr als fragwürdig ist. Das beginnt bei der Übersetzung und endet bei der Schlussbemerkung (des Kapitels), in der unterstellt ist, dass die von der kritischen Forschung herausgearbeiteten »Spannungen« im Text von Ri 13 eher »durch die moderne moralische Urteilsbildung und durch ein modernes Gottesbild« als durch die textlichen Realitäten bedingt sein könnten (23) – dies unbeschadet dessen, dass etwa in der Dissertation des Rezensenten die Welt der griechischen Götter und Heroen (und nicht die Moderne) die Folie für die kritische Textanalyse bietet. Und wenn man in Anm. 5 (9) gar liest: »Gebräuchlich ist in Ri. 13,5 die Übersetzung: ›Du wirst schwanger werden …‹. Der Text bietet hierfür keinen Anlass«, aber zugleich weiß, dass die hier und im Folgenden verwendete Form we-qatal im hebräischen System in Rede ganz klar für das Futur steht und von Houtman denn auch beim folgenden Verb futurisch wiedergegeben wird (»und du wirst einen Sohn gebären«; 2), ist man nicht nur leicht irritiert.
Fazit: Im methodischen Ansatz und im (kurzen) exegetischen Teil problematisch – im rezeptionsgeschichtlichen Teil eine echte Fundgrube mit vielen Anregungen.