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Ausgabe: | Januar/2006 |
Spalte: | 58–61 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Mittelalter |
Autor/Hrsg.: | Panzig, Erik A. |
Titel/Untertitel: | Gelâzenheit und Abegescheidenheit. Eine Einführung in das theologische Denken des Meister Eckhart. |
Verlag: | Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005. 298 S. gr.8°. Kart. € 38,00. ISBN 3-374-02268-5. |
Rezensent: | Udo Kern |
Bei der hier zu rezensierenden Untersuchung, einer Leipziger theologischen Dissertation von 2004, handelt es sich nicht so sehr, wie der Untertitel suggeriert, um eine Einführung in das theologische Denkens Meister Eckharts, sondern es geht – und
das war der ursprüngliche Untertitel der Dissertation – um die »Verwurzelung beider Theoreme (sc. gelâzenheit und abegescheidenheit) im theologischen Denken Meister Eckharts«.
Gelassenheit hat Konjunktur und zwar: theologisch, philosophisch, philologisch, religionsgeschichtlich, spiritual, esoterisch, psychologisch etc. Vielfache Verwirrung ist eingetreten, weil deren intellektuellen (spekulativen) Voraussetzungen und Traditionen oft schlicht nicht gewusst werden. Die theologischen und philosophischen Voraussetzungen der Gelassenheit sind bis in gängiges philosophisches und theologisches Normalwissen hinein abhanden gekommen. Gelassenheit und Abgeschiedenheit verlieren ihren spekulativen Hintergrund – so der (auch historische) Haupttrend – und werden zunehmend empirisch bzw. empiristisch (auch spiritual) enggeführte positivistische Erfahrungskategorien.
Erik A. Panzig eruiert den spekulativen Hintergrund der Eckhartschen gelâzenheit und abegescheidenheit. Das sind Begriffe, an denen kein Eckhartforscher vorbeikommt und die entsprechende literarische Aufmerksamkeit auf sich zogen. P. kennt und profitiert von diesen Arbeiten. Leider berücksichtigt er materialiter nicht Bernard McGinns 2001 in New York erschienenes Werk »The mystical thought of Meister Eckhart. The man from whom God hid nothing«, obwohl er es im Literaturverzeichnis
nennt. Gegenüber der etwas älteren Eckhartforschung verfährt P. zuweilen nicht ausgewogen und zieht auch für wichtige
Topoi Eckhartschen Denkens nicht immer den entsprechenden wissenschaftlichen Diskurs genügend zu Rate. P. versteht
Eckharts Denken als genuin theologisches und denkt, damit auch die Kontroverse in der Eckhartforschung zwischen Kurt Flasch und Alois M. Haas, die er präzise darstellt, aufheben zu können. Er meint, Eckharts Werk sowohl mit Flasch als Philosophie des Christentums als auch mit Haas als Mystik verstehen zu können.
Nun ist es gewiss nicht nur nicht verkehrt, sondern mehr als einsichtig, wie P. beide Positionen einander in einer dritten zu versöhnen; und P. trägt hier wichtige und überzeugende Argumente bei. P. will Eckhart als »philosophisch argumentierende[r]n Theologen und mystagogisch predigende[r]n Seelsorger« (273) verstehen. Allerdings ist die Frage, ob mystagogisch Eckhart
gerecht wird. Auch ist es zumindest nicht frei von Missverständnissen, wenn P. Eckharts Denken in Abgrenzung zu Flasch und Haas (also zu philosophischem und mystischem Denken) als theologisches Denken etikettiert. Gewiss ist Eckharts Denken durch und durch und überhaupt letztlich theologisch orientiert und theologisch teleologisiert, aber es ist ebenfalls profiliert
philosophisches Denken, wie sich auch in der Arbeit von P. zeigt. Deshalb wäre es m. E. angemessener, von philosophisch-theologischem Denken bei Meister Eckhart zu reden, zumal P.s Darstellung dem materialiter weitgehend entspricht.
Mit Recht weist P. darauf hin, dass in der bisherigen Eckhartforschung die Eckhartsche gelâzenheit und abegescheidenheit oft in ihren je eigenen Konturen nicht oder nicht profiliert herausgearbeitet wurden. Es ist mehr als verdienstvoll, dass in der vorgelegten Arbeit zum einen die Unterschiede zwischen diesen beiden Eckhartschen Begriffen präzise herausgearbeitet werden und zum anderen ihren gegenseitigen Relationen nachgegangen wird. Hier zeigt sich, was in der Arbeit aber auch generell zu konstatieren ist, die außerordentlich solide analytische Arbeit P.s mit den Eckhartschen Texten. Das schließt allerdings nicht aus, dass man sich nicht nur manchmal gewünscht hätte, die übergroße Zahl von (oft sehr langen) Eckhartzitaten wäre für die Druckfassung der von P. vorgelegten Dissertation reduziert worden.
In seiner Arbeit verfährt P. bei der Herausarbeitung der inhaltlichen Konturen von gelâzenheit und abegescheidenheit geschichtlich genetisch. Er zeigt gut den jeweils erreichten Bedeutungsstand von gelâzenheit und abegescheidenheit im von ihm ausgewählten Eckhartschen Schrifttum. Die Auswahl der für die Behandlung von gelâzenheit und abegescheidenheit herangezogenen Eckhartschriften aus den deutschen und lateinischen Werken Eckharts durch P. überzeugt. Sie ist in keiner Weise willkürlich, sondern macht sich zum einen an inhaltlichen Kriterien und zum anderen an dem Vorkommen der entsprechenden Begriffe (gelâzenheit und abegescheidenheit) und ihrer Derivate fest. Die Termini gelâzenheit und abegescheidenheit sind von Eckhart gebildet worden, wie P. unter produktiver Aufnahme der Forschungsliteratur demonstriert. Als theologischen Ausgangspunkt seiner Erörterung zur Eckhartschen gelâzenheit benutzt P. Eckharts frühe lateinische Schrift Collatio in Libros Sententiarum von 1293. In Eckharts Erfurter Rede der underscheidunge werde die in der Collatio in Libros Sententiarum thematisierte ontologische Unterscheidung zwischen dem altissimus deus in essentia und der endlichen begrenzten creatura bei der Anwendung des Gelassenheitsbegriffs ontologisch verortet.
Da das esse allein Gott zukomme (als, wie Eckhart später sagt, esse absolute) und das kreatürliche Sein als esse hoc et hoc
nur insofern esse ist, als es ihm von dem Sein gebenden Gott zuteil wird, also aus sich heraus nicht ist, folgt aus dieser radikalen Differenz zwischen Gott und Schöpfung für den Gelassenen, dass er sich von der pluralen Mannigfaltigkeit des hoc et hoc weg zu dem Ersten, zu Gott hin entlässt.
Die in der Eckhartforschung nicht immer einheitliche, oft kontroverse Behandlung des Eckhartschen duplex esse wird von
P. sorgfältig zur Sprache gebracht, wie überhaupt die ontologischen Ausführungen P.s stringent sind. Jedoch ist eine Einschränkung zu machen. Diese betrifft die Behandlung des nihil in der ontologischen Debatte. Hier wird von P., wie – und das
sei zur Verteidigung und Entlastung P.s angeführt – oft in der Eckhartforschung, einseitig die negative und nicht auch die bei
Eckhart zu findende affirmative ontologische Bedeutung des Nichts genügend beachtet. – Der Begriff gelâzenheit sei bei Eckhart auf dem Hintergrund verschiedener Termini der neutestamentlichen Nachfolgechristologie konstruiert worden, die Eckhart ontologisch vertiefe. Entscheidend sei Eckhart das Gelassensein und nicht nur das Gelassenhaben (vom weltlichen Besitz).
Abegescheidenheit ist – so P. – nicht wie gelâzenheit ein ontologisch geprägter, sondern ein intellekttheoretischer Begriff, der
wesentlich auf der anaxagoreisch-aristotelischen Intellekttheorie aufruht. Ein erkenntnistheoretisches Theorem sei die abegescheidenheit bei Eckhart. Das Eckhartsche abegescheiden stehe im Zusammenhang mit Distinktionen der anaxagoreisch-aristotelischen Intellektdefinitionen. Sie zeigten sich vornehmlich im epistemologischen Gebrauch der lateinischen Partizipien separatus und abstractus. Insbesondere wird von P. (mit Hilfe auch der relevanten Sekundärliteratur) den entsprechenden aristotelischen Bezügen in Aristoteles’ De anima produktiv nachgegangen.
Das Eckhartsche abegescheiden impliziere ein Doppeltes: 1. das Freisein von kreatürlichen Bindungen und 2. die Ausrichtung
auf Gott. In den Eckhartschen Quaestiones Parisiensis findet P. die intellekttheoretische Grundlegung der Eckhartschen abegescheidenheit. Dieses macht er zu Recht am intelligere fest, das Eckhart in den Quaestiones Parisiensis gebraucht, wenn er vom Sein Gottes spricht, in Abgrenzung vom esse. Flasch wertet das Eckhartsche intelligere als fundamentale Wende in der
Geschichte der philosophischen Theologie. Diese Wertung teilt P. nicht. Sorgfältig geht P. analytisch und traditionsgeschichtlich der Bedeutung des Eckhartschen intelligere nach, ebenso den für seine Fragestellungen wichtigen Äußerungen Eckharts in
dessen Traktat Von abegescheidenheit. Gut stellt P. heraus, dass als Quelle für Eckharts intellekttheoretische Sicht bezüglich der Identifizierung von deus und intelligere neben dem Liber de causis der Liber XXIV philosophorum anzusehen ist.
Zu ausführlich beschäftigt sich P. mit dem in der Eckhartforschung diskutierten Problem der Echtheit der Eckhartschen
Schrift Von abegescheidenheit. Andererseits ist es schon inhaltlich einleuchtend, dass P. sehr viel Wert darauf legen muss, die
Schrift Von abegescheidenheit (mit guten Argumenten, auch aus der Sekundärliteratur) als echt eckhartisch (wie der Rezensent) anzusehen.
Natürlich darf bei der Erörterung der Eckhartschen gelâzenheit und abegescheidenheit der Bezug zu Eckharts Kerngedanken
(Kunisch, Weiß u. a.) von der Gottesgeburt in der Seele nicht fehlen, den P. in seiner metaphysischen Gründung im Opus tripartitum als maßgebliches Kriterium ansieht. Das wird im Einzelnen gut verifiziert; allerdings bleiben die entsprechenden
trinitarischen Dimensionen, die P. durchaus heranzieht, doch etwas unprofiliert stehen. (Standardliteratur zur Gottesgeburt,
vor allem ältere, wird nicht genügend herangezogen.)
Mit Markus Enders sieht P. den Differenzpunkt zwischen gelâzenheit und abegescheidenheit bei Eckhart darin, dass
Gelassenheit als Gelassen-Sein aus einem defizitären (nur dem Menschen und nicht dem vollkommenen Gott zukommenden)
Gelassen-Sein herrührt. Abegescheidenheit dagegen resultiere nicht notwendigerweise aus temporalem (und damit endlichem,
begrenztem) Sich-Abscheiden, kann vielmehr als fundamentale Seinsweise Gottes unmittelbar, d. h. ohne ein zeitliches Vorher-
Losgelöst-Sein mitgeteilt werden. Die Unterschiede zwischen Abgeschiedenheit und Gelassenheit arbeitet P. gut heraus.
Ausführliche Argumente und Belege bringt P. für seine wichtige These: Gelâzenheit sei bei Eckhart analog, abegescheidenheit
univok zu verstehen. Gelassenheit wurzele in der analogen Relation, Abgeschiedenheit in der univoken Korrelationalität. P.
profitiert insbesondere hinsichtlich der Univozität bei Eckhart von Burkhard Mojsischs entsprechenden Forschungsarbeiten.
Allerdings ist eine zu unkritische Rezeption gegenüber der Univozität der Flaschschule bei P. nicht zu übersehen.
Eckharts Deus est intelligere und Deus est esse seien kein Widerspruch, sondern Aussagen, die in je spezifischer Weise die
grundlegende Verschiedenheit zwischen Gott und Kreatur zum Ausdruck brächten. Beim Zweiten werde die Beziehung zwischen
Sein Gottes und Sein der Kreaturen qua analoger Relationalität thematisiert, beim Ersten durch univoke Korrelationalität
zwischen göttlichem und menschlichen intelligere. Es gelte also Analogie im Sein und Univozität im Denken. Beides
müsse bei Eckhart aber nicht gegenwendig, sondern im Zusammenhang gesehen werden. Unter der Perspektive der Einheit
Gottes werden beide Axiome zusammengeführt. So verflüchtige sich die Differenz zwischen Abgeschiedenheit und Gelassenheit.
Gut und produktiv verwendet P. bei Eckhart die biblischen Bezüge. Er zeigt, wie der biblische Bezug für Eckharts theologisch-
philosophisches Denken fundamentale Relevanz hat. P. hat eine profilierte Arbeit zu dem Problem der Abgeschiedenheit
und Gelassenheit bei Eckhart vorgelegt. Analytisch sauber und solide verwendet er das Eckhartsche Material und
versucht andererseits (soweit das in einer solchen Erstlingsarbeit möglich ist), die Eckhart prägenden theologischen und philosophischen Traditionen bezüglich der Fragestellung seiner nun
gedruckten Dissertation gekonnt heranzuziehen.