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Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

49–52

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Thome, Felix

Titel/Untertitel:

Historia contra Mythos. Die Schriftauslegung Diodors von Tarsus und Theodors von Mopsuestia im Widerstreit zu Kaiser Julians und Salustius’ allegorischem Mythenverständnis.

Verlag:

Alfter-Bonn: Borengässer 2004. XXXVI, 252 S. 8° = Hereditas, 24. Geb. € 32,00. ISBN 3-923946-67-8.

Rezensent:

Simon Gerber

Bekannt ist, dass die Lehrer der Antiochenischen Schule in der Schrifterklärung mehr oder weniger konsequente Gegner der
Allegorese waren. Bekannt ist, dass Kaiser Julian, um eine Wiedererweckung des Heidentums bemüht, die Mythen seiner
Religion allegorisch deutete, darin einem breiten griechischen Traditionsstrom folgend, und dass er auch für die Bibel der
»gottlosen Galiläer« nur ein allegorisches Verständnis gelten lassen wollte. Bekannt ist schließlich, dass Diodor von Tarsus und
Theodor von Mopsuestia, die beiden profiliertesten Vertreter der nicht-allegorischen antiochenischen Exegese, auch zu denjenigen christlichen Theologen gehörten, die auf Julians Angriffe auf das Christentum antworteten. – Die Gelehrten sind sich
uneins, ob und wie stark die Auslegungsmethode der Antiochener von heidnischen und jüdischen Methoden der Textauslegung
beeinflusst ist. G. Rinaldi, A. Guida und andere vermuteten nun, Diodors und Theodors Verwerfung der Allegorese könne
ihren Grund haben in beider Auseinandersetzung mit Julian, dem Vertreter einer Mythenallegorese. Felix Thomes Tübinger
Dissertation geht der Frage nach, ob hier wirklich ein Zusammenhang besteht (11 f.).
Am Ende der Untersuchung ist man im Prinzip nicht klüger als am Anfang: Th. resümiert, ein Zusammenhang zwischen
Diodors und Theodors historisch-typologischer, nicht-allegorischer Schrifterklärung und ihrer Auseinandersetzung mit Julian
lasse sich zwar nicht nachweisen, man dürfe aber vermuten, dass es ihn gebe. Diodor und Theodor hätten ja eine Übertragung der allegorischen Mythendeutung Julians und Salustius’ (des nicht zweifelsfrei zu identifizierenden Autors einer zeitgenössischen
Schrift »über Götter und Welt«) auf die Exegese der Bibel sicherlich als eine Bedrohung des christlichen Glaubens angesehen (219 f.).
Die Quellenlage erlaubt nun auch weder eine Verifizierung noch eine Falsifizierung der von Th. untersuchten These. Julian
stieß während seines Aufenthaltes in Antiochia 362/63 einmal mit Diodor zusammen, der damals noch Leiter des Antiochener
»Asketeriums« war. Die beiden stritten sich, wie aus einem Brief des Kaisers an Photin von Sirmium, den Schüler Marcells von
Ancyra, deutlich wird, offenbar um die Gottheit Christi, die Diodor verteidigte. Socrates Scholasticus berichtet weiter, Julian
habe besonders diejenigen Christen angegriffen, die die biblischen Geschichten nicht als Allegorien aufgefasst hätten
(Historia ecclesiastica III, 23,27–37, freilich eine Quelle von fraglichem eigenen Wert, da Socrates das wohl nur aus der Antwort
Cyrills von Alexandrien auf Julians Schrift »gegen die Galiläer« erschließt). Jedenfalls, meint Th., könne es in dem Streit
zwischen Diodor und Julian auch gut um die Frage der Allegorese gegangen sein. Doch selbst wenn es so war – bedeutet das,
dass Diodor seine Position in dieser Frage erst durch den Streit mit Julian einnahm?
Ähnlich wie mit dem Streit zwischen Diodor und Julian verhält es sich mit der fragmentarisch erhaltenen Schrift Theodors
gegen Julian: In den uns bekannten, jüngst von A. Guida edierten Stücken – Th. übersetzt und kommentiert sie – geht es um
das Verständnis einiger Schriftstellen, besonders aus dem Lukasevangelium; die grundsätzliche Frage eines allegorischen Schriftverständnisses wird nicht erörtert.
Helfen uns hier Diodors und Theodors hermeneutische Werke weiter? Die unter Diodors Werken in der Suda, einem byzantinischen Lexikon des Mittelalters, erwähnte Schrift »über den Unterschied zwischen Theorie und Allegorie« ist nicht erhalten. Th. bespricht stattdessen die Einleitung eines im letzten Jahrhundert entdeckten griechischen Psalmenkommentars, die die Hermeneutik ausführlich behandelt und neben dem geschichtlichen Textverständnis auch Tropologie (Metaphern, Gleich nisse) und Theorie (Anschauung eines typologischen Zusammenhangs, z. B. zwischen Ereignissen des Alten und Neuen
Testaments) kennt, die Allegorie aber ablehnt (zum Unterschied zwischen Typologie und Allegorese vgl. z. B. ThWNT 8, 251).
Ob Diodor dieses Werk verfasst habe, wird diskutiert, ist aber umstritten; Th. nimmt es an. Julian wird in ihm zwar nicht
erwähnt, aber da bei der Erörterung der Allegorie auch die Allegorisierung griechischer Sagen erwähnt wird, sei es, schreibt Th.,
immerhin gut möglich, dass hier auch an Julians Mythendeutung gedacht sei. Doch auch wenn das Werk von Diodor stammt
und an Julian gedacht ist, heißt das ja noch nicht, dass Julian der eigentliche Anlass war.
Von Theodor wiederum ist auf Syrisch ein Prolog zur Auslegung von Psalm 118 LXX erhalten, der eigentlich ein Traktat gegen
die Allegoristen ist (die Forschung streitet, ob es sich bei ihm um eine Zusammenfassung der verlorenen Schrift Theodors
gegen die Allegoristen handelt, die z. B. Facundus in seiner »Verteidigung der drei Kapitel« zitiert). Auch ihn übersetzt Th. Als
Vertreter der allegorischen Auslegungsmethode werden die Heiden, Philo und Origenes genannt; Julian wird wieder nicht
erwähnt.
In summa: Wo Diodor und Theodor sich mit Julian auseinander setzen, erwähnen sie das Problem der Allegorese nicht,
wo sie aber das Problem der Allegorese behandeln, erwähnen sie Julian nicht. Freilich haben wir sowohl von ihrer Auseinandersetzung mit Julian als auch von ihren Erörterungen zu den Grundsätzen der Hermeneutik nur sehr lückenhafte Kenntnisse.
Insofern kommen wir eben über Mutmaßungen nicht hinaus. Was nun aber u. E. eher gegen die von Th. favorisierte Herleitung
der antiochenischen Exegese spricht, ist, dass die historisch-typologische Auslegung viel besser als die Allegorese mit
der heilsgeschichtlichen Lehre der Antiochener zusammenstimmt, in deren Mittelpunkt der Mensch Jesus Christus als der
neue Adam steht. Und während sich die KommentareOrigenes’, des klassischen Vertreters der allegorischen Exegese, in beständigen Fragen und Untersuchungen ergehen, haben Theodors Kommentare einen mehr assertorischen Charakter; auch das stimmt eher mit einer historisch-typologischen Schriftauffassung zusammen (schon Eustathius, der die Allegorese nicht
prinzipiell verwarf, kritisierte in seiner Abhandlung über die »Bauchrednerin« von Endor aus 1Sam 28 an Origenes vor allem
sein ständiges Fragen und Problematisieren: Tatsächlich lägen die Dinge doch klar vor Augen).

Ganz unwahrscheinlich scheint mir die von Th. wiederholt vorgeschlagene Ableitung auch der antiochenischen »Trennungschristologie« von der Auseinandersetzung mit Julian, da dieser dem Diodor vorgehalten habe, Christus könne wegen seiner Veränderlichkeit und Leidensfähigkeit nicht Gott sein (11–13.22.220). Dieses Problem hat ja nicht erst Julian aufgeworfen; schon zu Beginn des Arianischen Streites wurde es diskutiert, und schon Eustathius entwickelte eine konsequente »Trennungschristologie«, die genau unterschied zwischen dem, was von Christi göttlicher Natur gelte, und dem, was der menschlichen Natur zukomme. Und ganz abgesehen davon hat ja auch Cyrill von Alexandrien eine Antwort auf Julians Schrift»gegen die Galiläer« verfasst und war trotzdem ein entschiedener Gegner der »Trennungschristologie«.



Die Dissertation besteht zum Großteil aus kommentierten Übersetzungen oder Paraphrasen schon bekannter (aber meist
noch nicht in deutscher Übersetzung vorhandener) Texte: der erwähnten Texte von Diodor (wenn denn Diodor der Verfasser
ist, vgl. oben) und Theodor, einiger Proben aus Theodors Auslegung von Gleichnissen und Metaphern, der Reden Julians
gegen den Kyniker Heraclius (einen Verächter der heidnischen Götter) und auf die Göttermutter Kybele und ihren Kult, seiner
Schrift »gegen die Galiläer« und der Schrift Salustius’ »über Götter und Welt«. Der Leser erfährt hier tatsächlich viel Interessantes und Nützliches über das heidnische Götter- und Mythenverständnis
im 4. Jh. und über die Erörterung hermeneutischer Fragen unter den christlichen Theologen. Als Gesamtentwurf,
der darlegt, dass die julianische Reaktion größeren Einfluss auf das Denken der Kirchenväter gehabt habe, als bislang angenommen oder doch wenigstens gehabt haben könnte, hat mich
die Dissertation nicht überzeugt.