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Ausgabe:

Januar/2006

Spalte:

21–23

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hermisson, Hans-Jürgen

Titel/Untertitel:

Deuterojesaja. 2. Teilbd.: Jesaja 45,8–49,13.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2003. VIII, 414 S. gr.8° = Biblischer Kommentar zum Alten Testament, 11/2. Lw. Û 99,00. ISBN 3-7887-1258-9.

Rezensent:

Peter Höffken

Mit diesem Teilband zum mittleren Stück des Buches Deuterojesaja liegt nun ein Band vor, dessen erste Lieferung 1987 erschien und dessen fünfte und letzte 2003 das Licht der Welt erblickte, wobei Hermisson die Aufgabe der Kommentierung
nach K. Elligers Tod 1977/8 übernommen hatte. Dabei hatte Elliger den Kommentar noch bis 45,7 beschließen können, woran
nun H.s Kommentierung anschließt. Diese vollzieht sich in zehn Abschnitten, die dem literarischen Befund in 46–49 entsprechend großformatiger sind als jene in 40–45, und wird ab S. 399 durch Register (Bibelstellen, Namen und Sachen [sehr
knapp gehalten], Register zu hebräischen Wörtern) sowie ein Verzeichnis der im Buchtext abgekürzt aufgeführten Literatur
und anderes mehr abgeschlossen. Zu beachten ist dabei das sehr ausführliche Verzeichnis der Kommentare, das neben jüdischen auch altkirchliche und mittelalterliche Werke erfasst.
Dem historisch-kritischen Ansatz der Kommentierung der Reihe BK entsprechend liegt starkes Gewicht auf textkritischen
Fragen, die mit großer Ausführlichkeit erörtert werden, aber keineswegs mehr allein dem Ziele dienen, eines ältesten zugänglichen Textes ansichtig zu werden. Vielmehr tritt die auslegungsgeschichtliche Relevanz der Textkritik in den Blick. – Die
zehn Abschnitte, die der Interpretation zu Grunde liegen, scheinen mir ein gutes Mittelmaß gegenüber allzu globalen (z. B. in B. S. Childs’ Kommentar) bzw. allzu kleinschrittigen Gliederungen (z. B. in C. Westermanns Kommentar) darzustellen, wie es ähnlich in J. Blenkinsopps Kommentar praktiziert wird. Sie sind teilweise auch offen für die Beachtung kompositioneller oder redaktioneller Fügungen.
Vergleicht man mit einer früheren, ersten Grundorientierung oder besser Positionsbestimmung in Sachen des Deuterojesajabuches, die H. 1989 veröffentlicht hatte (in J. Vermeylen [Hrsg.], The Book of Isaiah. Leuven 1989, 287–312), so gibt es naturgemäß starke Differenzen. Diese betreffen weniger die Grundannahmen über die dtrjes Herkunft einzelner Texte – hierin
besteht in dem behandelten Buchteil eine recht große, fast totale Übereinstimmung mit dem Kommentar (dtrjes Texte: 45,8.11–13*.14 f.*.18–23*; 46,1 f.*.9–11; 47,1–11*; 48,20 f.; 49,1–6) –, sie betreffen in starkem Maße eine differenziertere Sicht der redaktionellen Prozesse in der Buchwerdung. Darin spiegeln sich natürlich auch die Befunde neuerer Arbeiten zur Buchredaktion (vor allem R. G. Kratz und J. van Oorschot werden eigenständig-kritisch rezipiert). Das führt über die früher (1989) angenommenen zwei größeren Redaktionen der »Naherwartungsschicht« und der »Götzenbilderschicht« hinaus; H. nimmt intensivere redaktionelle und/oder kompositorische Prozesse an, die hinter der Buchwerdung stehen. In Sachen einer
Verortung dieser redaktionellen Prozesse in Raum und Zeit hält sich der Kommentar sehr zurück, was ich persönlich nicht für
falsch halten kann. Immerhin treten redaktionelle Gesichtspunkte heraus, die bis in den Bereich von Aufnahmen aus dem
tritojes Bereich in Kapitel 61,1 reichen (so zu 48,16b; 282 f.). – Auch Lektüren kompositorischer Gegebenheiten können eine
größere Rolle spielen (z. B. zu 48,20 f. die Bemerkungen 311 ff.; auch zu 48,16; 282 f.). Damit treten verstärkt Gesichtspunkte in das Blickfeld, die das rein formale Arrangement von Einzeltexten überschreiten.
Im Ergebnis hat man hier einen soliden historisch-kritisch arbeitenden Kommentar, der gegenüber den neueren Einheitstheoremen zum Deuterojesaja-Buch (nur das Stichwort »Dramatext« diene als Hinweis) von sperriger Zurückhaltung ist,
auch wenn das Gespräch mit entsprechenden Autoren wie z. B. W. A. M. Beuken oder H. Leene, in späteren Buchabschnitten
auch mit K. Baltzer, geführt wird. Dieser Kommentar arbeitet die neuere wissenschaftliche Diskussion auf, was die Lektüre
manchmal zu einem komplexen Vergnügen macht. Es wird immer wieder gefragt, was bestimmte Hypothesen für die Auslegung
der jeweiligen konkreten Texte hergeben. Das führt manchmal zu einem umständlichen Verfahren. Zusammenfassungen
wären teilweise hilfreich gewesen. Auf Exkurse zu speziellen Problemen bei Details von Jes 46,1 f. ist besonders hinzuweisen (bes. 99–101 zur Frage des antibabylonischen Eingreifens von Xerxes; 103 f. zu Bel/Marduk und Nabu; auch zur Frage der Quelle für 46,6; 116 f.).
Der Kommentar ist von einem Umfang, der meines Erachtens analogielos ist; zumindest die beiden neueren Kommentare von
J. L. Koole und K. Baltzer werden an Umfang beträchtlich überboten.
Insgesamt bleibt es bei dem seit B. Duhms Ansatz gewonnenen Bilde: ein exilischer Prophet Dtrjes, dessen Botschaft relativ
früh literarisch gestaltet wird; diese Botschaft konzentriert sich auf kommendes Heil für Israel-Jakob am Orte des Zion nach
Rückkehr aus Babel, für die das gottgegebene Wirken des Kyros von Persien Voraussetzung ist. Für diese prophetische Denkwelt sind zwei »Gottesknechte« konstitutiv, die wir ursprünglich zu trennen haben: der kollektive Gottesknecht Jakob/Israel und der individuelle der vier bekannten Lieder, der mit dem Propheten Dtrjes identisch ist. Freilich gibt es in der redaktionellen Weiterarbeit fließende Übergänge dieser Größen, die mithin im literarischen Weiterbildungsgeschehen ihre Trennschärfe auch einbüßen, wobei zusätzlich noch Kyros in die Knechtsrolle hinein interpretiert werden kann, was nach H. und anderen in 49,8 f.
(und schon 42,5–9) der Fall ist (373). So interpretiert z. B. 49,7 den (zunächst individuell-prophetischen) Knecht von 49,1–6
(zweites Gottesknechtslied) als Israel (366 ff.). Hier wird deutlich erkannt, dass Bedeutungen von Texten nicht festliegen, sondern
durch neue Interpretation veränderbar (oder gar erst gewinnbar) sind. Inwieweit dabei die alte oder ursprüngliche Bedeutung
gewahrt wird, ist eine Frage, die wohl noch weiterer Diskussion bedarf. – Im Übrigen betont H. zu Recht die universalen
Implikationen der dtrjes Botschaft (vgl. bes. zu 45,22 f.; 73 ff. u. ö.) höchst energisch, auch wenn diese universalen Erwartungen
im Zusammenhang mit endredaktionellen Vorgängen durchaus auch sistiert werden können (z. B. durch 45,25; 49,8–12).
Was in H.s Kommentierung unter dem Rubrum »Ziel« abschließend behandelt wird, ist im Wesentlichen eine Zusammenfassung der Auslegung zuvor, die gegebenenfalls orientiert ist an einer Scheidung von Grundtext und redaktioneller Stufe bzw. redaktionellen Stufen. Gegebenenfalls werden auch neutestamentliche Aufnahmen von dtrjes Texten angesprochen und kritisch gewürdigt. Eine Beziehung auf mehr gegenwärtige Phänomene erfolgt seltener (z. B. 122 zu Jes 46,3 f. Jochen Kleppers Lied, EKG 534 = EG 380), so dass die Stärke der Zielangabe zweifellos auf historischem Gebiete liegt.
Man kann nur hoffen und H. wie potentiellen Lesern wünschen, dass der letzte Teil des dtrjes Buchteils, also der Zionsteil
49–55, in erheblich kürzerer Zeit erscheinen kann als der hier vorliegende Teilband.