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Ausgabe: | Januar/2006 |
Spalte: | 13–15 |
Kategorie: | Bibelwissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Hartenstein, Judith |
Titel/Untertitel: | Die zweite Lehre Erscheinungen des Auferstandenen |
Verlag: | Berlin: Akademie Verlag 2000. XXXI, 362 S. gr.8° = Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur, 146. Geb. € 84,80. ISBN 3-05-003534-X |
Rezensent: | Samuel Vollenweider |
Die Dissertation ist im Umfeld des Berliner Arbeitskreises für koptisch-gnostische Schriften entstanden und wurde 1997 von
der Theologischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität angenommen; ihr Ertrag konnte in den beiden Textbänden
»Nag Hammadi Deutsch« bereits eingebracht werden. Das Buch stellt eine sehr gut gearbeitete, kundige Spezialbehandlung
eines bestimmten Typs frühchristlicher, vornehmlich gnostischer Literatur dar, nämlich der Dialogevangelien. Gemeint
sind Texte, in denen eine Erscheinung des auferstandenen Jesus den Erzählrahmen für einen Dialog mit seiner Jüngerschaft darbietet.
Der spezifische Fokus der Arbeit ruht dabei gerade nicht auf den in den Dialogen entfalteten Inhalten, sondern auf dem Setting,
dessen Gestaltung und Funktion bisher noch wenig beachtet worden sind. Es werden detailliert die folgenden sieben Schriften, größerenteils aus Nag Hammadi, untersucht: Sophia Jesu Christi; Apokryphon des Johannes; Epistula Apostolorum
(als großkirchliche Repräsentantin der Gattung); Evangelium nach Maria; Brief des Petrus an Philippus; erste Apokalypse des
Jakobus; Brief des Jakobus.
Die Vfn. beansprucht für diese Texte die Gattung »Dialogevangelium«, da sie konstitutive gemeinsame Merkmale (vor
allem Erscheinung Jesu und Dialog) teilen und hinsichtlich Abfassungssituation wie Intention vergleichbar sind. Dabei setzt
sie sich von anderen Definitionsvorschlägen für dialogische Evangelien, etwa von H. Köster, ab. Auch wenn Wechselwirkungen
zwischen Evangelienform und Dialogform zugestanden werden, hebt die Vfn. doch auf den distinkten Charakter
ihrer Texte ab und stellt diese in einen größeren wirkungsgeschichtlichen Zusammenhang mit den kanonischen Evangelien
(späte Texte wie die Pistis Sophia werden dabei nur am Rand mitberücksichtigt). Besondere Aufmerksamkeit gilt natürlich
literarischen Fragen wie der zusätzlichen brieflichen Rahmung bei zwei Schriften und besonders dem sekundären Charakter
der Rahmenhandlung etwa beim Apokryphon des Johannes.
Das Verhältnis zu den neutestamentlichen Erscheinungsberichten wird methodisch sorgfältig angegangen, unter Beizug des
Intertextualitätsmodells von Susanne Holthuis. Die analytischen Partien werden durch ausgedehnte synthetische Arbeitsschritte
komplettiert und in einen größeren Kontext gerückt. Die wichtigste These des Buches, der nachhaltig beizupflichten
ist, besagt, dass es gerade die Rahmenerzählung ist, die der Botschaft des auferstandenen Jesus den Charakter einer »zweiten
Lehre«, einer definitiven Neuinterpretation der Lehre des irdischen Jesus, verleiht: »Der Inhalt der Schriften baut als zweite
und abschließende Lehre auf den kanonischen Evangelien auf und überbietet sie zugleich« (317, vgl. 295 f.). Damit unterstreicht
die Vfn. den für ihre Texte zentralen Rückbezug auf die kanonischen Evangelien (besonders Mt, aber auch Joh), die
einer Relektüre unterzogen werden. Anders als in herkömmlichen Darstellungen gnostischer Vorstellungen wird damit ein
historisches Verständnis der Offenbarungen Jesu beansprucht. Die kritische Rückfrage an die Vfn. ist natürlich die, ob sich ihre
Texte in so starkem Maß von anderen gnostisierenden Schriften, die ihnen doch inhaltlich sehr nahe stehen, abtrennen lassen.
Anders gefragt: Wie konstitutiv ist der Erzählrahmen für das Selbstverständnis der Trägergruppen der untersuchten Texte?