Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/1998

Spalte:

524 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Föller, Oskar

Titel/Untertitel:

Charisma und Unterscheidung. Systematische und pastorale Aspekte der Einordnung und Beurteilung enthusiastisch-charismatischer Frömmigkeit im katholischen und evangelischen Bereich.

Verlag:

Wuppertal-Zürich: Brockhaus 1994. 2. Aufl. 1995. 708 S. gr.8. Kart. DM 48,-. ISBN 3-417-29396-0.

Rezensent:

Reinhard Hempelmann

Oskar Föller, Bruder der Kommunität Adelshofen und Leiter der dortigen evangelikal geprägten Bibelschule, hat mit seiner Heidelberger Dissertation, die im Fach Praktische Theologie vorgelegt wurde, ein umfangreiches Werk zur charismatischen Frömmigkeit und Theologie geschrieben, das überaus informativ und breit einen Themenbereich aufgreift, der intensive Aufmerksamkeit verdient. Die Konzentration auf einerseits systematisch-theologische, andererseits pastoral-theologische Aspekte der Thematik ist einleuchtend und plausibel. Sie ergibt sich aus dem primär an missionarischer Glaubenspraxis und christlicher Erfahrung orientierten Impulsen der charismatischen Bewegung, die sich erst in einem zweiten Schritt der theologischen Reflexion öffnet. Das Miteinander von Erfahrung und Reflexion findet auch in den Stichworten Charisma und Unterscheidung seine Konkretion, um deren Klärung die Untersuchung bemüht ist. Der umfangreiche Stoff, der vom Vf. bearbeitet wurde (vgl. die zahl- und inhaltsreichen Exkurse, das Bibelstellen-, Sach- und Personenregister sowie die Anmerkungen und das ausführliche Literaturverzeichnis) wird durch diese Stichworte immer wieder in seiner Komplexität reduziert, so daß hier der Leitfaden für den Gedankengang zu sehen ist.

In den Hauptteilen B und C der Untersuchung wird ausführlich die "moderierende Integration" charismatischer Frömmigkeit im katholischen Bereich (B) und der "Streit um Legitimität, Einordnung und Beurteilung des Enthusiastisch-Charismatischen" im evangelischen Bereich (C) skizziert und einander gegenübergestellt. In diesen Teilen geht es weniger um eine phänomenologische Skizze der charismatischen Frömmigkeit, sondern das Aufzeigen von theologischen Impulsen zur Thematik Charisma und Unterscheidung anhand wichtiger systematischer oder praktisch-theologisch orientierter Ansätze und Perspektiven. Im katholischen Bereich werden die Ansätze Karl Rahners, Hans Urs von Balthasars, Heribert Mühlens sorgfältig referiert und die Selbstdarstellung charismatischer Erneuerung im Katholizismus ausführlich dargelegt und interpretiert. Mit Recht resümiert der Vf.: "Was die Integration des Charismatischen angeht, tut sich die katholische Kirche offensichtlich leichter als die protestantische Tradition, die eher von der Struktur der Abgrenzung und der exklusio als von der Integration geprägt ist" (167). Dabei kann evangelische Theologie von der "systematischen Durchdringung des Feldes wie aus der pastoralen Weisheit des Umgangs mit enthusiastisch-charismatischer Frömmigkeit im römisch-katholischen Bereich lernen" (169).

Eine zum katholischen Teil parallele Behandlung evangelischer Theologen und Ansätze stößt auf die Schwierigkeiten, daß hier "das ganze Feld von Charisma und Unterscheidung ... kaum beackert ist" (170), was u. a. im weitgehenden Ausfall einer evangelischen Aszetik und Spiritualität seinen Grund hat. Die weitere Spurensuche nach der Wahrnehmung der Thematik im protestantischen Kontext geschieht im folgenden überaus breit, zunächst in historischer Perspektive (vor allem Luther, kurz Calvin) in theologisch systematischen Entwürfen (Karl Barth, Paul Tillich, Werner Elert, Gerhard Ebeling, Wilfried Joest, Jürgen Moltmann u. a.).

Eine Reihe systematischer, praktisch-theologischer und exegetischer Überlegungen werden miteinbezogen. Überaus sorgfältig wird die ökumenische Methodik und der heilsökonomisch-trinitarisch orientierte Ansatz Edmund Schlinks skizziert. Sodann wird die Fragestellung nach ,Charisma und Unterscheidung’ in Rudolf Bohrens pneumatologisch dimensionierter theologischer Ästhetik aufgespürt und in ihren praktisch-theologischen Perspektiven erörtert. Ausführlich werden auch Reaktionen auf die charismatische Bewegung aus dem Bereich des Pietismus und der evangelikalen Bewegung dargestellt. Die nahe Verwandtschaft und zugleich Verschiedenheit zwischen evangelikaler und charismatischer Glaubenspraxis machen die Notwendigkeit einer Verhältnisbestimmung unausweichlich. In diesem Abschnitt finden sich zahlreiche Hinweise auf aktuelle Konflikte.

Die Stoffülle, die der Vf. bearbeitet, führt zwangsläufig dazu, die eigene Argumentation zurückzustellen bzw. eher indirekt zur Sprache zu bringen. Die Deutung der durchgesehenen Literatur geschieht sorgfältig und präzise. Den Ausführungen des Vf.s ist dabei abzuspüren, daß er das Thema nicht allein aus literarischer Kenntnis entwickelt, sondern ebenso aus konkreter Anschauung und einem genauen Einblick in neuere Entwicklungen charismatischer Frömmigkeit, ihrer transkonfessionellen Struktur und ihrem Bestimmtsein von Internationalisierungsprozessen (vgl. u. a. die Fülle der aufgeführten Literatur aus dem englisch-sprechenden Kontext). Wo theologische Entwürfe und Ansätze dargelegt werden, bezieht der Gedankengang grundlegende Fragestellungen der Pneumatologie mit ein. Durch die Thematik vorgegeben, konzentrieren sich die Ausführungen vor allem auf die theologischen Faktoren pfingstlich-charismatischer Frömmigkeit. Nichttheologische Faktoren werden angesprochen und immer wieder als bedeutsam erwähnt, treten jedoch nicht in den Vordergrund. Hinter einer phänomenologisch orientierten Darstellung charismatischer Frömmigkeit, die vergleichsweise kurz und konzentriert geschieht, und den ausführlichen Darlegungen zur Deutung charismatischer Frömmigkeit, tritt die eigene Perspektive eher zurück. Dem Autor geht es weniger um das eigene Profil, sondern um die sorgfältige Darlegung des "Profils" anderer, die freilich nicht kritiklos erfolgt. Seine eigene Perspektive und Positionsbestimmung sieht er in der "Haltung kritisch-beobachtender oder wohlwollender Prüfung und Toleranz" bzw. "moderierender Integration".

Er wendet sich gegen eine dispensationalistische Sicht, nach der die Charismen allein in die Frühzeit der Kirche gehören, "aber ebenso ... (gegen) eine(r) programmatische(n) Forcierung ihrer Wiederherstellung" (359 f.). Wichtige Kriterien gewinnt der Vf. durch Rekurs auf neutestamentliche Kriterien und Grundentscheidungen der Reformation. Die Sicht Gerhard Tersteegens, die im abschließenden Teil behandelt wird, gilt als modellhaft und exemplarisch, wobei die Wertungen Tersteegens zum Bereich "außerordentlicher" Geisterfahrungen und auffälliger körperlicher Ergriffenheitserscheinungen aufgegriffen werden, um damit die eigenen Perspektiven eines pastoralen Umgangs mit charismatischer Frömmigkeit zu verdeutlichen.

Mit dem Buch Föllers wird der Diskussionsstand nicht nur zum Thema Charisma und Unterscheidung, sondern zur charismatischen Frömmigkeit und ihrer theologischen Einordnung und Beurteilung überhaupt in solider Weise und gründlich zusammengefaßt. Der primär darstellende Charakter dieses Buches macht es zu einem wichtigen Kompendium für jeden, der sich mit charismatischer Frömmigkeit und Theologie und ihren gegenwärtigen Erscheinungsformen auseinandersetzen will.