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Ausgabe:

November/2005

Spalte:

1177 f

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Magness, Jodi

Titel/Untertitel:

Debating Qumran. Collected Essays on its Archaeology.

Verlag:

Leuven-Paris-Dudley: Peeters 2004. X, 210 S. m. Abb. gr.8° = Interdisciplinary Studies in Ancient Culture and Religion, 4. Kart. Euro 40,00. ISBN 90-429-1314-2.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Kurz nach der Publikation ihres viel beachteten Buches »The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls« (Grand Rapids 2002, vgl. ThLZ 129 [2004], 148, und meine Besprechung in DSD 11 [2004], 365­372) legt Jodi Magness nun acht ihrer wichtigsten Artikel zur Archäologie Qumrans vor, die die methodische und materiale Basis für ihre monographische Synthese bilden. Alle Artikel wurden mit Blick auf den bis 2002 publizierten Diskussions- und Datenstand aktualisiert und bieten einen hervorragenden Einblick in die Interpretation Qumrans durch eine der zweifellos besten und einflussreichsten Kennerinnen der Materie.

Bereits der erste Beitrag »The Community at Qumran in Light of Its Pottery« (1­15) gehört seit seinem Erscheinen 1994 zu den unbestrittenen Klassikern der Forschung. M.s Behauptung, wonach die Qumrankeramik beweise, dass die Bewohner bei der Herstellung und Auswahl ihrer Gebrauchsgefäße eine absichtliche Politik der Isolation verfolgten, um ihre speziellen, religiös begründeten Bedürfnisse zu erfüllen, gilt bis heute als eine der wesentlichen Stützen der traditionellen Deutung Qumrans als essenisches Sektenrefugium (bzw. -zentrum). Angesichts der rapide anwachsenden Befunde von anderen Orten der Region kommt nun aber auch M. nicht mehr umhin, die ehedem noch für »einzigartig« gehaltenen »Eigentümlichkeiten« als Resultat völlig normaler, regionaler Gegebenheiten der Keramikproduktion und -verbreitung zu verstehen. Freilich hält M. weiterhin daran fest, dass die große Anzahl an identischen Tellern, Bechern und Schalen in »strong contrast« zu anderen benachbarten Ortslagen stehe und dies mit »our understanding of this community as communal in nature« gut übereinstimme (15). Diese recht unkonkrete Aussage kann jedoch nur mühsam verbergen, dass damit ein wesentliches Moment der traditionellen Interpretation Qumrans seit de Vaux hinfällig ist, der die »Kommunalität« der Gemeinschaft von Qumran gerade als integralen Ausdruck ihres essenischen Charakters verstanden hat. Eben für diese sektarische Motivation des Keramikrepertoires bleibt nun aber kein Platz mehr. Der Artikel ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie stark unser jeweiliger Erkenntnisstand vom aktuell verfügbaren Fundmaterial abhängig ist und wie fragil einst als unerschütterlich angesehene Einsichten eigentlich sind. Die neuesten Befunde von Yizhak Magen und Yuval Peleg machen deutlich, dass auch die neue Fassung von M.s Beitrag auf ungenügender Materialbasis beruht und man besser ganz davon Abstand nehmen sollte, die Keramik zur Stützung der Sektenthese zu benutzen.

Auch im Beitrag »A Villa at Qumran« (17­39, zuerst 1994) steht die Anomalie Qumrans im Vordergrund ­ diesmal mit Blick auf die Architektur. M. unterstreicht erneut, dass sich Qumran sowohl von zeitgenössischen Palästen und Villen als auch von Siedlungsmustern der Region überhaupt unterscheidet, was sicherlich cum grano salis zutrifft. Dass daraus aber folgt, dass de Vaux¹ »interpretation of the site as a sectarian settlement« am sinnvollsten sei, ist ein für die Mehrheit der derzeitigen Qumranforschung typischer »leap of faith«, der durch die archäologischen Quellen freilich keineswegs gefordert ist. Die Frage, wie partielle Anomalien (die selbstverständlich bei jeder Siedlung bestehen) ohne diesen Sprung in sektarisch motivierte Unableitbarkeit zu erklären sind, bleibt eine zentrale Aufgabe der Forschung, muss aber keinesfalls so einlinig behandelt werden, wie M. und mit ihr ein Großteil der Qumranforschung dies tut.

Die Ergebnisse von »The Chronology of the Settlement at Qumran in the Herodian Period« (41­48, zuerst 1995) und »The Chronology of Qumran, En Feshkha, and Ein el-Ghuweir« (49­61, zuerst 1998) bieten bis zur Publikation neuen Materials für die große Mehrheit der Forschung zu Recht eine zuverlässige Basis.

Die folgenden Beiträge widmen sich ­ wie schon der erste Artikel ­ Teilbereichen der Frage, inwiefern sich die angeblich sektarische Identität der Einwohner von Qumran in der materiellen Kultur niederschlägt. In »Two Notes on the Archaeology of Qumran« (63­79, zuerst 1998) setzt M. eine angebliche Toilette, die sie in locus 51 zu erkennen glaubt, in Bezug zu ausgewählten Aussagen über die Reinheitshalakha der »Essener« und interpretiert den Hortfund von locus 120 in Verbindung mit »the sect¹s interpretation of the Temple tax« (79). In »Communal Meals and Sacred Space« (81­112, zuerst 2000) stehen die Mahlpraxis der Bewohner und die symbolische Aufteilung des Raumes im Vordergrund, in »Women at Qumran?« (113­149, erschienen 2002) zeigt M., dass Frauen nur eine höchst marginale Rolle in Qumran spielten. In »Why Scroll Jars?« (151­168, erschienen 2004) sieht M. den Zweck der berühmten »cylindrical jars« zu Recht nicht in der Lagerung von Schriftrollen, sondern (m. E. nicht überzeugend) in den speziellen Reinheitsvorstellungen der Qumranbewohner.

21 schwarzweiß gedruckte Abbildungen einschließlich einer erfreulicherweise aktualisierten Karte, eine Bibliographie und ein ausführliches Register schließen den Band ab, der vor allem durch seine klare Sprache und seinen Materialreichtum zu den wichtigsten Publikationen gehört, die in der letzten Zeit zu Qumran erschienen sind. Mir bleiben freilich starke Zweifel, ob die spezifisch essenische Identität der Bewohner in der materiellen Kultur Qumrans tatsächlich so evident ist, falls man nicht wie M. ungeprüft davon ausgeht, dass die Nähe der Schriftrollenfunde zur Siedlung eine genuine Verbindung zwischen beiden Größen herstellt. M.s Deutung ist nur dann plausibel, wenn man bei der Interpretation der Funde die Aussagen der Texte immer schon mitdenkt. Dass man das tun kann (wenn auch mit immer größeren Schwierigkeiten), zeigt M. nicht zuletzt im vorliegenden Band, dass man es aber tun muss, nicht.