Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2005

Spalte:

1078 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Lilla, Salvatore R. C.

Titel/Untertitel:

Neuplatonisches Gedankengut in den Homilien über die Seligpreisungen Gregors von Nyssa. Hrsg. v. H. R. Drobner.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2004. XVIII, 234 S. gr.8 = Supplements to Vigiliae Christianae, 68. Geb. Euro 91,00. ISBN 90-04-13684-3.

Rezensent:

Johannes Zachhuber

Das Verhältnis von frühchristlicher Theologie und Platonismus wird selten ohne Hintergedanken untersucht. Denn seit der Antike gehen die Ansichten darüber, wie die beiden sich zueinander verhalten sollten, extrem auseinander. Die hier zu besprechende Arbeit eines durch Publikationen u. a. zu Clemens von Alexandrien einschlägig qualifizierten Verfassers ist keine Ausnahme. Ihr geht es darum, in der seit langem kontroversen Diskussion um den Platonismus Gregors von Nyssa einen energischen Impuls zu Gunsten einer platonischen Interpretation zu geben. Dabei sind kritisch insbesondere solche Forscher im Blick, die (ihrerseits nicht ohne Hintergedanken) Gregors unzweifelhaft vorhandene philosophische Anleihen als eine wesentlich christlich modifizierte Form des Platonismus ansehen wollten (E. von Ivánka, J. Daniélou).

Der Vf. nimmt seinen Ausgangspunkt bei einer ethisch-asketischen Schrift Gregors, seinen Predigten über die Seligpreisungen. (Das Buch war ursprünglich ein Beitrag zum VIII. Gregor von Nyssa-Kolloquium, das dieser Schrift gewidmet war. Es wird deshalb auch vom Veranstalter jener Tagung, H. Drobner, herausgegeben.) Er geht so vor, dass er das "neuplatonische Gedankengut" in insgesamt elf Kapiteln von sehr unterschiedlicher Länge anordnet. Diese haben jeweils ein bestimmtes Motiv zum Thema: "Aufteilung der Tugenden unter den Menschen", "negative Theologie", "Wesen des Schönen", "Betrachtung des Weltalls" etc. Am Anfang eines jeden Kapitels werden einzelne Passagen aus Gregors Schrift im Wortlaut angeführt. Für die darin enthaltenen Begriffe und Vorstellungen werden sodann zahlreiche philosophische Parallelen herangezogen, primär aus Plotin, aber auch aus anderen Neuplatonikern (z. T. auch solchen, die weit später als Gregor gelebt haben) und überhaupt aus der gesamten Antike. Diese profunder Gelehrsamkeit entspringenden Zitatsammlungen sollen belegen, dass Gregor sich in einem engen geistigen Zusammenhang mit der neuplatonischen Gedankenwelt bewegte.

Für ein Verständnis der Intention des Vf.s wie auch für die Bewertung seines Werkes dürfte das umfangreiche zweite Kapitel von zentraler Bedeutung sein. Der Vf. behandelt hier das Motiv der "Gotteserkenntnis als Erkenntnis des inneren Ich". Die an diesem Punkt evidente Berührung Gregors mit der neuplatonischen Seelenlehre ist (wie der Vf. ausführlich referiert) immer wieder als Versuch des Kappadoziers interpretiert worden, diese Lehre zu christianisieren. Es fällt dem Vf. aber nicht schwer zu zeigen, dass die angeblich typisch christlichen Züge, die Ivánka, Daniélou oder Merki bei Gregor zu finden meinten, allesamt ihrerseits philosophische Parallelen haben. Insbesondere ist völlig einleuchtend, dass Gregors Gebrauch von charis in diesem Kontext nichts mit augustinischer "Gnadentheologie" zu tun hat, sondern die Abhängigkeit der ontologisch niederen von der höheren Wesenheit zum Ausdruck bringt (56-58).

In der Tat konnte Gregor der breiten philosophischen Tradition, die eine ursprüngliche Verbundenheit des Menschen mit Gott annahm und daraus eine ethische Aufgabe formulierte, deren Ziel als die Angleichung an Gott bezeichnet wurde, weitgehend folgen: Das ist die bleibende Berechtigung von W. Jägers Gregorinterpretation; umso mehr überrascht das Fehlen gerade dieses Namens in diesem Buch.

Ist der Vf. mit seiner Kritik an bestimmten Versionen der Christianisierungsthese sicherlich im Recht, so übersieht er, wo eine Umformung der philosophischen Tradition dann doch stattfindet: Sie setzt ein beim Gedanken der Inkarnation und den daraus sich ergebenden Konsequenzen für das Gottesbild, die ihrerseits ethische Folgen für den sich daran orientierenden Menschen haben. Nur so ist es z. B. zu erklären, dass Gregor der Demut als Integral der Tugend eine zentrale Rolle in seiner Schrift zuweist, was der Vf. zitiert (103.109), ohne es zu erörtern.

Es ist gut, dass der Vf. mit seinem pointierten Votum der Diskussion um Gregors philosophische Verankerung im Neuplatonismus einen neuen Anstoß gegeben hat. Zu wirklich weiterführenden Ergebnissen kann eine Neuaufnahme dieser Diskussion freilich nur dann führen, wenn sie die neuere Forschung zur spätantiken Philosophie rezipiert, die der Patristik ein gegenüber der Situation von vor 40 Jahren erheblich verfeinertes philosophisches Instrumentarium zur Verfügung stellt. In der Sicht des Vf.s erscheint der Neuplatonismus, gelegentlich gar das gesamte antike Denken, als etwas in sich wesentlich Einheitliches, zu dem Gregor in Beziehung gesetzt wird. Gregor selbst ist natürlich Teil der spätantiken Welt. Wichtig wäre zu wissen, wie er sich zu einzelnen ihrer Vertreter und deren spezifischen Theorien verhielt.

Zur Lösung der so formulierten Aufgabe fordert dies Buch heraus, ohne sie schon selbst zu bieten.