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Ausgabe:

Oktober/2005

Spalte:

1060 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

1) Knight, Jonathan 2) Koch, Traugott

Titel/Untertitel:

1) Jesus. An Historical and Theological Investigation.

2) Jesus von Nazareth, der Mensch Gottes. Eine gegenwärtige Besinnung.

Verlag:

1) London-New York: T & T Clark (Continuum) 2004. XIV, 310 S. 8 = Understanding the Bible and Its World. Kart. £ 16,99. ISBN 0-8264-6981-7.

2) Tübingen: Mohr Siebeck 2004. X, 373 S. kl.8. Geb. Euro 34,00. ISBN 3-16-148404-5.

Rezensent:

Jens Schröter

Die beiden anzuzeigenden Jesusdarstellungen richten sich auf je eigene Weise an ein breiteres Publikum. Diejenige von Jonathan Knight eröffnet die neue Reihe "Understanding the Bible and Its World", die Grundinformationen für Studierende vermitteln, darüber hinaus aber auch weitere interessierte Leser ansprechen will. Knight, Priester in der Church of England und früherer Lecturer und Research Fellow an der Sheffield University, kommt in diesem Rahmen die Aufgabe zu, über den gegenwärtigen Stand der Jesusforschung zu informieren und deren theologische Bedeutung anzusprechen.

Obwohl das in der gegenwärtigen komplexen Forschungslage keineswegs einfach ist, vermittelt Knight einen zuverlässigen Überblick über wichtige Aspekte der Diskussion um den historischen Jesus. Eingangs werden die Geschichte des Judentums sowie Positionen der Forschung, von Johannes Weiß und Albert Schweitzer bis zur Third Quest, skizziert (mit Distanz zum Jesus Seminar und einem besonderen Lob von John P. Meier). Die anschließenden Kapitel behandeln in biographischer Abfolge die Geburtsgeschichten und die Wirksamkeit Jesu (Verkündigung der Gottesherrschaft, Heilungen, Einzug in Jerusalem und Passionsereignisse), am Ende stehen Kapitel zur Auferstehung sowie zur Bedeutung Jesu in muslimischer, jüdischer und christlicher Sicht.

Das Buch eignet sich gut als Einstieg in die verschiedenen Bereiche der Jesusforschung. Es bewegt sich fast durchgehend auf dem gegenwärtigen Diskussionsstand und bespricht zahlreiche neutestamentliche und jüdische Texte. Ob man der These Knights, die Jesusbewegung sei ein esoterisch-apokalyptischer Kreis gewesen, die er Wredes Theorie vom Messiasgeheimnis entgegenstellt, folgen mag, steht auf einem anderen Blatt.

Die Darstellung des emeritierten Hamburger Systematikers Traugott Koch hat einen anderen Charakter. Sie ist aus akademischen Lehrveranstaltungen hervorgegangen, die sich zum Ziel setzten, die Trennung zwischen "historischem Jesus" und "dogmatischem Christus" zu überwinden. Koch geht es dabei weder um Informationen zur historischen Jesusforschung noch um eine Auseinandersetzung mit neueren Entwicklungen. Wie bereits der Untertitel andeutet, möchte er vielmehr Weg und Wirken Jesu nach-denken, um auf diese Weise dessen gegenwärtige Bedeutung zu erheben. Das Buch hat deshalb einen eher meditativen Charakter.

Koch will von einem historischen und einem "weitergehenden historischen", nach der Bedeutung des vergangenen Geschehens fragenden, zu einem theologischen Interesse an Jesus vorstoßen. Mit seiner Botschaft vom anbrechenden Gottesreich habe sich Jesus über das jüdische Gesetz hinweggesetzt, was zum Konflikt mit Pharisäern und Schriftgelehrten führte. Er habe um Verständnis für sein Tun geworben, sich jedoch nicht von der Anerkennung durch andere abhängig gemacht. Die Gottesreichsverkündigung wird anhand des Gleichnisses vom verlorenen Sohn und der Heilung der blutflüssigen Frau verdeutlicht: Die Hinwendung zu den Ausgestoßenen zeige, dass Jesu Reich Gottes "prinzipiell unbegrenzt, offen für alle" sei (122). Beim letzten Mahl habe Jesus, wie Koch in Anlehnung an J. Jeremias vermutet, eine Umwidmung des jüdischen Passahmahls vorgenommen und damit seinem Tod eine Heilsbedeutung zugewiesen.

Leider geht Koch nicht auf die gegenwärtige Jesusforschung ein. Angesichts der ja nicht eben marginalen Entwicklungen der letzten 20 Jahre erstaunt, dass keine der neueren Jesusdarstellungen überhaupt erwähnt wird. Der einzige neutestamentliche Beitrag neueren Datums ist ein Aufsatz des ehemaligen Hamburger Neutestamentlers Eckhard Rau von 1998, die übrigen Publikationen stammen aus den 60er und 70er Jahren des 20. Jh.s. Bei den exegetischen Kapiteln bezieht sich Koch nahezu ausschließlich auf maschinenschriftliche Protokolle seines Freundes Harald Ihmig aus Theologiekursen an der Fachhochschule des Rauhen Hauses Hamburg vom Wintersemester 1976/77 sowie vom Sommersemester 1987.

Bei etlichen Urteilen, die en passant formuliert werden, möchte man Einwände erheben: Jesus sei kein Prophet oder Apokalyptiker gewesen, kein Rabbi oder Theologe, sondern "einer vom Landvolk"; er spreche nirgends von einem auserwählten Gottesvolk (158); nach damaliger Vorstellung wäre es unangebracht gewesen, ihn als Messias oder Menschensohn zu bezeichnen (51); bei der Logienquelle sei gemäß dem Konsens der neutestamentlichen Wissenschaft die lukanische Fassung die ältere, vermutlich auf den vorösterlichen Jesus zurückgehende (14); Jesu Unbesorgtsein um sein Leben stehe "unübersehbar im Kontrast zum frommen, gottesfürchtigen Leben nicht nur der Pharisäer, das geprägt war von der Sorge ... genau genug das Gesetz Gottes beachtet zu haben" (222).

An diesen und weiteren Stellen hätte man sich differenzierte Formulierungen gewünscht. Die neuere Jesusforschung hat sich intensiv darum bemüht, Jesus im Kontext des Judentums zu verstehen, die Entstehung der Christologie mit seinem Wirken zu vermitteln und seine Vorstellung von der Gottesherrschaft im Spektrum zeitgenössischer jüdischer Vorstellungen zu akzentuieren. Nicht zuletzt hat sie sich auch mit dem Problem von historischem Jesus und geglaubtem Christus befasst. Dass sich Kochs Besinnung jenseits dieser Forschungen bewegt, schränkt die Qualifizierung "gegenwärtig" im Untertitel ein. Die Vermittlung von historischer und systematischer Perspektive auf Jesus ist nur dann fruchtbar, wenn sich beide auf der Augenhöhe des jeweiligen Diskussionsstandes begegnen.