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Ausgabe:

September/2005

Spalte:

920

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bormann, Franz-Josef, u. Christian Schröer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Abwägende Vernunft. Praktische Rationalität in historischer, systematischer und religionsphilosophischer Perspektive.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2004. XVIII, 832 S. gr.8. Lw. Euro 98,00. ISBN 3-11-017517-7.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

Der umfangreiche Band ist dem Münchner Religionsphilosophen Friedo Ricken zum 70. Geburtstag gewidmet. Unter dem Begriff der abwägenden Vernunft hat Ricken die Grundlinien eines Ethikverständnisses konzipiert, das nicht auf theoretische Analysen des guten Lebens, sondern auf konkretes Handeln, das Abwägen realer Handlungsalternativen und das Treffen richtiger Entscheidungen ausgerichtet ist.

42 Autorinnen und Autoren greifen den Grundgedanken der abwägenden Vernunft auf und versuchen, ihn - mehr oder weniger konsequent - in ihrem Forschungsfeld zu konkretisieren. Im ersten Teil (3-177) stehen dabei Themen der antiken und mittelalterlichen Ethik von Homers Ilias bis zur lex naturalis bei Nikolaus von Kues zur Debatte. Der zweite und umfangreichste Teil (181-560) konzentriert sich auf die neuzeitliche und gegenwärtige Ethikdiskussion. Dabei werden einerseits unter dem Leitgesichtspunkt der abwägenden Vernunft wichtige Ethikentwürfe diskutiert von Suárez, Kant und Hegel bis zu Sellars, Rawls und Ricur, andererseits aber auch eine ganze Reihe materialer Themen aufgegriffen wie Menschenwürde (O. Sensen), Gewissen (J. Schmidt), Wahrheit (L. B. Puntel), Gefühle und ethische Tugenden (J. Schuster), Gerechtigkeit (Chr. Schröer) oder Sterbepraxis (W. Vossenkuhl). Der letzte Teil (563-778) verfolgt das Thema im Kontext der Religion.

Zwar sind die Beiträge auch hier meist lesenswert, doch bedauerlicherweise wird das Leitthema - außer bei M. Forschner und R. Wimmer - fast ganz aus den Augen verloren und der Band zu dem, was Festschriften leider oft sind: ein Strauß beliebiger Themen. Das ist schade. Zum einen überrascht der Band in den ersten beiden Teilen durch eine für Festschriften ungewöhnliche thematische Konzentration, die ihn zum Handbuch in Sachen abwägender Vernunft macht. Das wird durch ein ausführliches Literaturverzeichnis (779-824) und Namenregister (825-832) unterstrichen. Zum andern hätte man gerne genauer gewusst, welche Konsequenzen das Konzept der abwägenden Vernunft im Kontext der Religion hat oder haben kann. Hier wird man enttäuscht - oder angeregt, die Fruchtbarkeit der erörterten Fragestellung im Bereich der Religionsphilosophie selbst zu prüfen.