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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

716–718

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Koschorke, Klaus [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Transkontinentale Beziehungen in der Geschichte des Außereuropäischen Christentums. Transcontinental Links in the History of Non-Western Christianity.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2002. 344 S. gr.8 = Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte (Asien, Afrika, Lateinamerika), 6. Kart. Euro 38,00. ISBN 3-447-04661-9.

Rezensent:

Martin Repp

Der Band enthält deutsche und englische Beiträge eines Symposiums, das 2001 mit dem Ziel gehalten wurde, "eine integrierte Sicht der Außereuropäischen Christentumsgeschichte zu entwickeln" (12). Wie der Herausgeber in der Einführung erklärt, wurde diese Geschichte "lange Zeit als bloßer Appendix der westlichen Kirchen- und Missionsgeschichte behandelt", da sich die Forschung zu sehr auf die Tätigkeit der westlichen Missionare konzentrierte und dabei die "Bedeutung einheimischer Akteure" übersah (11). Da in den letzten 30 Jahren zahlreiche "Studien zur interkulturellen Geschichte des Christentums" entstanden sind, welche überregionale Strukturen in der Ausbreitung des Christentums sichtbar machen, ist ein "Paradigmenwechsel" in der Missionsgeschichtsschreibung zu beobachten (12). Das Buch leistet dazu einen wichtigen Beitrag.

Der erste Teil enthält Aufsätze zum Thema "Ethnische Diasporen als transkontinentale Netzwerke" und beginnt mit Untersuchungen zu Beziehungen zwischen Afrika und Amerika.

J. Thornton behandelt das Christentum im Kongo im 16. Jh. unter der Fragestellung, welchen Einfluss es auf das Selbstbewusstsein derjenigen Afrikaner hatte, die versklavt und nach Amerika zwangsdeportiert wurden. Der nächste Beitrag von A. Walls verfolgt die umgekehrte Richtung, wie afroamerikanische Rückwanderer im 18./19. Jh. das protestantische Christentum in Sierra Leone etablierten. S. Martin untersucht die auf Afrika gerichtetete Missionsbewegung unter afroamerikanischen Christen im 19. Jh. A. Adogame schließlich stellt die Entwicklung im 20. Jh. vor, wie sich durch Migration afrikanisch-indigene Aladura Kirchen in Europa etablierten, was ihre Vertreter als "remissionisation of heathen Europe" verstehen (79).

Die folgenden drei Aufsätze behandeln diverse Aspekte des koreanischen Christentums.

S. J. Lee stellt den Beginn der protestanischen Kirche in Korea im Zusammenhang von Indigenisierungsversuchen vor. D. Yoo behandelt die koreanische Diaspora-Gemeinde in Hawaii, insbesondere die Frage von Religion und Politik im Zusammenhang von Syngman Rhees zeitweiligem Engagement hier. Choi Y.-W. schließlich untersucht das überraschend frühe Missionsunterfangen der gerade erst etablierten Presbyterianischen Kirche von Korea in Nord China von 1913 bis 1957.

Die beiden abschließenden Beiträge des ersten Teils behandeln die Beziehung zwischen indischen Christen und Afrika, wodurch die "Süd-Süd Missionsbewegung" exemplifiziert wird.

D. Jeyaraj untersucht das Engagement von christlichen Tamilen in Übersee, die im 19. Jh. als Handwerker für die deutsche Mission am Kilimanjaro oder als Pfarrer in Rangoon (Myanmar) wirkten. G. Pillay schließlich beschreibt die Missionierung von Indern in Südafrika im 19. und 20. Jh., die Folgen für deren Bildung und sozialen Aufstieg sowie die Entwicklung indischer Kirchen in diesem Land.

Im zweiten Teil des Bandes geht es um "transkontinentale Rezeptionsprozesse", die auf Grund wichtiger kirchlicher Ereignisse ausgelöst wurden.

H.-J. Prien untersucht die Auswirkungen des Trientiner Konzils (16. Jh.) auf lokalkirchliche Entwicklungen im spanisch beherrschten Südamerika, während T. de Souza diesen Sachverhalt anhand von Indien unter portugiesischer Herrschaft darstellt. K. Koschorke behandelt die wichtigen Impulse, welche die Weltmissionskonferenz von Edinburgh (1910) einerseits von den Missionskirchen erhielt und andererseits in verstärkter Weise an sie zurückgab. Dadurch trug sie wesentlich zur Entstehung und Entwicklung selbständiger nationaler (protestantischer) Kirchen in Asien und Afrika bei, insbesondere zur Formierung nationaler Kirchenräte. Die beiden folgenden Beiträge zeichnen die Auswirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) auf die katholische Kirche nach. J. O. Beozzo zeigt, dass dessen Rezeption in Lateinamerika vor allem befreiungstheologisch erfolgte, während P. Phan darstellt, dass es in Asien hauptsächlich Indigenisierungsprozesse auslöste sowie entscheidende Anstöße für den ökumenischen wie den interreligiösen Dialog gab.

Der dritte und abschließende Teil, "Parallelentwicklungen" genannt, enthält Aufsätze zur Formierung einheimischen Christentums und nationaler Identität.

F. Ludwig stellt afrikanische unabhängige Kirchen um 1900 vor, während R. Hedlund indigenes Christentum in Indien im 19./20. Jh. behandelt. Ludwig sieht einen wichtigen Grund für die Entstehung einheimischer Kirchen in dem "Protest gegen europäische Kontrolle" (260).

Die beiden nächsten Beiträge bearbeiten die Rolle religiöser Symbole im Prozess kirchlicher und nationaler Selbstständigwerdung. E. Kamphausen untersucht, wie das in der Bibel auftauchende "Äthiopien" im so genannten Äthiopismus zur Begründung von kirchlicher und politischer Unabhängigkeit in Afrika diente. Einen analogen Sachverhalt stellt M. Delgado vor, indem er den Mythos von der Evangelisierung Altamerikas durch den Apostel Thomas (17. Jh.) in Kombination mit dem Marienbild von Guadalupe (das ursprünglich auf dem Mantel des Thomas gemalt sei), als Emanzipationsbestrebungen der Kreolen in Mexiko um 1800 beschreibt. Hierbei handele es sich um die "Rekonstruktion einer eigenständigen - nicht-kolonialen und nicht-missionarischen - christlichen Vergangenheit" (325). Im letzten Aufsatz untersucht D. Bechthoff die Entstehung des Christentums in Madagaskar und dessen Bedeutung für die Formung nationaler Identität.

Der Aufsatzband macht nicht nur eine Fülle wichtiger Informationen zugänglich, sondern lässt auf Grund zahlreicher analoger Sachverhalte immer wieder auch Strukturen der Missionsgeschichte und der Indigenisierung des Christentums hervortreten. Beispiele hierfür sind die wichtige Rolle der Laien (39 f. 268 etc.) in der Mission oder die wiederholten (meist gescheiterten) Versuche in Afrika und Asien, die abendländischen Denominationen durch ein einheitliches Christentum zu ersetzen (63.211 etc.). Um die vielen Einzelinformationen leichter zugänglich zu machen und die genannten Strukturen systematisch besser erfassen zu können, wäre am Schluss des Bandes ein Index hilfreich gewesen. Ebenso wurden in den geographisch weit gespannten Beiträgen leider keine Karten abgedruckt, um dem Leser die Navigation in der hier neu gezeichneten "Landkarte der Weltchristenheit und ihrer Geschichte" (12) zu erleichtern.

Schließlich seien einige kritische Anmerkungen zu Details erlaubt. Man sollte nicht von "inter-religious networks" (77) sprechen, wo keine vorhanden sind. Korea als eine "homogene" Kultur zu bezeichnen (87), ist eine gewagte Behauptung. Auch ist es problematisch, heute noch von einer Entdeckung Amerikas (315) zu schreiben, ohne Anführungsstriche hinzuzufügen. Die drei wichtigen Prinzipien kirchlicher Unabhängigkeit (self-governing, self-supporting, self-propagating) werden in diversen geographischen und historischen Kontexten genannt (Korea: 123, China: 127, Afrika: 204), wobei (abgesehen von China) nicht klar wird, ob diese Begriffe als historische oder historiographische (deutende) verwandt werden. Schließlich empfiehlt es sich, asiatische Namen konsistent gemäß einheimischen Gebrauchs (d. h. Familienname zuerst) zu schreiben, um ein Durcheinander zu vermeiden (cf. Sook Jong LEE und CHOI Young-Woong).

Diese Bemerkungen stellen freilich nicht die enorme Leistung dieses Bandes in den Schatten. Er hält, was der Herausgeber in der Einleitung (s. o.) verspricht. Er wird nicht nur eine Basis für die weitere Forschung zu Strukturen globalen Kirchenwachstums geben, sondern ihr vielfältige Anregungen geben. Falls ein Thema für ein Folgesymposium und einen Folgeband vorgeschlagen werden darf, wäre eines zu nennen, das im vorliegenden Band bereits oft vorkommt: nämlich eine globale Darstellung lokaler bzw. regionaler Indigenisierungen des Christentums.