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Ausgabe:

Mai/2005

Spalte:

581 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Goerlich, Helmut, Huber, Wolfgang, u. Karl Lehmann

Titel/Untertitel:

Verfassung ohne Gottesbezug? Zu einer aktuellen europäischen Kontroverse.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2004. 80 S. 8 = Forum Theologische Literaturzeitung, 14. Kart. Euro 14,80. ISBN 3-374-02254-5.

Rezensent:

Christian Polke

Ist Europa "Gott" abhanden gekommen? Manche Stellungnahmen aus Rom lassen derlei vermuten. Für den europäischen Verfassungsentwurf gilt das freilich nicht, schließlich war er noch nie drin. Genau darüber gab es unlängst eine zum Teil heftige Kontroverse. Bischof Wolfgang Huber und Karl Kardinal Lehmann veröffentlichten sogar in der BILD-Zeitung ein Plädoyer für einen Gottesbezug. Dies hat die ThLZ veranlasst, diesem Thema einen Forum-Band zu widmen, in dem - neben den positiven Voten der beiden Kirchenmänner - der Leipziger Jurist Helmut Goerlich maßvoll gegen einen Gottesbezug argumentiert.

Goerlich liefert zunächst einen Überblick über Formen des Gottesbezugs in den europäischen Verfassungen. Er streicht die kulturelle Wirkung von Präambeln heraus, die vom normativ zu verstehenden Verfassungstext zumeist unterschieden werden muss (14 ff.). Für die Beurteilung eines Gottesbezuges ist zwischen der invocatio und einer (bloßen) nominatio zu differenzieren (23 ff.31 ff.). Goerlichs Argumentation gegen einen Gottesbezug ist durchaus schlüssig, stößt jedoch auf Schwierigkeiten mit der Rede vom "säkularen Projekt" Europa (28). Denn was konkret darunter zu verstehen ist, wird nicht deutlich: lediglich ein säkularer Verfassungsvertrag ohne Gottesbezug (43) oder mehr? Letzteres wäre fatal, denn Europa ist mehr als nur ein politisches und ökonomisches Instrument, es ist eine kulturell gewachsene und insofern religiös beeinflusste Wertegemeinschaft. So mahnt gegen Ende auch der Jurist fast beschwörend, dass letztlich der "Geist der Bürger die Verfassung gewährleistet" (43.). Nur bleibt die Antwort auf die entscheidende Frage, von welchem Geist genau die Rede ist, leider aus.

Damit befasst sich der Beitrag von Bischof Huber. Ohne den transmoralischen Kern des Glaubens aufzugeben, verweist er auf die jüdisch-christlichen Traditionsbestände des kulturellen Erbes Europas (49 ff.). Von Anfang an ist Europa auch eine Wertegemeinschaft, wie er unter Bezug auf die Präambel des ersten Integrationsvertrags von 1951 herausstellt (46). Der weltanschaulich neutrale Staat darf seine gegenwärtige Prägung durch das Christentum nicht unterschätzen, entstammt doch die neuzeitliche Entflechtung von Staat und Religion selbst diesem Gesellschaftsverständnis (57). Der abstrakte Verweis auf religiöse Überlieferungen in der Präambel des gegenwärtigen Verfassungsentwurfs reicht nicht aus. Jedoch ist eine Präzisierung der Präambel von der Frage eines möglichen Gottesbezuges zu unterscheiden. Dessen Vorteil liegt in der Beschreibung eines unhintergehbaren "Verantwortungshorizonts" (58).

Wie Goerlich und Huber würdigt Kardinal Lehmann die verbreiterte Kooperationsbasis zwischen der EU und den Religionsgemeinschaften im Art. 51 des Verfassungsentwurfes (61 f.). Ausführlich beleuchtet er die Bedeutung des Gottesbezuges im deutschen Grundgesetz. Dessen Sinn kann nur aus dem historischen Entstehungskontext erschlossen werden (69 f.). Lehmann sieht die gegenwärtige Bedeutung treffend in der Formulierung "In Verantwortung vor Gott und den Menschen" ausgedrückt (72 f. 77). Sein Beitrag leidet - durch die Zusammenstellung aus einem bereits älteren Vortrag und einem Kommentar zu den aktuellen Geschehnissen - an innerer Stringenz. So sehr er die Bedeutung des Gottesbezugs für das Grundgesetz herausstellt, so sehr verbleibt es für den europäischen Kontext bei Andeutungen.

Betrachtet man die drei in unterschiedlichen Kontexten entstandenen Beiträge, zeigt sich ein Manko des Bandes: Sie sind nicht wirklich aufeinander abgestimmt. Als Fazit bleibt, dass die gegenwärtige Lösung einen Kompromiss auf kleinstem Niveau darstellt, der gerade dann ergänzungsbedürftig ist, wenn man die Säkularität der europäischen Institutionen betonen will. Aber da möge sich jeder eine eigene Meinung bilden. Der vorliegende Band bietet dafür das, was er verspricht: ein Forum.