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Ausgabe:

Mai/2005

Spalte:

518–520

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Elpert, Jan Bernd

Titel/Untertitel:

Loqui est revelare - verbum ostensio mentis. Die sprachphilosophischen Jagdzüge des Nikolaus Cusanus.

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2002. X, 611 S. 8 = Europäische Hochschulschriften. Reihe 20: Philosophie, 651. Kart. Euro 97,50. ISBN 3-631-50411-X.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

"Nikolaus von Kues hat sich durch sein ganzes Denken hindurch immer wieder sprachphilosophischen Fragen gestellt, indem er durchgehend nach der Kraft der Worte und der Sprache gefragt hat" (545). Er weiß, dass in der Sprache sich immer die ganze Wahrheit eingefaltet hält. Mittels der Sprache dringen wir "per signa vocalia ad mentem" (De filiatione, n. 60); die Wahrheit gelangt durch sie aus dem Dunkel des Nichtwissens. Das gilt ganz besonders für die "theologia sermocinalis" (De sapientia II, n. 33), für eine Theologie, die an die Rede gebunden ist (was die Predigt einschließt!). Ja, NvK betont (vgl. Compendium, n. 6), dass letztlich die Sprache den Menschen zum Menschen macht. Darin erweist sich der Mensch als schöpferisch, als "deus humanus", sein Geist als "das hohe Abbild Gottes" (De coniectura, n. 2; n. 143).

Deutlich wird, dass NvK zu den "Klassikern der Sprachphilosophie" (und Sprachtheologie) gehört. Elpert untersucht nun erstmals dieses Gebiet minutiös. Er geht (fast) alle Schriften des NvK durch und klopft sie darauf ab, was sie zum Thema sagen. Dabei stellt er fest: "Alle seine Schriften hatten immer nur das eine Ziel: Gott zu zeigen und zu suchen, ihm geht es immer um ein besseres Verständnis von Gott, Welt und Mensch" (10).

E. beginnt mit De docta ignorantia. Für NvK ist "ein präzises Erkennen und Ansprechen der Wahrheit der Dinge ... dem Menschen nicht möglich" (21; so auch in De possest: 321). In den folgenden Schriften wird deutlich: Die Wahrheit können wir nicht erfassen, wir können uns ihr in der Sprache durch Unterscheidung nur - konjektural - nähern. Zur "deificatio" des Menschen kommt es durch "die Aufnahme des göttlichen Wortes" (79). Das "verbum mentale" gibt die Gewähr dafür, dass "das gesprochene Wort nicht pure Lautäußerung ist, sondern daß es ein Bindeglied zwischen Sachen und sprachlichen Zeichen darstellt" (88).

Der Mensch ist als menschlicher Gott an der Schöpfung beteiligt. Das äußert sich gerade durch sein Sprechen. So wie Gott durch das Wort schafft, so auch der Mensch. Dieser Gedanke tritt in mehreren Schriften des NvK auf. Durch sein Sprechen mittels des "verbum rationale" unterscheidet sich der Mensch von allen anderen Geschöpfen (vgl. 106).

In De visione dei erweitert NvK seine Aussagen hin zum "Schauen Gottes": "Gottes Sehen war ja wie ein Sprechen, mehr noch, beide sind identisch. Gott spricht sein Wort und ruft so alles aus dem Nichts ins Sein" (226). Der Mensch dagegen kommt mit seinem Schauen nur bis zur Paradiesesmauer; sie stellt die Schranke für den menschlichen Intellekt dar. Allein das geistige Auge vermag über die Mauer zu blicken, kann aber das Geschaute nicht in Worte fassen (240, n. 75). Allein Jesus hat den vollendeten Intellekt; er erkennt durch die vollkommene Verbindung mit dem göttlichen Wort. Der Mensch kann nur durch Gleichnisse erkennen, ist aber durch das "verbum divinum" erleuchtet. Im Glauben tritt der Intellekt zum Wort hinzu (246-249, n. 113). In De Beryllo meint NvK, dass der Intellekt den Menschen in Gottes Nähe rückt, auch hinsichtlich der Schöpferkraft, die beiden gemeinsam ist. Er schafft Worte und Begriffe und passt die Dinge dem Verstand an (265f. 270).

In De aequalitate - diese Schrift stellt geradezu eine Einleitung in das Predigtwerk des NvK dar, was E. nicht vermerkt - wird das (menschliche) "verbum mentale ... (als) Explikationsprinzip ... aller Sprachzeichen" verstanden (281). Deutlicher wird das in De principio: "Sprechen hat Offenbarungscharakter, d. h. im Sprechen ... wird etwas enthüllt, was vorher noch nicht wahrnehmbar war" (300).

In seinen Spätschriften geht es NvK darum, Gott so eindeutig wie nur möglich zu benennen, also gerade darum, was die Sprache vermag. Einmal spricht er von Gott als "possest", dann von ihm als "non aliud", als vom "posse" und schließlich als vom "posse ipsum" (in De apice theoriae). Er glaubt nicht, den Namen Gottes schlechthin gefunden zu haben, denn der Name Gottes ist letztlich unnennbar; aber "non aliud" kann ein Richtungsweiser sein. Auf jeden Fall scheint dieser Name ihm präziser zu sein als "das Gute"; als Aenigma weist er auf das Unnennbare (393.399.407). So umkreist NvK sprachlich das, was nicht ausgesagt werden kann. Das gilt ebenso von den anderen Bezeichnungen, die NvK findet.

Es ist also die Sprache, die den Menschen zum Menschen macht, sie ist die "prima et magis necessaria scientia" (462, Compendium, n. 3), durch sie formt er sich seine Welt. Was der Mensch in der Natur vorfindet, gestaltet er um. Der Geist formt das Wort; "das Begreifen aber, durch das der Geist sich selbst begreift, ist das vom Geist gezeugte Wort. Dieses verbum vocale ist Offenbarung dieses Wortes", a. a. O., n. 20; vgl. 498). NvK räumt der Sprache "eine Schlüsselfunktion in erkenntnistheoretischer, kommunikativer und kultureller Hinsicht ein". Dabei traut er der natürlichen Gotteserkenntnis weniger zu als der durch den Glauben (502.506). Und wenn er meint, im "posse ipsum" den höchstmöglichen Gottesnamen gefunden zu haben, so kann das nicht bedeuten, dass, wäre dies nicht seine letzte Schrift gewesen, er nicht weiter auf der Jagd nach einem solchen gewesen wäre; auch er ist nur ein Aenigma (534.540). Deutlich wird, dass mit "posse ipsum" NvK jedenfalls "den im Christentum geglaubten und bezeugten dreieinigen Gott" bezeichnet und "Christus die vollkommenste Erscheinung" desselben ist (540.542).

E. hat das Thema umfassend dargestellt, doch fragt man sich, ob nicht weniger mehr gewesen wäre. Die Untersuchung hätte keinen Schaden genommen, wäre ihr Umfang auf die Hälfte reduziert worden. Die zahlreichen Schriften mussten nicht einzeln vorgestellt werden, vor allem die nicht, die zum Thema nichts bringen. Eine Beschränkung auf einige Schriften wäre sinnvoll gewesen. Andererseits muss bemängelt werden, dass nun gerade die Predigten nicht berücksichtigt wurden (vgl. 14). Wenn E. (mit Senger) darauf hinweist, dass NvK "innerhalb theologischer Gedanken eine Theologie des Wortes in enger Verwandtschaft mit der aus der Tradition kommenden Logosspekulation entwickelt" hat und seine Schriften nur das eine Ziel haben, Gott zu zeigen und zu suchen (7.10), so vermisst man das Eingehen auf seine Predigten umso mehr. NvK will doch nicht nur eine Textinterpretation geben, sondern er will den genauen Sinn, die Eigentümlichkeiten der Worte, wie er sagt, herausschälen (94) - und das tut er nirgends besser als in seinen fast 293 Predigten. Sie waren ihm so wichtig, dass er sie handschriftlich niedergelegt und überliefert hat. Und wo wird eine "theologia sermocinalis" deutlicher als in den Predigten? Sicher, "sermocinalis" heißt auch "an die Rede gebunden", aber zugleich heißt "sermocinare" eben "predigen". Und der Rezensent bleibt dabei, dass NvK in De sapientia wohl beide Bedeutungen im Blick hat (vgl. Kandler: Theologia mystica - theologia facilis - theologia sermocinalis bei Nikolaus von Kues, in: Historia philosophiae medii aevi, hrsg. von B. Mojsisch und O. Pluta, 1991, 467-476). Will Theologie eine "scientia dei" sein, so ist sie dies zuallererst in der Predigt. In ihr wird der Mensch zum Glauben an Gott geführt (De sapientia 11, n. 33)!

Es fällt auf, dass gegen Ende der Arbeit die Druckfehler zunehmen und eine Reihe von zitierter Literatur (z. B. A. Brüntrup: Können und Sein, 1973; S. Dangelmayr: Gotteserkenntnis und Gottesbegriff in den philosophischen Schriften des Nikolaus von Kues, 1969) nicht aufgeführt ist. Andererseits werden manche Werke die ganze Arbeit hindurch immer mit vollem Titel genannt.