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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

429–431

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Menke-Peitzmeyer, Michael

Titel/Untertitel:

Subjektivität und Selbstinterpretation des dreifaltigen Gottes. Eine Studie zur Genese und Explikation des Paradigmas "Selbstoffenbarung Gottes" in der Theologie Karl Barths.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2002. 637 S. gr.8 = Münsterische Beiträge zur Theologie, 60. Kart. Euro 74,00. ISBN 3-402-03966-4.

Rezensent:

Hans-Anton Drewes

Mit gespannter Erwartung nimmt man das gewichtige Buch eines katholischen Theologen in die Hand, der ein wichtiges Thema - wenn nicht das Thema! - der Theologie Karl Barths historisch und systematisch darzulegen verspricht. Man denkt freudig daran, wie insbesondere durch katholische Theologen (z. B. von Balthasar, Bouillard, Küng) das geschichtliche und vor allem das sachliche Verständnis für die Denkform und das Denken Barths gefördert worden ist - und ist enttäuscht, ja befremdet.

Methodisch, oder richtiger: technisch gesehen bietet der voluminöse Band - hervorgegangen aus einer noch umfangreicheren Dissertation, auf die gelegentlich als auf die "Promotionsversion" verwiesen wird - im Hauptteil einen Auszug aus den Bänden I/1-II/2 der Kirchlichen Dogmatik und einigen vorangehenden Arbeiten Barths. "Auszug" ist dabei nicht im guten Sinne von "Extrakt" zu verstehen - vielmehr werden unter sparsamstem Gebrauch von Anführungszeichen Passagen, die dem Vf. wichtig erscheinen, fast wörtlich wiedergegeben. Die Retuschen beschränken sich dabei auf die Überführung der direkten in die indirekte Rede oder auf die Einfügung eines "nach Barth" oder "für Barth" - gelegentlich werden auch beide Operationen gleichzeitig vorgenommen, so dass der Eindruck entsteht, es werde aus einer Arbeit über Barth zitiert, während doch auch da nur in großer Treue - gemäß der apostolischen Mahnung "Ne supra quam scriptum est" - Barth selbst in seinen eigenen Worten zur Sprache kommt. Der Vf. umschreibt dieses merkwürdige Verfahren behutsam mit der Erklärung, "dass die Reflexionen dieser Arbeit - nah am Urtext Barths verlaufend - weitgehend rekonstruierenden Charakter haben und vom Stil eines reflektierenden Berichts bzw. diagnostischen Kommentars gekennzeichnet sind" (583 f.). In der einmal bewährten Weise geht der Vf. auch mit der ausgewählten Sekundärliteratur um - Peter Eichers Untersuchung "Offenbarung" von 1977 wird gar zweimal in "nah am Urtext" bleibenden Auszügen vorgestellt (532-543.573-577), wohl weil Eicher "das Ergebnis der Analyse" "weitgehend" "bestätigt" (543). Auch das Schlussplädoyer "für eine Heils-Dramatik" hält sich ungewöhnlich eng an den hier vom Promotor stammenden "Urtext". Gerne hofft man, dass der Vf. aus dieser Art von "relecture" - dieses hinreichend vage, deshalb für jede Etikettierung brauchbare Wort darf nicht fehlen (z. B. 532) - Gewinn gezogen hat. Für seine Leser sind "Rekonstruktion", "Diagnose", gar "Kommentar" schwer wahrzunehmen. Vielleicht ist "als sachlich falsch aufzuweisen und abzulehnen" eleganter als Barths "als sachlich irrig aufzuweisen und abzuweisen" - aber solche Änderungen enthalten doch nicht so viel kommentierende, geschweige denn diagnostische Kraft, dass man deshalb den im Übrigen gleichen Text lieber beim Vf. in indirekter als bei Barth in direkter Rede läse (202). Des Vf.s Wahrheit als "Herrin" ist viel korrekter als Barths "Herr" (175). Trotzdem wird man lieber zum Original als zur Kopie greifen - auch deshalb, weil sich bei aller Treue zum Urtext eben doch Missverständnisse und Fehler einschleichen. So z. B. auf S. 184, wo der Vf. sich vom Geländer des Urtextes etwas löst und dabei zu der Rekonstruktion kommt:

Nach Barth vollziehe sich der anselmische Beweis "unter der Voraussetzung einer Solidarität zwischen dem Theologen und dem Ungläubigen, die dadurch entstanden sei, dass der Theologe sich in den Raum des Ungläubigen begebe, um mit ihm ins Gespräch zu kommen"! Die Sorge, mit der man der These entgegenblickt, die auf dem so sonderbar zubereiteten Boden ihre Begründung finden soll, ist allzu berechtigt. Wie sie durch das ganze Buch hin in hartnäckiger Geduld immer wieder eingeprägt wird, lautet sie: In Barths Theologie wird der Mensch "zu einem marginalisierten Instrument des absoluten Subjekts Gott und damit in seinem kreatürlichen Eigenstand nicht respektiert" (325). Sachlich soll dieses "bedenkliche Faktum", diese "folgenreiche Schieflage" (ebd.) daher rühren, dass Barth keine Lehre von der immanenten Trinität entwickelt und stattdessen die "Selbstkonstitution" Gottes in die Prädestinationslehre verlegt hat. Diese Identifizierung der immanenten mit der ökonomischen Trinität, d. h. der "Selbstkonstitution" mit der "Selbsterschließung bzw. -offenbarung" Gottes macht die Heilsgeschichte zu einem "Epiphänomen der immanenten Trinität" und lässt ihr "nur noch eine Auszeitigungsfunktion vor dem Hintergrund einer allesbestimmenden totalen Prädestination" (420). Genetisch sei ein entscheidender Grund: Barths kritische Absetzung von Schleiermacher vollzog sich als schlichte Umkehrung, so dass wir bei Barth "plakativ von einem umgedrehten Schleiermacher sprechen" können, bei dem nämlich "umgekehrt der Mensch (und mit ihm die Geschichte!) das Prädikat des souveränen Gottes" zu sein scheine (421). Von diesem Urteil hat sich der Vf. auch nicht durch die Warnung Barths vor dem Schleiermacher-Wort "Abhängigkeit" abbringen lassen: "Gerade der in der wirklichen Erkenntnis des Wortes Gottes stehende Mensch erkennt ... sich selbst durchaus als existierend in der Tat seines Lebens, als existierend in seiner Selbstbestimmung" (KD I/1, 209). An einer späteren Stelle bestimmt Barth den Menschen als "das Wesen, das ... seine Existenz in Akten freier Entscheidung und Bestimmung zu verwirklichen dauernd im Begriff steht", und Barth fährt fort: "Gottes Freiheit konkurriert nicht mit der menschlichen Freiheit; aber wie sollte sie die Freiheit der dem Menschen zugewandten göttlichen Barmherzigkeit sein, wenn sie die menschliche Freiheit unterdrückte und auslöschte? Daß Gott seine Freiheit betätigt und bewährt gerade an dem freien Menschen, das ist die Gnade der Offenbarung" (KD I/2,400). Aber das hat der Vf. wohl deshalb nicht zur Kenntnis genommen, weil er in seinem Referat wunderlicherweise in KD I/2 gerade den Abschnitt übergeht, in dem Barth mit der "Ausgießung des Heiligen Geistes" das "freie Heilsgeschehen zwischen Gott und Mensch" behandelt, für das in seiner Theologie nach dem Vf. "kein Spielraum" vorhanden ist (416 f.).

Ebenso verwunderlich ist es, dass der Vf. die Ausführungen Barths zur immanenten Trinität (teilweise auf die ausführliche "Promotionsversion" verweisend) referiert - und doch behaupten kann, dass "die immanente Trinitätslehre an der entsprechenden Stelle der Prolegomena" fehle (411). Ganz unklar sind in diesem Zusammenhang die Aufstellungen über "eine Unterbestimmung des menschlichen Subjekts" (409.411), "eine anthropologische Defizienz", die "durch eine pneumatologische Überhöhung ausgeglichen" werde (411), obwohl gleichzeitig eine "Unterbestimmung der barthschen Pneumatologie" (410) beklagt wird. Das scheint widersprüchlich, doch dieser Widerspruch ist notwendig, denn die These von der "Nachordnung" des Heiligen Geistes findet ihre Begründung darin, dass in der Lehre von der Gnadenwahl (KD II/2), der ja "die Funktion der immanenten Trinitätslehre" zugeschrieben werden soll, eben die Erwählung des Sohnes vorherrscht (411 f.). Im Sinne der "heuristischen Vermutung", dass es sich in Barths Prädestinationslehre "letztlich doch nur um Gottes Selbstkonstitution im immanenten Zirkel der Trinität handelt" (473), wird aus Barths fast wörtlich, wenn auch ohne Anführungszeichen zitiertem "Namen Jesus Christus, in welchem die göttliche Entscheidung für seine Zuwendung zu jenem Volk ... menschlich geschichtliches Ereignis ... geworden ist" (KD II/2, 56 f.; beim Vf.: 463), in der Überschrift des Abschnitts beim Vf. "Der Name Jesus Christus als die Entscheidung Gottes für den Menschen" (462) und daraus im Folgenden die Vorhaltung: "Wenn der Name Jesus Christus als die Entscheidung Gottes für den Menschen bezeichnet wird und offensichtlich im Sinne des anstelle von verstanden wird, so legt sich der Eindruck nahe, dass diese Entscheidung Gottes jede freie Entscheidung des Menschen für Gott überflüssig macht" (473; das gleiche sonderbare Missverständnis auch 586).

Im Folgenden hält sich der Vf. auf dieser einmal gefundenen oder vielmehr: gelegten Fährte. Umsonst, dass Barth den Erwählten als "Partner des Bundes" beschreibt, von seiner "Beteiligung", seiner "aktiven Teilnahme" an Gottes Werk spricht, so dass er nicht "nur Objekt der Herrlichkeit Gottes", sondern auch "ihr Subjekt" (!) ist (KD II/2, 455 f.). Der Vf. schreibt das treulich ab (515), um dann doch im folgenden "Zwischenertrag" ungerührt zu der Behauptung zurückzukehren, dass hier "kein Raum" bleibe "für die Heilsgeschichte im Sinne der Begegnung von unendlicher und endlicher Freiheit" (543). Ein bisschen störend ist, dass sich Barth nicht folgerichtig auf die "Apokatastasis-Option" festlegen lässt (526, Anm. 311). Aber wenn er sich dagegen "zwar verbal wehrt", kann er sie "inhaltlich doch nicht umgehen" (546, vgl. 562). So bleibt es dabei: Das endliche Subjekt kann "sich der göttlichen Gnadenwahl nicht mehr erwehren" - die Lehre von der Gnadenwahl bedeutet den "Abschied von der Freiheit des Menschen" (561), der "nur noch eine Marionette Gottes ist" (585).

Welchem Zweck sollen eigentlich die übermäßig langen wortgetreuen Referate dienen, wenn zum Schluss ein Ergebnis statuiert wird, gegen das sich der besprochene Autor zwar "verbal" wehrt, das aber kraft einer offensichtlich unabhängig vom so eifrig reproduzierten Wortlaut gewonnenen Einsicht "inhaltlich" feststeht? Offenkundig ist hier die Sache, die mit den Worten bezeichnet sein sollte, nicht hinreichend mitvollzogen worden, sondern unter der Hand mit einer anderen verwechselt oder vertauscht worden, auf die Barth festgelegt werden soll, er mag sich - "verbal", wie sonst? - wehren, wie er will. Der Eindruck verstärkt sich, wenn der Vf. als Gegenentwurf (!) eine "Heilsdramatik" fordert, in der "die unbedingt freie Tat Gottes ... die Freiheit des Menschen erst freisetzt" (564). Kann man mit größerem Getöse eine offene Tür einrennen? (KD II/2, 196 - ein Beispiel unter vielen: "Es ist die Selbsthingabe Gottes an den Menschen gerade in der Person Jesu Christi dieses Vollkommene: dass sie den Menschen, weit entfernt davon, ... bloß mit ihm umzugehen als mit einem Objekt, vielmehr zum Subjekt erhebt, ihn erweckt zu echter Eigenheit und Selbständigkeit, ihn frei, ja eben: ihn zum König macht".)

Mit diesen kritischen Bemerkungen soll nun keineswegs der Eindruck erweckt werden, dass es auf diesem Felde keine offenen Fragen gäbe. Im Gegenteil: Wir müssen im Verständnis dieser Probleme durch kritische Untersuchungen weiterkommen - bei Barth und dann sicher auch über Barth hinaus. Katholische Theologen haben dazu entscheidende Beiträge geleistet. Der Vf. gehört wohl auch deshalb nicht zu ihnen, weil die von ihm unentwegt vorgebrachte Klage über die bei Barth fehlende "Differenzierung von Natur und Gnade, Vernunft und Offenbarung" und die Forderung einer "Trennung von Philosophie und Theologie, Natur und Gnade" (z. B. 581) die Fortschritte ignoriert, die in diesen Fragen im 20. Jh. gerade durch die Beiträge der katholischen Theologie erreicht worden sind.