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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

396–398

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Peterson, Erik

Titel/Untertitel:

Offenbarung des Johannes und politisch-theologische Texte. Aus d. Nachlass hrsg. v. B. Nichtweiß u. W. Löser.

Verlag:

Würzburg: Echter 2004. XLVIII, 267 S. gr.8 = Ausgewählte Schriften, 4. Geb. Euro 42,90. ISBN 3-429-02597-4.

Rezensent:

Eduard Lohse

Der überaus sorgfältigen und umsichtigen Forschungsarbeit von Barbara Nichtweiß ist zu danken, dass das Lebenswerk von Erik Peterson in seiner Weite und Tiefe aufgeschlossen wird. Hatte sie in ihrer grundlegenden Studie über Erik Peterson eine neue Sicht auf sein Leben und sein Werk entfaltet und dabei zugleich den geistigen Ort dieses originellen Denkers in der Theologiegeschichte der ersten Hälfte des 20. Jh.s genauer bestimmt (Freiburg 1992), so hat sie seither mehrere Bände seiner Ausgewählten Schriften vorlegen können. Unter den exegetischen Arbeiten kommt dabei vor allem seiner Erklärung des Römerbriefs (1997) sowie seiner Auslegung des Johannesevangeliums (2003) besonderer Rang zu. Diesen Bänden wird nun P.s Kommentierung der Offenbarung des Johannes an die Seite gestellt. Diese beginnt in der Zeit, als P. als evangelischer Theologe in Göttingen und Bonn lehrte, und setzt sich fort in den Jahren nach seiner Konversion zur römisch-katholischen Kirche (1930). Dabei weisen die theologischen Überlegungen in ihrem Fortgang keinen wirklichen Bruch auf. Hier und da wird freilich später den Namen der frühchristlichen Zeugen das Prädikat "heilig" vorangestellt.

Die Erklärung des letzten Buches der Bibel ist von P. nicht zu einer abschließenden Darstellung oder einem vollständigen Kommentar gebracht worden. Die Beschäftigung mit der Offenbarung des Johannes hat ihn immer wieder zu neuen Ansätzen geführt: in Vorlesungen der Jahre 1926/27, 1929 und 1934. Keines der Manuskripte umfasst mehr als die Hälfe des biblischen Textes. Doch bei der Einzelexegese richtet P. stets den Blick auch auf die gesamte Botschaft des Sehers Johannes, den er unbefangen mit dem Autor des vierten Evangeliums gleichsetzt. An der Edition der nachgelassenen Manuskripte von P. hat Werner Löser SJ kenntnisreich mitgewirkt und sie mit einer gelehrten Einführung versehen. Darin wird des Näheren ausgeführt, dass P. sich Zeit seines Lebens mit keinem Buch der Bibel so leidenschaftlich und folgenreich befasst hat wie mit der Apokalypse des Johannes (IX). Das Studium der Offenbarung des Johannes begleitete seinen Weg zur Konversion und gewann dann neue Impulse in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Um diese Auseinandersetzung im Blick auf das theologische Denken und Urteilen P.s genauer bestimmen zu können, sind den verschiedenen exegetischen Texten eine Reihe charakteristischer Äußerungen zu einer politischen Theologie hinzugefügt, deren Lektüre sich als hilfreich zum Verständnis der Auslegung der Johannesoffenbarung erweist.

In seiner Erklärung bleibt P. eng am vorgegebenen Text, weiß aber im Nachzeichnen seiner Gedanken deren aktuelle Bedeutung eindrücklich hervorzuheben. Folgt er in der Einzelexegese weithin den besten gelehrten Kommentaren, die ihm damals zur Verfügung standen (W. Bousset, E. Lohmeyer u. a.), so setzt er immer wieder eigene Akzente, um sowohl die grundsätzliche als auch die aktuelle Relevanz der biblischen Aussagen deutlich zu machen. "In allen von Peterson zur Auslegung der Apokalypse verfassten Texten geht es um die Kirche als eine in der Welt öffentliche Größe." (W. Löser, XIX) Die Kirche aber lebt vom Zeugnis der Märtyrer - damals wie heute. Denn die Tränen, von denen der biblische Text spricht, "sind die Tränen, die wir alle schon einmal geweint haben und die wir immer wieder weinen werden ... Es gibt keinen Trost, wenn man nicht geweint hat." (69)

Um den Sinn der apokalyptischen Botschaft wirklich verstehen zu können, muss man erkennen, wie ihre Texte voll von Bezügen auf die politische Welt sind (124). "Dem römischen Imperator wird Christus als der Herrscher des Ewigkeitsreiches gegenübergestellt." (132) Ist es vom Standpunkt einer politischen Logik eines heidnischen Staates aus gesehen durchaus konsequent, wenn der aktuelle Träger der politischen Gewalt auch zum aktuellen Empfänger der religiösen Verehrung wird, so musste der Kaiserkult notwendig intolerant werden (135).

Im Zentrum der Botschaft der Johannesapokalypse steht das Christuszeugnis, das der Seher entschieden aller heidnischen Vergötterung entgegensetzt. Die Anthropologie aber ist von der Christologie her zu begreifen - wie mit Nachdruck betont wird. Darum gilt: "Im Begriff des Menschensohnes, der als im Himmel befindlich gesehen wird, kommt also die Bestimmung des Menschen zur Glorie zum Ausdruck." (160, Anm. 30) Den Insignien dieses Äons "tritt das Reich des geschlachteten Lammes entgegen. Die Opferung des Lammes ist die Voraussetzung für die Konstituierung des Reiches [Gottes]" (193 f.). Alle Herrlichkeit der politischen Ordnung wird auf das Lamm übertragen (194 f.). Darum weiß der Seher zu verkündigen: "Die Illusion einer politischen Herrschaft also, die an das künftige Reich des geschlachteten Lammes nicht glauben kann, weil sie sich auf dem Boden dieser Erde für gesichert hält, muss zerstieben vor einer Erschütterung, die durch den ganzen Kosmos geht." (203)

Inmitten der endzeitlichen Schrecken kann von der Christenheit, die auf die Seite ihres Herrn gehört, gesagt werden: "Nur in der katholischen Kirche ... ist das Heidentum und die mit ihm verknüpfte Existenz überwunden, sind doch allein die Heiligen durch das Blut des geschlachteten Lammes von ihrem Verhaftetsein in Stämmen, Sprachen, Völkern und Nationen losgekauft worden." (220)

Sowohl in seinen Exegesen als auch in seinen Gedanken zu einer politischen Theologie hebt P. stets die unbedingte Priorität der Christusbotschaft hervor - Überlegungen, die der kundige Leser in weitergeführter Form bei Ernst Käsemann, der P.s Hörer in Bonn gewesen war, wiederfinden kann. Möchte der von Hybris erfasste Mensch die Welt beherrschen, so ist der filius hominis der wahre Herrscher, der zum Gericht des homo faber kommt (259).

Die tief bohrende und stets nachdenklich stimmende Betrachtung biblischer Texte, wie man sie bei P. findet, kann auch heute jeden Exegeten in seinem Bemühen bestärken, mit aller gebotenen Sorgfalt auf die überkommene Botschaft zu hören und sie in ihren aktuellen Bezügen zu verstehen - und auf diese Weise auch den ökumenischen Dialog aufs Neue befruchten und fördern.