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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

371 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dahm, Ulrike

Titel/Untertitel:

Opfer und Ritus. Kommunikationstheoretische Untersuchungen.

Verlag:

Marburg: Diagonal-Verlag 2003. 203 S. 8 = Religionswissenschaftliche Reihe, 20. Kart. Euro 20,00. ISBN 3-927165-84-0.

Rezensent:

Elisabeth Jooß

U. Dahm geht in ihrer materialreichen Dissertation der Frage nach dem Verhältnis von Opfer und Ritus nach, indem sie deren kommunikationstheoretische Implikationen aufzeigt und ihre Valenz verdeutlichen will. Ziel ihrer Untersuchungen ist es dabei, einen "Beitrag zur religions- und kulturwissenschaftlichen Opfer- und Ritenforschung zu leisten" (7). Dieser besteht zum einen darin, den Ritus nicht in erster Linie auf seine Funktionalität hin zu befragen (und ihn damit gleichzeitig darauf zu beschränken), sondern seine Grundlagen und Mechanismen zu beschreiben, wofür D. in Anlehnung an das Referenzraum-Modell von H. Schulz eine vierdimensionale Syntax entwickelt. Zum anderen will D. durch die Fokussierung der ökonomischen Implikationen des Opferrituals zeigen, dass im Opfer eine eigene Wirtschaftsform, ein eigener Typus von Ökonomie, die "inszenierte Ökonomie" (153), generiert wird, deren spezifisches Differenzierungsmerkmal die Ästhetik darstellt (161). Für ihre Untersuchung wählt D. einen "kulturvergleichenden Ansatz", in dem zahlreiche Ritualanweisungen aus unterschiedlichen kulturellen wie historischen Kontexten verarbeitet sind.

Teil A, welcher der ritualsymbolischen Kommunikation gewidmet ist, beginnt mit der Untersuchung der Opferpraxis und deren Hauptmedium, der Nahrung. Das Charakteristikum des Opfers gegenüber anderen Riten (wie z. B. Geistweseninszenierungen) besteht in dem kommunikativ-rituellen Dreieck von Geber, Gabe und Empfänger, wobei eben diese Gabe meist dem Nahrungsmittelbereich zugehört. Dies ist dadurch zu erklären, dass in Gesellschaften mit ritualisierten Opferpraktiken die Nahrungsressourcen meist auch "im Mittelpunkt der basalen Problem- und Symbolbeziehungen" (23) stehen. Dass Nahrung und Nahrungsverteilung in unterschiedlichen Repräsentationscodes die politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse einer Gesellschaft strukturieren und widerspiegeln, kann D. anhand verschiedener Beispiele aus unterschiedlichen Kulturbereichen belegen. Da Nahrung zudem auch mit spezifischen (religiösen, sozialen oder auch materiellen) Wertvorstellungen verknüpft ist, kommt etwa dem Rind als dem Paradigma von Fleischnahrung ein deutlich privilegierter Rang gegenüber pflanzlicher Nahrung zu. Bei den im Geben und Nehmen erfolgenden Austauschprozessen muss jedoch zwischen sozialem und ritualisiertem Gabentransfer differenziert werden. Darum schließt sich eine Untersuchung des Ritus und des ritualsymbolischen Orientierungsmusters an. Zu diesem Zweck entwirft D. eine Ritensyntax, die aus vier Positionen besteht: 1. dem zu Grunde liegenden Problem (z. B. ausbleibender Regen), 2. dem Kommunikationsmedium als Handlungseinheit (z. B. Schlachtung eines Rinds), 3. der Gestaltung/Ästhetik des Ritus (z. B. Tanz), 4. der Wahrnehmung/raumzeitlichen Selbstpositionierung. Um eine hohe rituelle Akzeptanz sowie ein gutes Identifikationspotenzial zu erreichen, erfolgt die Selektion einzelner Rituselemente in erster Linie nach Kriterien der "Logik" und der Ästhetik; nach denen der "Logik", weil der Ritus, soll er gelingen, für die Beteiligten einsehbar und in seiner Zielsetzung nachvollziehbar sein muss. Nach denen der Ästhetik deswegen, weil bei der Ritengestaltung die Gebundenheit der Ritusform an eine spezifische Gruppe besonders deutlich wird. Nach diesen Untersuchungen lässt sich D. zufolge die Differenzierung zwischen sozialem und ritualisiertem Gabentransfer so vornehmen, dass sich im ritualisierten und mediatisierten Gabentransfer des Opfers zwar auch eine Gabenökonomie widerspiegelt, wie sie im Geben und Nehmen des sozialen Gebrauchs vorhanden ist, dass sie diese aber insofern weit übersteigt, als die (Opfer-)Gabe einen eigenen Verweisungszusammenhang (z. B. sozialer Ordnung) generiert, der wiederum Teil eines größeren Verweisungszusammenhanges von symbolisiertem Geber und Empfänger ist. Die kommunikative Valenz des Ritus liegt dabei in den ihm zugehörigen ritualsymbolischen Handlungen; sie übernehmen die Funktion von Sprache und fungieren dadurch als Träger von Aussagen.

In Teil B geht D. explizit auf die ökonomischen Implikationen des ritualisierten Gabentransfers im Opfer ein. Dabei stellt sie zunächst heraus, dass jede "elementare Handlung eines Wertguttransfers innerhalb einer Reziprozitätsbeziehung" (154) einen als ökonomisch zu qualifizierenden Akt darstellt. Den spezifisch im Opfer zum Tragen kommenden Wirtschaftstypus bezeichnet D. als "inszenierte Ökonomie". Da nun das Opfer durch die in ihm zur Geltung kommenden Nahrungsressourcen immer schon eine wesentlich soziale Funktion einnimmt, formuliert D. die Vermutung, dass eine "Opferpraxis im allgemeinen nur dann operations- und konsensfähig ist, wenn die wirtschaftlichen Beziehungen der unmittelbaren Lebenswelt über- wiegend durch die Gabenökonomie geprägt sind" (169). Der daraus resultierende enge Zusammenhang zwischen Lebens- und Wirtschaftsform mit der spezifischen Kommunikationsform des Opferritus wird als Ergebnis festgehalten.

Blickt man auf das Gesamtkonzept, ist leider eine gewisse Undurchsichtigkeit sowohl formaler als auch inhaltlicher Art zu konstatieren. So kann auf Grund von fehlender Methodenreflexion die Auswahl der gebotenen Beispiele in den Kultur vergleichenden Teilen nur thetisch hingenommen werden. Überdies sollten zumindest die Grundlagen und Anliegen der Kommunikationstheorie kurz reflektiert werden, wenn schon explizit "kommunikationstheoretische Untersuchungen" angekündigt werden, um die spezifische Anwendung vor diesem Hintergrund auch plausibel machen zu können. Allerdings ist als besonderes Verdienst hervorzuheben, dass die Untersuchung durch Einbeziehung von Fachliteratur aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen wie z. B. Theologie und Philosophie interdisziplinär verantwortet ist und in diesen Bereichen hoffentlich ihre Relevanz entfalten wird.