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Ausgabe:

März/2005

Spalte:

287 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Whitlock, Jonathan

Titel/Untertitel:

Schrift und Inspiration. Studien zur Vorstellung von inspirierter Schriftauslegung im antiken Judentum und in den paulinischen Briefen.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2002. XVI, 508 S. 8 = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 98. Geb. Euro 74,00. ISBN 3-7887-1918-4.

Rezensent:

Marius Reiser

Diese von Peter Stuhlmacher betreute Untersuchung wurde im Wintersemester 1998/99 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Tübingen als Dissertation angenommen.

Sie ist in 14 Paragraphen und drei Teile gegliedert. 1 bietet Einleitung und Forschungsüberblick. Teil I ( 2-8) behandelt das Judentum, Teil II ( 9-13) Paulus und seine Schule. Teil III besteht aus Schluss und Ausblick. In angenehm referierender und oft harmonisierender Art geht der Vf. auf Wissenswertes aus dem Umfeld des Themas ein. Dieses Umfeld wird allerdings sehr weit gesteckt; untersucht werden Fragen der prophetischen und weisheitlichen Inspiration im Frühjudentum und in der rabbinischen Literatur ebenso wie auf paganer Seite, aber auch die Frage des Kanons und der Kanonisierung "heiliger" Schriften. Im Paulusteil wird die Zitierpraxis ausführlich behandelt, jedoch ohne neue Forschungsergebnisse. Wichtige Schriftstellen sind hier Röm 15,1-4; 1Kor 2; 1Kor 10; 1Kor 15,3-5; 2Kor 2,14-4,6, dazu Eph 1,17 ff. Im Teil über das Judentum vermisst man einen Abschnitt über den Schluss des 4Esra, in dem es um ein inspiriertes Diktat heiliger Bücher geht, und die einschlägigen Stellen bei Josephus, die vom Diktat Gottes in Bezug auf die Tora reden (vgl. A. Schlatter, Die Theologie des Judentums nach dem Bericht des Josefus, Gütersloh 1932, 59).

Die Untersuchung krankt daran, dass sie in dem viel zu knappen dogmatischen Teil (1-5) keine präzis formulierte Problem- und Fragestellung entwickelt. Der Vf. begnügt sich mit zwei sehr allgemein gehaltenen Fragen und einer ebenso allgemein gehaltenen Feststellung: "Worin besteht die Einheit der Schrift, wodurch wird die Autorität der Schrift begründet? Ohne einen Inspirationsbegriff, der mit einer mannigfaltigen Beteiligung des Geistes bei der Schriftentstehung rechnet, kann das reformatorische sola scriptura nicht einsichtig gemacht werden" (4). Freilich dürfte dieser Inspirationsbegriff nicht der der altprotestantischen Orthodoxie sein. Bei diesen Vorgaben verwundert es nicht, wenn am Ende ungefähr das herauskommt, was in der Dogmatischen Konstitution des 2. Vaticanums "Dei Verbum" 12 zu dieser Thematik steht, z. B.: "Die Schrift kann nur in dem Geist ausgelegt werden, in dem sie geschrieben worden ist" (54; vgl. 456: Das "lehrt schon Paulus"). Ähnliche Gemeinplätze findet man über das ganze Buch verteilt. So heißt es in der Zusammenfassung des 10 über "das Wesen der Schrift und ihre Inspiration nach Paulus": "Diese Schrift ist ganz und gar Gottes Wort, das für die Christen aufgeschrieben worden ist. Sie wird zur Verkündigerin und Kommentatorin der endgültigen Offenbarung in Christus" (283). Gut! Aber das ist nichts Neues.

Im letzten Paragraphen referiert der Vf. "gegenwärtige Konzeptionen zur Schriftinspiration", zwei protestantische (Paul J. Achtenmeier, Howard Marshall) und eine katholische (Helmut Gabel). Es fällt auf, dass die katholische Konzeption besser wegkommt als die beiden protestantischen; es wird ihr sogar attestiert, dass sie "biblisch fundiert" sei (451). So sehr dies den katholischen Rezensenten freut, muss er sich doch fragen: Was bedeutet das für das reformatorische sola scriptura? Aber das ist eine dogmatische Frage.

Sehr unbefriedigend sind die Ausführungen des Vf.s zu den einschlägigen Stellen einer allegorischen und typologischen Schriftdeutung bei Paulus (2Kor 10; Gal 4,21-31; 1Kor 9,9 f.) (253-267). Der Vf. arbeitet hier mit den in der Forschung längst überwundenen Vorurteilen gegen die Allegorie (bzw. die Allegorese): Typologie ist gut, Allegorie ist schlecht, aber zum Glück hat Paulus nur ein einziges Beispiel einer "reinen Allegorie": 1Kor 9,9 f. Man würde sich doch wünschen, dass wenigstens Henri de Lubacs Forschungen endlich rezipiert würden. (Seine wichtigsten Aufsätze dazu sind jetzt auf Deutsch erschienen: Typologie, Allegorie, geistiger Sinn, übersetzt und eingeleitet von R. Vorderholzer, Einsiedeln 1999.)

S. 411-413 geht es um den klassischen Schriftbeleg der Dogmatik für die Inspirationslehre: 2Tim 3,16. Hier hätte man dem Vf. doch raten sollen, das grammatische Problem sorgfältig darzustellen, das an dieser Stelle nun einmal vorliegt: Soll hier gesagt werden, "dass die ganze Schrift vom Geist eingegeben ... und nützlich" ist, wie der Vf. will (412), oder hat die Einheitsübersetzung Recht, wenn sie schreibt: "Jede von Gott eingegebene Schrift ist auch nützlich"? Hier ist der Exeget gefragt, und nicht nur mit zwei eher peinlichen Anmerkungen.

So ist dieses umfangreiche Werk eine nützliche und gut lesbare Materialsammlung, die über viele Themenbereiche gut informiert. In der Sache bringt es keinen Fortschritt.