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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

153–155

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

1) Campbell, Antony F. 2) Hentschel, Georg

Titel/Untertitel:

1) 1 Samuel.

2 Saul. Schuld, Reue und Tragik eines Gesalbten.

Verlag:

1) Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2003. XVIII, 350 S. gr.8 = The Forms of the Old Testament Literature, 7. Kart. US$ 55,00. ISBN 0-8028-6079-6.

2) Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2003. 240 S. m. 11 Abb. 8 = Biblische Gestalten, 7. Kart. Euro 14,80. ISBN 3-374-02044-5.

Rezensent:

Klaus-Peter Adam

Die Frage, wie die prophetische Überlieferung in die Samuelbücher gekommen sei, wird unterschiedlich beantwortet. In der jüdischen Tradition versteht man den Namen Samuel bzw. die Namen Samuel, Gad, Natan ausgehend von 1Chr 29,29 f. als Autorenangabe für die Samuelbücher und erklärt insofern das Eindringen prophetischer Überlieferung. Die jüngere Forschung untersucht die Entstehung der Samuelbücher im Rahmen des DtrG unter der Annahme, die prophetische Überlieferung sei vom Dtr in sein Geschichtswerk eingestellt worden - eine vor allem an den prophetischen Abschnitten der Königebücher gewonnene Erkenntnis M. Noths. In der Folge wurde zwischen Textkomplexen aus unterschiedlichen prophetischen Gruppen einer- und einer literarisch arbeitenden Geschichtsprophetie andererseits differenziert. Diese zweigestaltige prophetische Überarbeitung sei durch einen DtrP erfolgt, der auf einer älteren dtr Bearbeitung (DtrG) basierte - dies die Weiterentwicklung des Nothschen Modells durch W. Dietrich (1972; 1989/1992), die in der Grundannahme einer exilischen prophetischen Redaktion ihren Vorgänger in A. Jepsens Entstehungsmodell der Königebücher findet (1953).

Die Frage, wann die prophetische Überlieferung in den Textbereich des DtrG eingearbeitet wurde, allerdings nicht die nach dem Alter der prophetischen Überlieferungen, war damit entschieden. Einen Gegenentwurf zum Nothschen bzw. Dietrichschen Modell der Einarbeitung der prophetischen Tradition in das DtrG bietet A. F. Campbells Entstehungsmodell der Samuel- und Königebücher (Of Prophets and Kings, 1986). Die Theorie eines zweistufig gewachsenen DtrG (F. M. Cross) ist hier markant weiterentwickelt, indem eine vordtr Stufe im 9. Jh. postuliert wird. Das Modell nimmt seinen Ausgangspunkt bei der prophetischen Überlieferung, die sich nach C. von der Samuel-, der Saul- und der Thronfolgegeschichte bis hin zur Zeit Jehus immer wieder in den prophetischen Episoden, aber auch in einer ganz grundsätzlichen prophetischen Sichtweise zeigt. Die als "prophetischer Bericht" (Prophetic Record) bezeichnete vordtr Stufe reicht von 1Sam 1,1 bis 2Kön 10,28 und hat aus der Perspektive des späten 9. Jh.s eine Reihe von Dokumenten zu einem Werk zusammengestellt bzw. bearbeitet. C. unterscheidet anders als W. Dietrich nicht zwischen Texten aus prophetischen Gruppen und einer literarisch arbeitenden Geschichtsprophetie (DtrP) im Einzelnen, sondern versteht die Samuelbücher im Grunde als Prophetenbücher. Auf der Grundlage dieser These kommentiert C. das erste Samuelbuch in der Kommentarreihe The Forms of the Old Testament Literature. Einen Schwerpunkt legt C. auf die Entstehungsstufen der Samuelbücher (Schlusskapitel 10: Diachronic Dimension, 295-339). Hier bewegt sich C. im Wesentlichen auf der seit L. Rosts Arbeit über die Thronfolgegeschichte gängigen Vorstellung von in den Samuelbüchern nebeneinander gestellten Dokumenten: die Ladegeschichte (1Sam 4-6; 2Sam 6), die Aufstiegsgeschichte Davids (1Sam 9,1-2Sam 8,18*, allerdings nicht als unabhängiges Dokument), die Geschichte von Davids mittleren Jahren (d. h. die Thronfolgegeschichte 2Sam 9-20; 1Kön 1 f.; 318 f.). Vereint wurden diese erstmals in einem prophetischen Bericht (Prophetic Record 1Sam 1,1-2Kön 10,28; 319-331). Als weitere Fassungen dieses Textbereichs folgen gestuft eine josiazeitliche (332-335) und eine nachjosianische Fassung des dtr Geschichtswerks (335-338).

Der Kommentar ist im Einzelnen, gerade im Bezug auf die Ermittlung von Textstrukturen der Abschnitte, sorgfältig gearbeitet. Dass die durch C. bearbeitete Frage nach dem Wachstum der Überlieferung besonders im ersten Samuelbuch in der gegenwärtigen Forschung eine Überlegung lohnt, zeigt sich allein darin, dass der größte Kritiker der Dokumentenhypothese, O. Eissfeldt, für das erste Samuelbuch stets entschieden an einer Entstehung aus zwei Quellen festhielt (Einleitung 3. Auflage, 359-367). C.s Kommentar vollzieht hier eine grundsätzliche Weichenstellung, indem er von der Dokumentenhypothese für die Entstehung der Samuelbücher ausgeht. Folgerichtig erwägt C. keine alternativen Modelle der Textentstehung - mit einer Ausnahme, insofern er eine literarisch unabhängige Geschichte vom Aufstieg Davids in Frage stellt und diesen Textbereich als möglicherweise im biblischen Text bewahrte frühe Überlieferungen bezeichnet (313). Dies müsste allerdings Konsequenzen für die Entstehungsgeschichte der Samuelbücher haben. Ein Blick auf das DtrG unter Einbeziehung des gesamten Bestandes der Königebücher hätte möglicherweise die Frage nach dem Zusammenhang der prophetischen Überlieferungen in den Samuelbüchern mit denen der Königebücher aufgeworfen. Dies hätte die Abgrenzung des "prophetic record" gerade mit der Jehuüberlieferung als Abschluss in Frage gestellt und eventuell die Zusammengehörigkeit der prophetischen Abschnitte erwiesen.

Ein besonderes Verdienst C.s liegt darin, dass er die Überformung einzelner Abschnitte durch prophetische Elemente herausarbeitet. Damit wird deutlich, dass die geschichtliche Überlieferung der frühen Königszeit in Juda nicht ohne die Aussagen der Prophetie tradiert werden konnte.

Stehen in C.s Kommentar redaktions- und formgeschichtliche Fragen im Vordergrund, so beschäftigt sich eine allgemeinverständliche Monographie mit der Gestalt des ersten israelitischen Königs Saul. Sie trägt den Titel: Saul. Schuld, Reue und Tragik eines Gesalbten. Der Band ist in vier Teile untergliedert. Einer Einführung (11-30) folgt eine Darstellung mit der Besprechung einzelner Texte (31-205), danach behandelt der Band die Wirkungsgeschichte Sauls (206-232). Ein sorgfältig zusammengestelltes und zugleich ausgewogenes Literaturverzeichnis am Schluss (233-239) verrät den langjährigen Kenner der Materie. Die Darstellung von G. Hentschel führt auf knappem Raum präzise in die Themen der Saulüberlieferung ein. Das Buch bietet eine gut lesbare Synthese gängiger wissenschaftlicher Thesen im Umkreis der Saulüberlieferung und ist in vielerlei Hinsicht auch ein Beispiel für gelungenen Wissenschaftstransfer. Zur Einführung für Studierende, aber auch für interessierte Nichttheologen dürfte zumal die knappe Einführung in die literarhistorischen Probleme (16-29) zur Orientierung in der Saulüberlieferung der Samuelbücher hilfreich sein.

Dass das Buch so gut lesbar ist, hängt damit zusammen, dass im Darstellungsteil den Auslegungen Fragen zu den Texten vorangestellt sind, die auch theologisch interessierte Laien an eine historisch-kritische Lektüre heranführen und für ihre Fragestellungen interessieren können. Zu einzelnen Texten werden vor allem die grundsätzlichen Probleme benannt und wird jeweils knapp die wichtigste einschlägige Literatur angeführt. Durch die knappe Kommentierung kann die Einordnung der jeweiligen Schichten nicht an allen Stellen detailliert begründet werden. Hermeneutische Abschnitte widmen sich möglichen Aktualisierungen der ausgelegten Texte. Bemerkenswert sind auch die ansprechenden Ausführungen zu der breiten Wirkungsgeschichte von innerbiblischer Zeit (Chronik, LXX) bis in die Moderne.