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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

141–144

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Austermann, Frank

Titel/Untertitel:

Von der Tora zum Nomos. Untersuchungen zur Übersetzungsweise und Interpretation im Septuaginta-Psalter.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003. 232 S. gr.8 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. 3.Folge, 257. Mitteilungen des Septuaginta-Unternehmens, 27. Lw. Euro 98,00. ISBN 3-525-82529-3.

Rezensent:

Evangelia G. Dafni

Es handelt sich hierbei um die gekürzte Fassung einer unter der Anleitung von Anneli Aejmelaeus in Göttingen durchgeführten Dissertation des Jahres 2000, die in einer auffallend sorgfältigen äußeren Aufmachung 2003 erschienen ist. Das Werk ist in vier Teile gegliedert: die Einleitung, zwei Hauptteile und das Resümee, und wird mit einem Literaturverzeichnis abgerundet.

In der Einleitung (13-40) werden das Thema formuliert und die forschungsgeschichtlichen Parameter, die ihm zu Grunde liegen, erfasst. Besonderes Augenmerk wird auf zwei Ansichten gerichtet. Nämlich a) dass der Septuaginta-Psalter, der zweifellos die griechische Übersetzung eines hebräischen Originals darstellt, als eigenständiges theologisches Dokument untersucht werden kann (17-26) und b) dass der Septuaginta-Psalter, der theologische Aussagen bestimmt enthält, zunächst als Übersetzung zu analysieren ist (26-32). Bemerkenswert ist, dass der Vf. hierin zwei gegensätzliche Vorgänge sieht (15 ff.), die einander ausschließen, sowie zwei Erkenntnisbereiche, die sich aber nicht spannungslos ineinander auflösen lassen. Den Ersteren hält der Vf. für "anachronistisch", "eklektizistisch" und "spekulativ" (20.26.31.41 usw.). Der Letztere aber wird im Allgemeinen als "ahistorisch" betrachtet, insofern als die Grenzen der vergleichenden grammatischen Beschreibung überschritten werden. D. h. man begnügt sich nicht damit, beide Sprachsysteme, das hebräische und das griechische, auf Grund des Masoretischen Textes und der Septuaginta und im Hinblick auf eine Rekonstruktion der Vorlage sprachwissenschaftlich zu klären, sondern man fällt - ohne vorherige eigenständige Quellenforschung! - Urteile gegen philologisch sowie historisch gut begründete Untersuchungen.

Im vorliegenden Werk wird eine terminologische Anleihe bei der Übersetzungswissenschaft gemacht. So wird das Hebräische durch "Ausgangssprache" und das Griechische durch "Zielsprache" ersetzt und somit der Weg gebahnt zum Bezugsverlust des begriffs- und traditionsgeschichtlichen Horizontes der zu behandelnden griechischen und hebräischen Vokabeln. Das anschließend entworfene methodische Modell (32-40) ist demnach allein an dem oberflächlichen linearen Vergleich zwischen griechischem und hebräischem Psalter vor allem nach der Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) und dem Septuaginta-Psalter, nach der Göttinger Ausgabe, interessiert. Der Vf. hat die textkritischen Entscheidungen der Göttinger Ausgabe im Blick, die unter Umständen zur Rekonstruktion der Vorlage verhelfen könnten. Somit zeichnet sich aber zunächst ein sehr begrenztes Gesamtverständnis der Begriffe "Übersetzungsweise" und "Interpretation" und deren Funktionen ab, welches dann auf Psalter-Texte projiziert wird.

Im ersten Hauptteil (41-107) werden Aspekte der quantitativen und qualitativen Entsprechung sowie Grundzüge der Übersetzungsweise im Septuaginta-Psalter präsentiert, um daraus Folgerungen für das Verhältnis zwischen Übersetzungsweise und Interpretation (101-107) zu ziehen. In Bezug auf die quantitative Entsprechung hält sich der Vf. an die Segmentierung, die Wortfolge sowie an die Plus- und Minus-Fälle im Septuaginta-Psalter. Dies geschieht nach dem Vorbild des Werkes von Joseph Ziegler, Untersuchungen zur Septuaginta des Buches Isaias, Alttestamentliche Abhandlungen XII/3, Münster i. W. 1934, 46-80, das der Vf. auffälligerweise in seinem Literaturverzeichnis nicht anführt. Anders als bei Ziegler, der sich besonders für stilistische Beispiele interessierte, wird der erste Hauptteil des vorliegenden Werkes mit exemplarischen Fällen aus verschiedenen syntaktischen Bereichen abgeschlossen (41- 68). Ein Vergleich auf Grund konkreter Textbeispiele zwischen Septuaginta-Jesaja und Septuaginta-Psalter mit Berücksichtigung der Abhängigkeitsrichtung wird allerdings hier nicht vorgenommen. Die in diesem Abschnitt angeführten Belege weisen ein gemeinsames Charakteristikum auf: Sie haben nicht direkt mit den Vokabeln Tora-Nomos und ihren unmittelbaren Textzusammenhängen zu tun, obwohl der Vf. uns versichert, dass Ps 119 (118) bzw. der gesamte Psalter der Ort katexochen von etlichen Belegen ist (14.107). Was dürfen wir nun annehmen? Entweder Ps 119 (118) bzw. der Psalter insgesamt weist keine übersetzungstechnisch interessanten Eigentümlichkeiten in Bezug auf die Vokabeln Tora-Nomos und ihr Begriffsumfeld auf - also wurde ein falsches Beispiel gewählt, um diese überaus wichtige Fragestellung zu klären - oder der Text wurde nicht gründlich genug untersucht. Hinsichtlich der qualitativen Entsprechung wird auf die Wortebene sowie auf die subverbale und superverbale Ebene (68-101) verwiesen. Zu dieser Gliederung ist zu bemerken, dass sie an die meisterhafte Einteilung (Wort-, Wortgruppen- und Satzebene) Wolfgang Richters erinnert, der als Erster in Deutschland sprachwissenschaftliche Vorgehensweisen bei der alttestamentlichen Exegese und der Darstellung der althebräischen Grammatik angewandt hat.

Siehe W. Richter, Exegese als Literaturwissenschaft. Entwurf einer alttestamentlichen Literaturtheorie und Methodologie, Göttingen 1971; ders, Grundlagen einer althebräischen Grammatik. A. Grundfragen einer sprachwissenschaftlichen Grammatik. B. Die Beschreibungsebenen: I. Das Wort [Morphologie]: ATS 8, St. Ottilien 1978; II. Die Wortfügung [Morphosyntax]: ATS 10 [1979]; III. Der Satz [Satztheorie]: ATS 13 [1980]. Ders., Biblia Hebraica transcripta. Das ist das ganze Alte Testament transcribiert, mit Satzeinteilungen versehen und durch die Version tiberisch-masoretischer Autoritäten bereichert, auf der sie gründet, ATS 33,1-16, St. Ottilien 1991-1993).

Der Vf. verwendet zwar Richters methodisches Vorgehen und Terminologie, verweist aber nicht auf dessen Werk.

Mir zumindest leuchtet es allerdings nicht ein, warum eigentlich im ersten Hauptteil der vorliegenden Arbeit einige Abweichungen der Vorlage zugeschrieben werden müssen und andere der sprachlichen Kompetenz des Übersetzers. Ob es vielleicht geschieht, weil die Beispiele bloß aneinander gereiht und nicht aufgearbeitet sind? Oder weil unauffällige, in Modalpartikeln und Komposita sowie in Wortverbindungen und Zusätzen versteckte Bedeutungsnuancen, die für die Interpretation und Übersetzung eines Textes von Relevanz sein können, übersehen wurden? Der Vf. führt aber hier keine eigene Grundsatzforschung an, sondern weist nach Belieben auf Beispiele und unbewiesene Behauptungen aus der Sekundärliteratur hin, selbst wenn es sich nur um statistische Angaben handelt (62-68). Bloße Statistik, ohne konkreten Hinweis auf Textbelege und Auswertung, bringt uns aber nicht weiter.

Im ersten Abschnitt des zweiten Hauptteils (107-170) werden in Bezug auf die Übersetzungsweise und Interpretation in Ps119 (118) das Wort Tora und seine Parallelbegriffe sowie ihre Wiedergabe in Ps 119 genannt. Die Ergebnisse eines "Wort-für-Wort-Vergleiches" zwischen dem hebräischen Psalm 119 und dem griechischen Psalm 118 werden "strophenweise gebündelt und zusammengefasst" (127-169). Erörtert werden die Frage nach der Vorlage sowie die Resultate eines morphologischen, syntaktischen und semantischen Vergleichs. Im zweiten Abschnitt (171-206) werden Nomos und nomosbezogene Wörter im Septuaginta-Psalter behandelt. Die Basis, auf der die Darstellung dieses Rohmaterials aufbaut, wird kurz beschrieben. Der Vf. hinterfragt sie aber nicht. Die Wortbedeutungen werden nur oberflächlich betrachtet und es wird darüber hinaus auf sekundäre Literatur verwiesen, auch für entscheidende Stellen dieses Themas. Weder der Grad der Synonymität noch die genauen Wortbedeutungen werden ausreichend untersucht. Dafür wären jedoch auch begriffsgeschichtliche Untersuchungen, die die Tiefenstruktur des Textes offen legen, erforderlich.

Die interessante Frage nach der Weitergabe und Übernahme des Begriffs Nomos aus dem griechischen Schrifttum im hellenistischen Judentum und seinem Verhältnis zum Übersetzungsäquivalent Nomos in der Septuaginta wurde hier vielleicht deswegen verdrängt, weil die Untersuchung von altgriechischem Quellenmaterial als notwendige Grundlage in einer Abhandlung noch zu erwarten wäre.

Der Titel "Von der Tora zum Nomos" weckt die Erwartung, dass man auf Grund von eigener, vergleichender Quellenforschung, sowohl auf hebräischem als auch auf griechischem Gebiet, zu der Erkenntnis kommt, dass Tora und Nomos als abstrakte Begriffe außerordentlich vielschichtig sind, was bei der Betrachtung der angeführten Psalmworte von großer Bedeutung ist. Diese Art von Forschung wird aber nicht bloß vermisst, sondern sogar ausdrücklich abgelehnt (17-26.32-40).

Der Vf. hat zweifellos viel aus dem Reichtum der Bibliothek des Göttinger Septuaginta-Unternehmens zusammengetragen. Die reichhaltigen Bezüge auf die Sekundärliteratur durch Summierung und Paraphrasierung gesicherter Einsichten, worin auch die Eigenständigkeit dieser Arbeit anscheinend besteht, lassen die Frage aufkommen, ob es sich hier nicht vielmehr um einen forschungsgeschichtlichen Bericht im Hinblick auf die Übersetzungsweise in der Septuaginta handelt.

Angesichts dieser Sachlage wäre eine revidierte Auflage sehr wünschenswert, und zwar mit Beseitigung der störenden Wiederholungen in der Argumentation, einer hierarchischen und umsichtigen Darstellung der grammatischen, syntaktischen und stilistischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Masoretischen Text und der Septuaginta sowie der Rekonstruktionsvorschläge hinsichtlich der Vorlage und mit der vollständigen Angabe aller Literatur, auf die sich die Ausgestaltung der einzelnen Kapitel stützt. Damit kämen die methodologischen und literarischen Grundvoraussetzungen bzw. die formalen und sachlichen Berührungen und Abhängigkeiten des Werkes in der Tat zum Vorschein und ließen sich die Einzelergebnisse nachprüfen. Schließlich wären ein Stellenregister sowie ein Verzeichnis der in der Arbeit gründlich behandelten hebräischen und griechischen Wörter und Wortverbindungen sehr zu empfehlen, damit sich das Werk als eine zuverlässige Einführung in die Forschungsgeschichte der Übersetzungsweise des Septuaginta-Psalters zukünftig profilieren kann.