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Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

82–84

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Gerlach, Gernot

Titel/Untertitel:

"Bekenntnis und Bekennen der Kirche" bei Dietrich Bonhoeffer. Entscheidungen für sein Leitbild von Kirche in den Jahren 1935-36.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2003. XII, 460 S. gr.8 = Studien zur systematischen Theologie und Ethik, 39. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-8258-6741-2.

Rezensent:

Christiane Tietz-Steiding

Die anzuzeigende Kasseler Dissertation beleuchtet ekklesiologische Texte Dietrich Bonhoeffers vor allem aus seiner Zeit als Leiter des Predigerseminars in Finkenwalde. Der Fokus der Studie liegt dabei auf dem Bekenntnis der Kirche, weil die Bekenntnisfrage als "Leitfrage kirchlicher Kybernetik" (17) anzusehen ist. Zahlreiche Exkurse - von unterschiedlicher Bedeutsamkeit - sind ergänzend eingefügt.

1932 beschäftigt Bonhoeffer sich in seiner Vorlesung "Das Wesen der Kirche" ausführlicher als noch in seiner Dissertation mit der Frage des Bekenntnisses. Das gesprochene Glaubensbekenntnis hat seinen Ort primär innerhalb der Gemeinde und nicht gegenüber der Welt. Insofern ist es nach Bonhoeffer kein "Propagandamittel gegen Gottlose" (zitiert 42). Bekenntnis der Gemeinde vor der Welt ist zuallererst die Tat.

Das Apostolikum hält Bonhoeffer zu dieser Zeit als Bekenntnistext für ungenügend, weil jenem - "von jedermann unterschiedlich verstanden ..." - die "geforderte ... sprachliche ... Klarheit" (48) fehle. Entsprechend ersetzt Bonhoeffer in seinem ersten, zusammen mit Franz Hildebrandt verfassten Katechismusentwurf das Apostolikum durch ein frei formuliertes Bekenntnis Luthers (WA 30/I, 94,14-21).

In Bonhoeffers Vorlesung "Kirchenverfassung" von 1935 fällt der provokante Satz: "die Verfassung [der Kirche] kommt aus der Inkarnation Christi" (zitiert 94). Gegen eine durch Rudolf Sohm vertretene und von den Deutschen Christen aufgenommene Position, für welche das Kirchenrecht vom Wesen der Kirche unabhängig ist und staatliche Eingriffe in die rechtliche Gestalt der Kirche mithin legitim sind, wird die Verfassung der Kirche von Bonhoeffer christologisch begründet. Die äußere kirchliche Struktur hängt am Bekenntnis der Kirche. Bonhoeffer vertritt, wie deutlich wird, eine Auffassung entsprechend derjenigen der 3. These der Barmer Theologischen Erklärung, in der es heißt: Die Kirche bezeugt Jesus Christus "mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung".

Der Vf. führt vor, dass jedes Bekenntnis eine Ja-und-Nein-Struktur besitzt. Es ist das Ja zur erkannten Wahrheit sowie das Nein zu konkreten Irrlehren. Für die Situationsbezogenheit des Bekenntnisses wird herausgestellt: Das Bekenntnis interpretiert die konkrete Situation, in der es gesprochen wird. Nie aber darf eine Situation zum Inhalt eines Bekenntnisses werden.

Interessant ist Bonhoeffers Verständnis der "Ökumenizität" der Kirche: Es richtet sich zum einen gegen ein konfessionalistisch verengtes Kirchenverständnis, das allein beispielsweise das lutherische Bekenntnis gelten und deshalb die überkonfessionelle Bekenntnissynode von Barmen gerade nicht gelten lässt. Es richtet sich zum anderen wegen "der ökumenischen Weite der Kirche" gegen "nationale, nationalistische und rassistische Verengungen" (380). Gleichwohl wird die Bekenntnisfrage in der Ökumene dadurch nicht hinfällig ("das Bekenntnis gehört als Wahrheitsfrage untrennbar zur Kirchenfrage", 198); sie ist aber nicht mehr konfessionell oder nationalistisch verengt.

In seinem Aufsatz "Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft" von 1936 spricht Bonhoeffer vom sichtbaren Raum der Kirche in der Welt. Der Vf. beschreibt dieses ekklesiologische "Leitbild" Bonhoeffers ausführlich, welches der Kirche einen "eigenen Anspruch zur Raumgestaltung" (256) zuspricht. Der Raum der Kirche ist als Gegenbegriff zum "Volk ohne Raum" durch seine Ökumenizität charakterisiert. Die Kirche bezeichnet Bonhoeffer in Abgrenzung zur Formel "Heil Hitler" und zur Rede von der "Volksgemeinschaft" als "Heilsgemeinschaft" (287 f.), für die gilt: extra ecclesiam nulla salus. In Anerkennung der beiden Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem bestimmt Bonhoeffer allein die Bekennende Kirche als die wahre christliche Kirche in Deutschland. Deshalb gilt für Bonhoeffer: "Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil" (zitiert 247). Welche innerkirchliche Diskussion diese These Bonhoeffers und Bonhoeffers Aufsatz insgesamt ausgelöst haben, wird vom Vf. pointenreich nachgezeichnet.

Bonhoeffers zweiter Katechismusentwurf vom Oktober 1936 ist insofern erwähnenswert, als Bonhoeffer für dessen Gliederung wieder das Apostolikum zu Grunde legt, also auf alte Bekenntnisse zurückgeht, um die aktuelle Frage zu beantworten, "was unbedingt öffentlich von der Kirche zu bekennen ist" (346). Der vom Vf. durchgeführte Vergleich dieses Entwurfes mit der "Hitler-Denkschrift" vom Mai 1936 zeigt überzeugend die große sachliche Nähe zwischen diesen beiden Texten. Der Vf. weist darauf hin, dass in Bonhoeffers Entwurf noch nicht vom Widerstand der Kirche gegen den Staat die Rede ist. Inwiefern für den Christen der politische Widerstand eine "Folge des bekennenden Widersprechens" (387) ist, hätte man deshalb gern noch genauer gewusst.

Eine grundsätzliche Bemerkung sei noch angefügt. Definitorisch bleibt die Differenz zwischen "Bekenntnis" und "Bekennen", zwischen Bekenntnisinhalt und Bekenntnisakt, zu undeutlich. Beide Begriffe werden vom Vf. allgemein situationsbezogen bestimmt: Das kirchliche Bekenntnis bringe "in verdichteter Sprache zum Ausdruck, was der Kirche als der Gemeinschaft der Getauften am christlichen Glauben in der Situation wichtig ist, nachdem die Kirche das Wort Gottes gehört hat" (7); dieses Bekenntnis komme seinerseits "im Bekenntnisakt als ein Bekennen in der Situation zum Ausdruck" (14). Hier hätte die je andere Situationsbezogenheit von Bekenntnis und Bekennen (auch wenn beide Situationen als Situation des Sünders vor Gott zu begreifen sind, vgl. 228) geklärt und damit auch die Bedeutung des Bekenntnisaktes präzisiert werden müssen (zu unscharf ist sicher die Behauptung, erst durch das bekennende Aussprechen werde die Wahrheit "zu einer Wahrheit, die die Bekennenden in der Existenz trifft", 117). Im Zusammenhang damit vermisst man auch eine explizit systematische Bearbeitung der damals brisanten Fragen: Reicht heute ein entschiedenes Bekennen der alten Bekenntnisse - oder darf und muss ein neues Bekenntnis formuliert werden? Und wie verhält sich ein solches zu den überlieferten Bekenntnissen?

Insgesamt gibt die Arbeit aber einen differenzierten und interessanten Einblick in Bonhoeffers Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten ekklesiologischen und kirchenleitenden Positionen dieser Jahre.