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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1361–1363

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Meyer-Blanck, Michael [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Liturgiewissenschaft und Kirche. Ökumenische Perspektiven.

Verlag:

Rheinbach: CMZ-Verlag 2003. 173 S. m. Abb. 8. Kart. Euro 14,80. ISBN 3-87062-060-9.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Das Buch signalisiert schon durch sein Äußeres, dass es unter den wissenschaftlichen Büchern eine bibliophile Rarität darstellt - schon auf dem Deckblatt wird ein aus dem Spätmittelalter stammendes Bild präsentiert, weitere Abbildungen folgen -, und es macht durch seinen Titel darauf aufmerksam, dass allerhand Inhalte zu erwarten sind. Geht es doch um nicht weniger als um Liturgiewissenschaft und Kirche in ökumenischen Perspektiven. Im Vorwort hebt der Herausgeber diese Ambivalenz hervor und erläutert, dass das Buch als Festgabe an den bedeutenden Liturgiewissenschaftler und engagierten Ökumeniker Hans-Christoph Schmidt-Lauber zu verstehen ist, der im Februar 2003 seinen 75. Geburtstag feierte.

Karl-Heinrich Bieritz hat eine Laudatio verfasst und es wurde eine Bibliographie des Geehrten erstellt. Im Vorwort betont Michael Meyer-Blanck, dass die Kirchen eine wissenschaftliche Reflexion dessen benötigen, was christlicher Gottesdienst ist. So kommt zunächst "Kirche" zu Wort: Der Bischof der badischen Landeskirche, Ulrich Fischer, sieht auf die Kirche in immer stärkerem Maße die Aufgabe zukommen, eine plurale Religiosität als Herausforderung an die Gottesdienstgestaltung zu begreifen. Damit konstatiert er neben der konfessionellen Vielfalt eine innerkonfessionelle religiöse Pluralität, die jede Konfession betrifft. Für die evangelische Tradition folgt daraus, dass es vermehrt plurale Verkündigungsformen geben wird. Hier nimmt Fischer den von Frieder Schulz - dem aus der badischen Landeskirche kommenden Altmeister der Liturgiewissenschaft - geprägten Begriff der "schmiegsamen Liturgie" auf und erweitert dessen Bedeutung: Hatte Schulz damit die Kompatibilität und den Variationsreichtum von Liturgien im Blick, entfaltet Fischer, wie die pluralen Verkündigungsformen sowohl menschengemäß als auch dem Verkündigungsauftrag der Kirche gerecht werden können.

Der nachfolgende Beitrag des reformierten Theologen Ralph Kunz stellt das homiletisch-liturgische Konzept vor, das er an der Universität Zürich durchführt. Er versteht es als eine Ausbildung an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kirche, da sowohl seminaristisch als auch in der Praxis Liturgie gelernt wird. Es ergibt sich ein didaktisches Modell, das zwischen Theorie und Praxis pendelt und so zu einer Praxistheorie wird und die eigene Erfahrung mit der Liturgie konstitutiv in sein Konzept einbezieht.

Der römisch-katholische Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards führt in seinem Beitrag vor, dass eine ökumenisch verstandene Liturgiewissenschaft sowohl auf evangelischer wie auf römisch-katholischer Seite Gegenreaktionen hervorruft (auch das ist eine - wenn auch merkwürdige - ökumenische Gemeinsamkeit!): Er stellt auf evangelischer Seite Dorothea Wendebourg und auf römisch-katholischer Seite Joseph Kardinal Ratzinger vor: Wendebourg lehnt mit dem Hinweis auf reformatorische Entscheidungen die ökumenisch orientierte Abendmahlsfeier als Eucharistie strikt ab. Ratzinger übt Kritik an der Liturgieentwicklung seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und stellt die Communio-Ekklesiologie, die grundlegende Gemeinsamkeit der Gottesdienstfeiernden, in Frage zu Gunsten eines stärker hervorzuhebenden Gegenübers von Priester und Gemeinde und damit verbunden auch von Kirche und Christus. Gerhards legt dar, dass es eine geradlinige liturgische Entwicklung nicht gegeben hat, Brüche, ja Abbrüche und Neuentwicklungen der Formen haben die Liturgien geprägt.

Frieder Schulz nimmt sich ausführlich der historischen Argumente an, mit denen Dorothea Wendebourg ihre Aussagen zur Eucharistie gestützt hat. Dabei geht es um die Bedeutung der Einsetzungsworte, wie sie in Luthers Schriften zum Gottesdienst verstanden werden. Schulz weist nach, dass die von Wendebourg angeführte strikte Trennung von Gottes Wort und menschlichem Lob und Dank gar nicht lutherisch ist, weil nicht nur in den genannten Schriften, sondern durchaus auch in anderen Liturgien der Reformationszeit und unter Mitwirkung von Luther das Wort Gottes und die Dankbarkeit der Menschen in Form des Gebets als zusammengehörig betrachtet wurden. So geschieht die Einsetzung des Abendmahls nicht allein durch Verkündigung, sondern durch Verkündigung und Gebet, was an der besonderen Platzierung des Vaterunsers in der Abendmahlsliturgie zum Ausdruck kommt.

Michael Meyer-Blanck geht in seinem abschließenden Beitrag, der in zehn Thesen eine ökumenische Verhältnisbestimmung zu Liturgiewissenschaft und Kirche enthält, noch einen Schritt darüber hinaus und stellt in Frage, ob historische Argumente überhaupt normativ für Liturgien sein können. Er hält dagegen, dass für evangelische Liturgiewissenschaft Normen nicht historisch, sondern nur aus gegenwärtig verantworteter Aneignung des biblischen Evangeliums hergeleitet werden können. Darüber hinaus ist es nach der Aufklärung nicht mehr hermeneutisch vertretbar (es sei denn, man verfährt fundamentalistisch), Gottes Handeln ohne menschliches Handeln, Gottes Wort ohne menschliches Hören zu denken.

So ist ein Buch entstanden, in dem aktuelle und grundlegende Fragestellungen miteinander bedacht werden und ihre gegenseitige Dependenz ins Gespräch gebracht wird, um dann - wie so oft in der Ökumene - festzustellen, dass es doch ähnliche oder gar gleiche Fragen sind, die evangelische wie katholische Autoren auf ihrem jeweiligen wissenschaftlichen und kirchlichen Hintergrund gleichermaßen bewegen und die nach Auseinandersetzung und Beantwortung verlangen.